Der Teufel sitzt im Booking-Büro
Special
Der Festival-Sommer ist noch nicht richtig hinterm Horizont verschwunden, da rollen schon wieder die ersten Bandbestätigungen für die Saison 2026 an. Wir brauchen uns auch gar nicht darüber streiten, dass speziell größere Veranstaltungen quasi in der Pflicht stehen, für ein genreübergreifendes und vielfältiges Bühnenprogramm zu sorgen. Das Reload Festival schießt dabei aktuell den Vogel ab.
Scheiße mit Gold aufwiegen?
Schon allein die Ankündigung auf der Veranstaltungsseite liest sich dermaßen blumig, dass ich um 8 Uhr morgens zur Cowboy-Schorle greifen könnte. Da ist die Rede von „Zwischen hämmernden Gitarren und wütenden Drums bringen sie ihre Boom-Boom-Boom-Boom-Beats in die Moshpits …“ und dass das Reload Festival „um eine ungewohnte, aber willkommene Facette reicher“ wird. Um welche Combo geht es eigentlich? Keine Geringere (was nur schwer möglich ist) als die VENGABOYS mit ihrem 90er-Eurodance-Gekasper.
Intoleranz ist geil!
Ja, ja. Ich weiß, was ihr jetzt denkt: „Der Bursche schreit sonst immer nach mehr Toleranz und Offenheit und jetzt regt er sich über ein paar harmlose Holländer:innen auf, die er sich ja nicht anschauen muss.“ Sicher ist, dass ich mir die VENGABOYS nicht anschauen würde. Nicht, weil die Band ihr Handwerk nicht versteht, das tut sie in gewisser Weise bestimmt. Aber während sich ehrliche und hart arbeitende Musikschaffende Abend für Abend im Proberaum abrackern, um auch einmal vor größerem Publikum aufzutreten, reicht es offenbar nicht, wenn diese Band auf Mallorca oder Ibiza ihre eigentliche Zielgruppe bei Laune hält. Außerdem will ich verdammt sein, wenn ich mir Acts anschaue, die ich nicht mag.
Schlager, Volksmusik und kein Platz für Nachwuchs …
Wenn es um deplatziertes Booking geht, sind die VENGABOYS natürlich nicht die einzigen und schon gar nicht ersten ihrer Art. Eigentlich kräuseln sich meine Nasenhaare bereits zu Korkenzieherlöckchen, wenn die örtliche Blasmusik oder Feuerwehrkapelle ein Festival eröffnet. Mal ehrlich: Wer hört zuhause ernsthaft Marschmusik oder Heimatklänge? Lange Zeit bin ich schier wahnsinnig geworden, wenn ich beobachten musste, wie sich hunderte, mit Klobürsten bewaffnet und in unterirdische Einhornkostüme geschlüpft, zu GUTALAX ertüchtigten. Wie viele Menschen wohl im Besitz der Diskografie der Tschechen sind?
Schlimm wurde es für mein Seelchen, als HEINO und später dann auch BLÜMCHEN das Wacken Open Air bespielen durften und unzählige Menschen sie abgefeiert haben. Erstgenannter trat 2013 zusammen mit RAMMSTEIN auf und letztgenannte kam als Gast von LORD OF THE LOST auf die Bühne, was sich wenigstens der künstlerischen Freiheit der Bands zuschreiben lässt.
Wenn die Kasse klingelt …
Es wäre eigentlich tröstlich, wenn ich dem Bookingwahnsinn die Geldgier der Veranstaltenden vor den Karren spannen könnte. Aber werden wirklich mehr Tickets abgesetzt, nur weil im Nachmittagsslot ein unpassender Act spielt, über den sich – machen wir uns nichts vor – die meisten zahlenden Besucher:innen schlapp lachen? Vermeintliche Lücken im Line-up ließen sich anders schließen. Da fragt sich manch Konservativ-Metaller:in: „Wo kämen wir denn hin, wenn die unheiligen Äcker des Metal plötzlich von Menschen bevölkert werden, die Glitzer statt Corpsepaint im Gesicht oder Blumenkränze im Haar statt umgedrehten Kreuzen um den Hals tragen?“
Vielleicht liegt es aber auch an dem unstillbaren Durst, anders sein zu müssen. Youtuber:innen, Influencer:innen und die Vanlifer:innen von nebenan führen uns ja tagtäglich an der Nase herum. Oder wie es ein kleiner, grüner Jedimeister sagen würde: „Individualisten ihr sein müsst.“
Wenn dieses Gehabe allerdings auf eine größere Organisation wie ein Musikfestival abfärbt, wackelt der Schwanz mit dem Hund. Nebenbei bemerkt, unterscheiden wir uns nicht mehr voneinander, wenn wir uns alle auf die gleiche Art und Weise voneinander unterscheiden.
Ist das Kunst oder kann das weg?
Und weil ich mich gerade so schön in Rage schreibe, verliere ich gleich noch ein paar Sätze zu den KASSIERERN. Warum wird diese unsägliche Pseudo-Combo immer wieder damit beauftragt, mir durch schlechte Songs, fehlende Kenntnis an den Instrumenten und einen superpeinlichen Frontmann auf die Nerven zu gehen? Legendenstatus hin, Legendenstatus her. Wer ruft den eigentlich aus? Die fehlende Kompetenz ist vielleicht legendär, aber ansonsten stellen Bands wie die KASSIERER nichts anderes dar als einen Schlag in die Gesichter vieler talentierter Musiker:innen, die sich danach mit einem feuerroten Abdruck aller fünf Finger als Brandmahl der Hoffnungslosigkeit zeigen oder für immer ein Dasein in den dunkelsten Ecken des Underground fristen müssen. Da bekomme ich einen Hals, so dick wie ein Oberschenkel.
Im Grunde spricht aus mir ein verbitterter, alter Mann, der es nicht ertragen will, dass seiner Passion, die er im Heavy Metal gefunden hat, Unrecht getan wird. Wenn sich wider Erwarten Fans der VENGABOYS, HEINO und Co. auf diese Seite verlaufen und ihnen beim Lesen die Zornesröte im Gesicht aufsteigt, möchte ich mich aufrichtig entschuldigen. Ich will niemanden aufgrund des Musikgeschmacks diskreditieren. Wenn ich diese und ähnliche Acts im Billing eines nicht genre-übergreifenden Festivals sehe, habe ich aber eigentlich mehr Fragen als eine Meinung …
Von daher werfe ich vielleicht doch alle Zweifel über Bord und skandiere laut: „Make Some Noise For The VENGABOYS“!
