The Halo Effect - Days Of The Lost

Review

Vier langjährige Mitglieder von IN FLAMES gründen eine neue Band mit Mikael Stanne, Obersympath von DARK TRANQUILLITY und Aushilfssänger auf dem IN-FLAMES-Debüt „Lunar Strain“? Klar, das wirbelt natürlich einigen Staub auf in der Szene, weckt aber unvermeidlich auch hohe Erwartungen. Ob THE HALO EFFECT ein Grund dafür sind, dass jetzt Anders Fridén, Björn Gelotte und Co. auch plötzlich mit zwei Singles um die Ecke kommen, die ziemlich stark Back To The Roots gehen, kann vermutlich nicht geklärt werden. Am Ende bedeutet das für Melodic-Death-Liebhaber womöglich zwei Alben mit purem Göteborg-Death innerhalb kürzester Zeit. Aber knüpft „Days Of The Lost“ überhaupt wirklich dort an, wo es sich viele Fans wünschen dürften, also irgendwo Ende der Neunziger?

THE HALO EFFECT – Keine Fortsetzung der Neunziger

„Shadowminds“, nicht nur Album-Opener, sondern auch erste Single, dürfte einige Träumer bereits früh unsanft geweckt haben. Nein, natürlich machen THE HALO EFFECT nicht dort weiter, wo „The Jester Race“ 1996 aufhörte. Mikael Stanne beschreibt es in unserem Interview zum Album recht treffend, wenn er sagt, dass sie zwar versucht haben das Gefühl der Anfangszeit Revue passieren zu lassen, aber mittlerweile eben auch 30 Jahre Erfahrung haben. Das zeigt sich natürlich auch sowohl in den Songs als auch im allgemeinen Sound von „Days Of The Lost“. Verabschieden wir uns also lieber schnell von unrealistischen Erwartungen und fragen uns eher, ob THE HALO EFFECT einfach ein gutes Melodic-Death-Album gelungen ist.

Tatsächlich erinnert „Shadowminds“ nicht nur durch Stannes Gesang stärker an DARK TRANQUILLITY als an IN FLAMES, sondern auch durch seine Melodieführung. Der Song hätte also durchaus auch auf einem der letzten DT-Alben nicht wie ein Fremdkörper gewirkt, hätte aber dort zweifellos auch bereits zu den starken Nummern gezählt. Der Titelsong geht aber bereits einen ganz anderen Weg, die euphorischen Leads erinnern sofort an IN FLAMES Mitte der 2000er, vor allem an „Come Clarity“. Dennoch gibt es auch hier Reminiszenzen an Stannes Hauptband oder kurz: Alle Stärken des melodischen Todesstahls aus Göteborg werden ausgespielt.

Während in „The Needless End“ und „Conditional“ die bisher verwendeten Elemente noch einmal auf erfrischende Weise variiert werden, wird es dann ab „In Broken Trust“ noch einmal richtig interessant, denn Stanne packt erstmals seinen cleanen Gesang aus. Das Gitarrenduo Strömblad/Engelin verleiht dem Song dazu einen ungeheuren Drive, der vielleicht auf den letzten DARK-TRANQUILLITY-Alben ein wenig zu kurz kam. „Gateways“ entwickelt sich mit seiner packend-dramatischen Hauptmelodie sofort zu einem Ohrwurm und gehört zum stärksten, was „Days Of The Lost“ zu bieten hat. Das gilt ebenfalls für „A Truth Worth Lying For“, denn was Stanne hier im klar gesungenen Refrain zaubert, ist einfach nur ganz groß.

Und danach? Pulver verschossen? Keinesfalls. „Feel What I Believe“ ist noch einmal ein hoch melodischer Gute-Laune-Song, enthält aber trotzdem ordentlich schnelles Geballer. „Last Of Our Kind“ betreibt erst einmal ordentlich AT-THE-GATES-Worshipping, bevor Gastsänger Matt Heafy (TRIVIUM) der Nummer eine ganze eigene, modernere Note verleiht. „The Most Alone“ nimmt zum Abschluss dann zwar das Tempo etwas raus, hat aber noch einmal Riffs und Melodien am Start, für die andere Bands töten würden.

Lässt wenig Wünsche offen – „Days Of The Lost“

Fassen wir erst einmal zusammen, was „Days Of The Lost“ nicht ist: Eine nach 1996 klingende pure Old-School-Göteborg-Hommage. Was THE HALO EFFECT aber durchaus gelungen ist, das ist ein hervorragendes, trotz der Erfahrung der beteiligten Musiker frisch klingendes Melo-Death-Album. Es gibt hier schlicht keinen Ballast, keine Durchschnitts-Füllware. OK, ein Überhit wie „Cloud Connected“ oder „Misery’s Crown“ ist vielleicht nicht enthalten, aber sonst dürften wenig Wünsche offen bleiben.

Natürlich, „Days Of The Lost“ klingt vielleicht moderner, als es viele erwartet hätten, aber man darf bei aller Euphorie nicht vergessen, dass alle Beteiligten in den letzten Jahren weiter Musik gemacht haben, was auch hier natürlich seinen Einfluss hatte. Die Entscheidung, sich während der Pandemie ins Studio zurückzuziehen und, ohne großen Wind darum zu machen, einfach zu schreiben, was sich gut anfühlt, spiegelt sich im Klang des Albums wieder und katapultiert es schnell auf Heavy Rotation. THE HALO EFFECT ist ein Melodic-Death-Jahreshighlight gelungen, das von anderen Bands erst einmal übertroffen werden muss – und das wird definitiv nicht gerade einfach.

06.08.2022

"Time doesn't heal - it only makes you forget." (Ghost Brigade)

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