Ulcerate - Stare Into Death And Be Still

Review

Die Kiwis ULCERATE sind mit einer Bestehenszeit von siebzehn Jahren im Prinzip auch schon „altes Eisen“, zumindest in ihrem Land und ihrer musikalischen Sparte. Musikalisch allerdings noch lange nicht: Ihr Mix aus Dissonanzen, Black-Metal-Einflüssen und dem sowohl filigranen als auch rabiaten Spiel von Schlagzeuger Jamie Saint Merat, der sich auf den meisten Veröffentlichungen übrigens auch für Artwork, Lyrics und Produktion auszeichnet, wird in ihrer Richtung Death Metal als durchgehende Bank seit all diesen Jahren von Fans wie Kritik gefeiert. Sofern man nicht wie Ochs vorm Berg steht angesichts wirklich anstrengender Songs, die erarbeitet werden wollen. Weitere Merkmale auf die man bei jedem neuen Release bauen kann:

Etwa um die Stunde herum neues Material. Immer noch sind so etwas wie Eingängigkeit und griffige Refrains mit der Lupe zu suchen, eher gibt es ein Sound-Dickicht, in dem sich so etwas wie Sonnenschein, gute Laune und Frühlingsgefühle verfangen und Venusfliegenfallen-mäßig nicht mehr heraus gelassen werden. Immer noch gibt es keine richtigen Songs, ULCERATE nehmen diese vielmehr zum Anlass, um eine Atmosphäre der oppressiven Art über die komplette Laufzeit heraufzubeschwören.

Instrumental höchste Qualität aller Musiker ist ebenso garantiert. Nun sollte sich in den oftmals sehr undurchdringlichen und hoffnungslosen Sound von ULCERATE bei Erscheinen von „Shrines of Paralysis“  vor vier Jahren etwas tun: Eine neue gewonnene Offenheit im Sound, das Zurückschalten in langsamere und ruhigere Gefilde, mehr Melodie, schlicht und einfach mehr Emotionalität im sonst kalten und lichtlosen Kosmos, wenn auch nur in ganz kleinen, wohl dosierten Maßen. Das stand der Band ausgesprochen gut.

„Stare Into Death And Be Still“ führt die auf „Shrines of Paralysis“ gefundene emotionale Komponente weiter

Genau diese Richtung wird auf dem neuen Album quasi weiter geführt und ausgebaut. Wir haben hier immer noch ULCERATE vor uns, also sollte keiner KATATONIA erwarten. Diese kleinen Einschnitte sind inkrementell, aber mit durchaus messbarer Wirkung. Dies geschieht vorläufig über kleine, aber effektive Melodien im höheren Register, die sich über den Wirbelwind der sonstigen Zerstörung und Dissonanz bei ULCERATE legen. Das weiter akzentuierte Spiel mit den Dynamiken spielt sich aus, wirken die schroffen Attacken nach kurzen Pausen doch nur umso heftiger.  Beispiele, woran man dies festmachen kann: „Visceral Ends“ ist für ULCERATE-Verhältnisse sehr kurz, langsam und baut sich auf, bevor es in ein emotionales und eruptives Finale mündet. Im Albenkontext bringt das in der Mitte eine willkommene Abwechslung und Atempause, um sich zu sammeln und auf den letzten Akt vorzubereiten. „Inversion“ hat garstige und frostige Black-Metal-Einflüsse, aber auch einige der eingängigsten Riffs in vermutlich der gesamten Karriere von ULCERATE in Petto.

In Tracks wie „There Is No Horizon“ und „Exhale the Ash“ gibt es diese kurzen, ruhigen oder mit grooviger Rhythmik experimentierenden Parts, welche die Hoffnungslosigkeit ein wenig auflockern. Aber theoretisch sind auch diese kurzen, soften Passagen nur eine Weiterführung der verzweifelten Stimmung. War „Shrines of Paralysis“ noch der kalte und nackte Horror einer bedeutungslosen Existenz, ist „Stare Into Death And Be Still“ die Realisierung und Akzeptanz seiner eigenen Mortalität, nur gibt es mit dieser Realisierung keinen Trost oder eine kathartische Erlösung, sondern es gehen nur Bedauern, Trauer und Melancholie damit einher. Das ganze Album bietet in jedem seiner acht Tracks die gewohnten ULCERATE-Trademarks mit neu gewonnener emotionaler Schlagseite und auch – man glaubt es kaum – zuweilen Eingängigkeit feil.

ULCERATE liefern ihr bislang eingängigstes, nachvollziehbarstes und emotionalstes Album ab

Der Closer „Dissolved Orders“ und auch der Titelsong vermögen die lieb gewonnenen Trademarks der neuseeländischen Allzweck-Planierraupe ULCERATE mit diesen neuen emotionalen und äußerst eingängigen Passagen noch am besten zu kombinieren und fügen dem typischen Bandsound abermals eine weitere interessante Facette hinzu. Es gibt der Musik einen sehr viel besser fließenden Charakter. Ob „Stare Into Death And Be Still“ das beste Material von ULCERATE beinhaltet, mag angesichts der Frische erst zukünftig beurteilt werden. Aber die Neuseeländer zeigen, warum sie im extremen Metal immer noch relevant sind und es hoffentlich auch in Zukunft noch weiterhin bleiben werden. Großes Atmosphärekino!

20.04.2020
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