Tool - Fear Inoculum

Review

Das Warten hat ein Ende. Endlich können wir mit geschwollener Brust in die Öffentlichkeit treten und den Leuten in Gesicht schreien: „It’s TOOL-Time, bitches!“

13 lange Jahre haben wir gewartet, 2.961.623 schlechte Internetmemes ertragen, und nun ist der Nachfolger von „10,000 Days“, „Fear Inoculum“, endlich Realität geworden. Natürlich wird es den ein oder anderen Verschwörungstheoretiker geben, der die Realität des Albums immer noch absprechen wird, genauso wie die Existenz Bielefelds, aber lassen wir mal die X-Akten beiseite.

Bevor ich beginne, soll natürlich gesagt sein, dass es zwei Versionen des Albums gibt. Einmal die digitale Version mit zehn Tracks und dann die physische Special Edition mit sieben Songs für 80 € bis 90 €, je nach Anbieter. Auch wenn es dem Geldbeutel geschadet hat, habe ich mich mit beiden Versionen beschäftigt, werde dennoch die Wertung auf der digitalen Version basieren, da diese mit hoher Wahrscheinlichkeit die am meisten gehörte sein wird. Des Weiteren werde ich nicht auf die Debatte um die Special Edition eingehen. Dafür wurden Kommentarspalten entwickelt, um philosophisch solch Fragen zu diskutieren, wie „Was ist Wert?“, „Was ist ein Produkt?“, „Wann wird ein Produkt zu Wert?“, und natürlich der Klassiker: „Wann genau ist ein Wert gerechtfertigt?“

Nun denn, bleiben wir bei der Musik und beginnen…

Die hohe Schule des Songwritings

TOOL haben sich in ihrer Karriere natürlich einen Namen für ihr Songwriting und ihr musikalisches Können gemacht. Eingängige, jedoch komplexe Kompositionen, die durch psychedelische Einflüsse etwas in die Länge gehen konnten, aber dennoch kompakt wirkten, sind ein Markenzeichen der Band. Wir erinnern uns an Songs wie „Schism“, „Stinkfist“ oder „The Pot“. Solche kompakt wirkenden Songs gibt es auf „Fear Inoculum“ nicht. Das Album besteht aus sechs Hauptkompositionen, die alle entweder über oder um die Zehnminutenmarke gehen. Die anderen Songs sind zwei Interludes („Litanie contre la Peur“, Legion Inoculum“), ein Outro („Mockingbeat“) und das Drumsolo Satans höchstpersönlich („Chocolate Chip Trip“). Die Herausforderung, die eine Band mit solch langen Kompositionen hat, ist den Hörer in der Zeit so lange zu beschäftigen, dass es ihm nicht langweilig wird.

TOOL schaffen dies mit Bravour. Die ersten erklingenden Noten des Openers und Titeltracks blenden die Außenwelt komplett aus, und der Hörer wird durch eine Welt voller eingängiger Melodien, komplexen Polyrhythmen und Zählzeiten und Sci-Fi-Einflüssen geschleudert, bis hin zum Abrisssong des Albums – „7empest“. Das Album wird durch gewisse musikalische Wechsel innerhalb der Songs sehr interessant. Während Maynard James Keenan (Vocals) und Adam Jones (Gitarre) gerade keine große Melodie in das Stück einbringen, können wir die Arbeit eines der talentierstesten Rhythmussektionen in Justin Chancellor (Bass) und Danny Carey (Drums) bewundern. Aus solchen rhythmisch prägnanten Abschnitten öffnen TOOL meist das musikalische Thema, um den Stück Eingängigkeit zu verleihen. Die besten Hörbeispiele hierfür sind „Pneuma“ und „Invincible“. Am Beispiel „Pneuma“ verdeutlicht, singt Keenan den sehr prägnanten Hook „We are born of One Breath, One Word. […]“, danach öffnet Adam Jones das musikalische Thema, und der Song wird im Ganzen melodisch; allerdings verbirgt sich zur selben Zeit eine große Komplexität in den Breaks, die Carey auf dem Schlagzeug uns im Hintergrund präsentiert. Dem Hörer wird somit ein enormes Klangbild geboten.

Des Weiteren haben die Songs innerhalb ihrer Struktur mehrere Spannungsbögen und dementsprechend mehrere Höhepunkte. Solch ein Hin und Her geben den Songs Abwechslung, was vor allem längere Tracks brauchen, um spannend zu bleiben. Es gibt nicht einen Song auf dem Album, bei dem ich nicht mindestens einmal Gänsehaut bekommen habe. Doch die prägnantesten Songs sind „Invincible“, „Descending“ und „7empest“. „7empest“ ist hierbei ein anderes Monster als die restlichen Songs. Während die anderen Songs sehr lange sich relativ ruhig aufbauen und Keenan größtenteils sanft singt, drehen die Jungs bei „7empest“ nach kurzer Zeit auf und Keenans Gesang ist deutlich aggressiver. Im letzten Song bekommt das Album nochmal einen ordentlichen Geschwindigkeitsboost. Ein großer Schluss für ein großartiges Album.

Warum also keine 10/10?

Trotz der ganzen Lobpreisungen gibt es genau zwei Kritikpunkte, die doch einen Punktabzug rechtfertigen. Zunächst sind es die Interludes. „Litanie contre la Peur“, „Legion Inoculum“ und „Mockingbeat“ mögen zwar interessante Klangwelten wiedergeben, dennoch wirken sie etwas sehr aus dem restlichen musikalischen Kontext des Albums herausgerissen und ziehen ein ohnehin schon langes Album unnötig weiter in die Länge. Auf der physischen Version gibt es diese Songs nicht, was das Album in der Form perfekt machen würde. Doch lege ich die digitale Version als Basis der Bewertung zugrunde. Was also physisch eine 10/10 wäre, ist durch die digital vorhandenen Zwischensequenzen ein Punkt weniger.

Der zweite Kritikpunkt ist ein Punkt, der vielleicht etwas zu vernachlässigen ist, ich aber dennoch erwähnen möchte. Trotz dessen, dass TOOL es schaffen, die langen Songs sehr abwechslungsreich zu gestalten, kann das Erforschen der musikalischen Themen der Band für manchen Hörer mühsam sein. Nicht jeder kann sich an der Komplexität der Zählzeiten oder der Polyrhythmik auf Dauer erfreuen. Selbst Hörer, die mit der Band etwas anfangen können, mag es an einer gewissen Kompaktheit fehlen, die in früheren Songs, wie „Parabola“ oder „Vicarious“ gegeben war, aber in einer 13-minütigen, psychedelisch-progressiven Jam-Session, wie „Descending“, etwas fehlt und die musikalische Komplexität vielleicht ab einen gewissen Grad für den ein oder anderen anstrengend wird.

Letztlich bleibt zu sagen, dass „Fear Inoculum“ die lange Wartezeit wert war. Es ist nicht das beste Album der Band, aber defintiv ein großartiges Album.

03.09.2019

"Und sonst so?"

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