Vintersemestre - Kyrkkokyrpä
Review
Hinter der Black-Metal-Band VINTERSEMESTRE steckt eins der bestgehüteten Geheimnisse der finnischen Metalszene. Klar: Weder ist die Band häufiger mal live aufgetreten noch war der Rummel um sie jemals besonders groß, so dass großartige Spekulationen ausblieben, wer jetzt genau hinter der sechsköpfigen Formation steckt. VINTERSEMESTRE kamen aus Finnland, und die Mitglieder hörten auf Pseudonyme wie Flesh (Gesang, Gitarre), Torso (Gesang, Bass), Scroll (Gitarre), Rjl (Akustikgitarre), Skk (Keyboards) und Mck (Drums). Wer das jetzt genau ist – geschenkt. In den wenigen schriftlich geführten Interviews verrieten die Musiker lediglich, dass sie eigentlich in anderen Szenen zu Hause sind – was, soweit bekannt ist, tatsächlich stimmt. Dazu aber später noch.
Eins der bestgehüteten Geheimnisse
Dass man aber ab und zu an diese ungeklärte Urheberschaft erinnert wird, liegt an der Qualität des einzigen Albums „Kirkkokyrpä“, das 1996 in Kleinstauflage beim deutschen Label Autonomy Productions erschien. Im Jahr zuvor war bereits die EP „Jääverisaatana“ in den Handel gekommen, als die Plattenfirma noch unter dem Namen Malodorous Mangled Innards Records firmierte. Es ging also alles recht untergründig zu. Irgendwann nach Veröffentlichung von „Kirkkokyrpä“ verschwanden VINTERSEMESTRE aber wieder in dem Nebel, aus dem sie einst erschienen sind– jedenfalls war danach nie wieder etwas von ihnen zu hören. Außer vielleicht in der heimischen Anlage des geneigten Black-Metal-Fans.
Richtig, die Qualität: Die betrifft jetzt weniger den Titel der Scheibe („Kirkkokyrpä“ lässt sich mit ‚Kirchenschwanz‘ übersetzen – wobei der zweite Teil eindeutig vulgär gemeint ist), sondern die Musik: Das ist, kurz gesagt, oftmals schneller Black Metal mit originellen Riffs und flächigen Keyboards. Black Metal, bei dem genauso großer Wert auf Eingängigkeit gelegt wird wie auf einen mysteriösen Unterton.
Spirituelle Erfahrungen inmitten von Natur, Einsamkeit und schamanischen Ritualen
So dreht sich im Booklet alles um Zitate aus dem Tagebuch eines alten russischen Einsiedlers, der zu Beginn des letzten Jahrhunderts lebte und sich immer mehr aus der Gesellschaft zurückgezogen und stattdessen spirituelle Erfahrungen inmitten von Natur, Einsamkeit und schamanischen Ritualen gesucht hat. Dazu gibt es eine Reihe zeitgenössischer Fotos – verschneit, knorzig und bei aller Kirchenkritik mal was anderes als das sechshundertsechsundsechzigste umgedrehte Kreuz.
„Kyrkkokyrpä“ beginnt dann auch mit einem Intro, bei dem dieser Rückzug hörbar gemacht wird, wo die Stimmen langsam verschwinden und an ihre Stelle merkwürdiges Gitarrengezupfe tritt. Dann „Opus Dei“ – ein Stück mit Blastbeat, herrlich sägenden Gitarren und spacig flächigen Keyboards, vor allem aber mit einem genauso mysteriösen wie eingängigen Refrain sowie einer nachvollziehbaren Wendung – Songs schreiben können die Musiker also. Riffs auch: „Satanic Oath“ basiert eher auf einem gediegen angeschlagenen Tremoloriff, wohingegen bei „Tulivaunut“ das Keyboard die Melodie vorgibt und die Gitarren den Gegenpol bilden.
„Maigist“ prescht ohne Rücksicht auf Verluste nach vorne, wohingegen „Speak For Themselves“ von meditativem Gezupfe auf der Akustikgitarre eingeleitet wird. Die Akkordfolge ist dabei ebenso einschmeichelnd wie überraschend, und das eigentliche Stück schreitet eher kontrolliert und gemäßigt dahin. „Human Sacrifice“ klingt dagegen überdreht, nicht zuletzt durch den hysterisch krächzenden Gesang.
Überdreht und hysterisch
Wobei wir beim Thema sind: Wenn es einen Kritikpunkt an „Kyrkkokyrpä“ gibt, dann ist es ebenjener Gesang, der manchmal comichaft überzeichnet klingt. Wer von den beiden Vokalisten sich so ins Zeug gelegt hat, Flesh oder Torso, bleibt dabei selbstredend ein Geheimnis; sein Gegenpart klingt jedenfalls nicht ganz so überzogen. Aber das ist letztlich Geschmackssache.
Viel wichtiger ist die Qualität der Songs, und die ist nach wie vor beeindruckend. Jeder der neun Songs (das Intro „The Gathering“ klammern wir mal aus, wohingegen die beiden ineinander übergehenden Stücke „Tulivaunut“ und „Maigist“ eigentlich eigenständige Songs sind) hat seinen eigenen Charakter, ist eingängig und hat Wiedererkennungswert. Bei manchen Melodien, Akkordfolgen und Ideen kann man nur anerkennend nicken oder seinen imaginären Hut ziehen.
Zudem ist die instrumentale Performance überzeugend: Das Schlagzeug tackert lebendig und präzise, und unter den stets präsenten Keyboardflächen tummelt sich so manch cooler Gitarrenlauf. Das Ganze ist mit einer für die damalige Zeit absolut standesgemäßen und auch heute noch gut anhörbaren Produktion ausgestatte worden.
Anerkennendes Nicken für VINTERSEMESTRE
Wenn Ihr Vergleiche braucht, bitte: SETHERIAL können dabei ebenfalls genannt werden wie THY SERPENT oder die Norweger ODIUM. Und wo wir gerade beim Namedropping sind, können wir dann doch noch wenigstens ein paar Namen nennen, bei denen die Mitglieder von VINTERSEMESTRE sonst tätig waren: BARATHRUM, SOULGRIND und CHILDREN OF BODOM. Das muss reichen. Schließlich wollte die Band durch die Geheimniskrämerei erreichen, dass man in erster Linie über die Musik spricht. Das sollte in diesem Fall ja eigentlich Thema genug sein… und wie das mit den Geheimnissen so ist: Interessant bleiben sie, solange sie nicht gelüftet sind.
Vintersemestre - Kyrkkokyrpä
| Band | |
|---|---|
| Wertung | |
| User-Wertung | |
| Stile | Melodic Black Metal |
| Anzahl Songs | 9 |
| Spieldauer | 45:11 |
| Release | 01.08.1996 |
| Label | Autonomy Productions |
| Trackliste | 1. The Gathering (01:45) 2. Opus Dei (06:28) 3. The Darkness Of Asath (03:22) 4. Satanic Oath (04:45) 5. Tulivaunut / Maigist (07:22) 6. Speak For Themselves (07:14) 7. Human Sacrifice (03:34) 8. Kirvesviilto (03:52) 9. Nocturnal Witchery (06:49) |
