Tidal - Abraxas

Review

Alter, entfern mal die Wäscheklammer von deinen Eiern. Das war mein erster Gedanke, als die neue CD von Tidal „Abraxas“ seine ersten Runden in meinem Plattenspieler drehte. Anders kann ich mir diese zum Teil ohrenbetäubende Tonlage des Geschreis nicht erklären. Leider schmälert dieses den Hörgenuss um ein erhebliches. Tidal, fünf Jungs, sesshaft in Heidelberg, stellen eine Mischung aus emotionalen Ausbrüchen und träumerischen Melodien vor, die aber nur zum Teil klappt und leider in der noch Semiprofessionalität der technischen Umsetzung hängen bleibt. Zum einen kann der Sänger (auch psychotischer Kreischer genannt) bei Leibe keine Emotionen durch seine Stimmbändchen erzeugen, es sei denn, er versucht sich in den seltenen Clean Vocals. Zum anderen bekommt er zwar manchmal Hilfe von seinen Bandkollegen, die ihm stimmlich unter die Arme zu greifen versuchen, jedoch wird es dadurch auch nicht besser – das mit dem mehrstimmigen Chorus üben wir noch mal, ne? Denn absolute Disharmonie im Timing und der Übereinstimmung in den Tonlagen ziehen eine sehr(!) schöne Melodie wie z.B. im Song „Actor´s Cut“ ins beinahe bemitleidenswerte. Unter „Emo“ stell ich mir nicht diese bei mir hervorgerufenen Emotionen vor. In ihren technischen Grenzen, aber durchaus gekonnt kommen dafür die Instrumente, talentiert und melodiös, herüber, wie in „Seifenblasen“, wo fast latinoartige Rhythmen eingeschlagen werden. In diesen ruhigeren Instrumentalphasen liegt die Stärke von Tidal, welche sie zum Glück auch in aller Ruhe auskosten, sich zur Entfaltung derer sehr viel Zeit lassen. Ebenfalls gelungen sind die fließend übergehenden Texte vom Deutschen ins Englische und umgekehrt, da beide Sprachen sich unauffällig und passend dem jeweiligen Song fügen. Die relative Komplexität der Songstruktur und der zum Teil gelungene Versuch sich an anspruchsvolle Musik zu wagen, zeigen, dass in Tidal ein gewisses Potential steckt. Doch müssen sie in ihrem Sound noch wesentlich definierter und in den Kontrasten der Gefühlslagen hörbar differenzierter werden. Die Wutausbrüche brauchen einfach mehr Unterstützung in Form von fetteren Gitarren und einer potenteren Stimme. Ergo: Leute bei der Plattenfirma: Greift den Jungs mal mehr unter die Arme, denn ewiges Talent bleiben ist nicht schön.

03.06.2004
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