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Die Songs von "Wetterkreuz" - Ein Track-by-Track-Gespräch mit Bandkopf Alboin

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Mit „Wetterkreuz“ erscheint am 28. September das mittlerweile vierte Full-Length-Album der Bielefelder (Melodic-)Black-Metal-Band EÏS (ehemals GEÏST). Vorab durfte ich mich bereits in das Album hereinhören und habe mir meine Gedanken und Notizen zum Album gemacht. Deshalb ist dieses Track-by-Track auch kein Gewöhnliches geworden: In einem recht ausführlichem Chat-Gespräch haben Bandkopf Alboin und ich gegenseitig unsere Gedanken ausgetauscht, ich schrieb meine Meinung, er bezog dazu Stellung und tat seine kund – das Ergebnis lest ihr hier.

„Mann aus Stein“

Um gleich mal mit der Tür ins Haus zu fallen: „Mann aus Stein“ fängt in meinen Ohren schon sehr programmatisch für das Album an. Das emotionale, einsam-kalte Intro mit Sprachsamples und Sturmgeräuschen legt gleich zu Beginn den Grundtenor fest, das Einstiegsriff führt das dann direkt weiter. Auffällig finde ich an diesem Song vor allem, dass der Großteil im Uptempo gespielt ist, dann aber, wenn der Teil des Textes, der als Zitat markiert ist, aufhört und der Ich-Erzähler selbst zu Wort kommt, wird der musikalische Anteil tendenziell eher langsamer. Auch wenn ich nicht das Gefühl habe, die Texte des Albums bereits komplett durchdrungen zu haben, würde ich hier eine Einheit zwischen Musik und Texten unterstellen. Hier, gegen Ende des ersten Liedes, tritt dann auch eine der meiner Meinung nach interessantesten Neuerungen des Albums zum ersten Mal auf: die sowohl in Spielweise als auch durch die Produktion „zurückgenommen“ wirkende Leadgitarre, die sich dann ja (vor allem in den letzten beiden Songs) noch öfter hören lässt. Unter dem Strich würde ich zu „Mann aus Stein“ sagen: Obwohl das ganze Album „Kainsmal“-Merkmale in sich trägt, sehe ich diesen Song doch als am stärksten in dessen Tradition was das Riffing, die Atmosphäre und nicht zuletzt auch das gesprochene Intro und Outro angeht. War das Absicht, um von vornherein klarzustellen, wo es auf dem Album langgeht?

Der Song ist als erster nach dem Titeltrack entstanden (der Titeltrack ist wesentlich älter als der Rest des Albums), also relativ bald nach der Trennung von unseren alten Mitgliedern. Mir war wirklich sehr wichtig, mit den neuen Songs zu beweisen, was für uns als Band in musikalischer und textlicher Hinsicht wirklich wichtig ist. Allerdings musste und wollte ich das nicht der Außenwelt beweisen, sondern mir, nachdem ich drei Jahre lang keine Musik geschrieben hatte und ich die Identität der Band in einer Krise gesehen habe. Dieses Stück ist, noch mehr als der Rest des Albums, ein Destillat von allem, wofür EÏS steht. Natürlich sind die Elemente der gesprochenen Kinski-Zitate und auch das wirklich sehr straighte Riffing Aspekte, die unmittelbar an das „Kainsmal“-Album erinnern. Trotzdem empfinde ich „Mann aus Stein“ als sehr viel kälter, bedrohlicher und habe auch nicht bewusst versucht, unsere alten Alben zu imitieren, weil ich das schon rein emotional gar nicht kann.
Nicht zuletzt ist der Text sicherlich das Persönlichste, was ich jemals an Lyrik für EÏS geschrieben habe. Atmosphärisch sehe ich durchaus eine Einheit zwischen Text und Musik, aber die ist eher unbewusst bzw. natürlich entstanden und nicht konstruiert. Ich vermute einfach, dass sich in diesem Lied textliche und musikalischer Emotionen außergewöhnlich stark decken. Deshalb, aber auch wegen vieler vieler persönlicher Dinge, die an diesem Stück hängen, ist mir das Lied sehr wichtig und deshalb ein würdiger – und wenn man so will, sicherlich auch programmatischer – Opener für dieses Album.

 

 

„Auf kargen Klippen“

Dadurch, dass sich hier zeigt, dass auch auf „Wetterkreuz“ die Songs durch atmosphärische Ambient- und Sample-Zwischenspiele verbunden sind, haben wir dann auch die erste Parallele zu „Galeere“. Auf die ruhige, atmosphärische „Atempause“ folgt dann – wie noch öfter auf dem Album – ein ziemlich direkter, harter Einstieg: Es geht direkt mit hohem Tempo, mit Gesang, aber auch direkt melodisch los. Was die Melodien in „Auf kargen Klippen“ angeht: Da haben wir gleich zwei der eindringlichsten Leads des Albums (in dem Teil, den man das ‚Hauptriff‘ nennen könnte und nach dem ersten langsameren Part). Dann hast du darin ja auch einen rhythmischen Part, was ich persönlich sehr begrüße – die rhythmischeren Geschichten waren das, was mir seinerzeit mitunter am Besten an „Galeere“ gefallen hat, schön, dass die sich auch wieder auf „Wetterkreuz“ wiederfinden. Ebenfalls erwähnenswert: der gesprochene Part im letzten Drittel. Insgesamt würde ich sagen, dass dieser Song insofern sehr interessant ist, dass er auf sehr einfachen Mitteln aufbaut (einfache Leads, eine relativ einfache – aber dennoch EÏS-typische – Struktur, dem gesprochenen Teil) und gerade dadurch zu einem der hervorstechendsten Stücke des Albums (im positiven Sinne) wird.

Dankeschön. Unser Label Prophecy Productions hat diesen Song bewusst als denjenigen ausgewählt, der mit dem längsten Sample vorab und auch als erster Song des Albums der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Das hat meiner Einschätzung nach seine Gründe darin, dass „Auf kargen Klippen“ der wahrscheinlich am schnellsten zugängliche Track und, wenn man das bei acht Minuten Spielzeit sagen kann, auch der kürzeste ist. Er kommt nach dem Intro, das mich übrigens immer sehr an „Einst war es Wein“ von „Kainsmal“ erinnert, sehr schnell zum Punkt. Auch habe ich darin die vermutlich für Black Metal „typischsten“ Riff des Albums verwendet, und tatsächlich ist mir nach dem Arrangieren des Stückes auch aufgefallen, wie sehr die einzelnen Riffs sich festsetzen. Im Gegensatz zu vielen anderen Black-Metal-Musikern finde ich allerdings, dass Eingängigkeit durchaus ein Qualitätsmerkmal ist.
Der gesprochene Teil, den Du erwähnt hast und der am Ende des Liedes liegt, ist für mich eine Neuerung. Solche Passagen hatten wir bisher nicht, allerdings bot sich diese Textpassage einfach nicht für einen klassischen Kreischgesang an. Sowas habe ich schon bei AGRYPNIE und auch auf dem ersten LANTLÔS-Album ausprobiert und hatte den Eindruck, dass dieses Stilmittel in „Auf kargen Klippen“ auch funktionieren könnte. Dass der Track durch Ambiente mit „Mann aus Stein“ und auch dem Titelsong verbunden ist, wie alle anderen Songs untereinander auch, ist übrigens wirklich eine Parallele zu „Galeere“ und etwas, das mir sehr wichtig ist. Ein wirklich atmosphärisches Album darf einen Hörer zwischen den Songs nicht „freilassen“, finde ich.

Mit den gesprochenen Passagen hattest du, denke ich, den richtigen Eindruck – gerade diese Passage fühlt sich, im „emotionalen Kontext“ des Stückes betrachtet, für mich als so etwas wie der Höhepunkt an – insofern also eine gute Entscheidung, würde ich meinen.

Freut mich, dass einem aufmerksamen Journalisten und Kenner unserer früheren Alben auch solche Details nicht verborgen bleiben!

Ein Wort noch zum Lyrischen: Ich verstehe den lyrischen Zusammenhang mit dem Outro von „Mann aus Stein“ ehrlich gesagt nicht ganz – immerhin findet der Protagonist dort doch einen lebendigen (oder belebten) Hain, als er auf die Klippen zurückkehrt … und nun sind die Klippen wieder karg. Ist das als Rückblick, als Erinnerung gedacht? Oder wie ist das zu verstehen?

Textlich gibt es da keinen Zusammenhang. Bis auf „Mann aus Stein“ und den letzten Track „Bei den Sternen“ waren wir uns bei der Trackreihenfolge auch nicht ganz sicher. Die Entscheidung für „Auf kargen Klippen“ als zweites Lied haben wir dann eher aus musikalischen Beweggründen getroffen. Das Album erzählt keine textlich miteinander zusammenhängenden Dinge – dass wir Kinski im Outro von „Mann aus Stein“ von Klippen haben sprechen lassen, und der Song darauf das Wort im Titel trägt, ist also Zufall.

In Ordnung, dann habe ich da also überinterpretiert.

Das würde ich so nicht sagen. Du hast nur Zusammenhänge versucht zu sehen, die man auch annehmen konnte, die es aber an dieser Stelle einfach nicht gibt.

Hm, ja, das mag sein.
Von meiner Seite aus wäre es das zu „Auf kargen Klippen“, dann würde ich zu „Wetterkreuz“ übergehen, wenn du einverstanden bist.

Okay.

 

 

„Wetterkreuz“

„Wetterkreuz“ fängt dann meines Erachtens mit seinen langsamen, ausklingenden, kalten Akkorden wieder „Galeere“-artig an – wenn du sagst, dass dieser Song sehr viel früher entstanden ist als der Rest des Albums, dann ist das wohl ein eindeutiges Zeichen dafür?
Daran anschließend hören wie disharmonisch geprägtes Gitarrenspiel, den Grundtenor dieses Songs würde ich zwar wie bei den anderen Songs auch als kalt beschreiben, hier haben wir aber meiner Meinung nach keine einsame, verzweifelte Kälte, sondern mehr eine kalte Wut. Das wird ergänzt durch einen weiteren eher rhythmischen Part, auch finden sich Keyboards, die zwar gut hörbar sind, aber doch eher hintergründig agieren und einen „Soundteppich“ ausrollen. Auch, wenn es im letzten Drittel wieder eher EÏS-typisch zugeht (was nicht heißen soll, dass sich der Rest nicht perfekt zwischen die anderen Songs einreiht), mit deinen unverkennbaren, melancholischen Melodien zum Beispiel, würde ich den Song grundsätzlich als stark vom relativ klassischen, norwegischen Black Metal beeinflusst sehen. (Zumindest stärker, als das sonst bei GEÏST/EÏS der Fall ist/war.) Die angesprochenen Keyboards zum Beispiel erinnern mich stellenweise an die ganz alten DIMMU BORGIR (bis „Stormblåst“), das Riffing an die letzten zwei oder drei TSJUDER-Alben. Du sagtest ja, du würdest „Auf kargen Klippen“ als den „typischsten“ Black-Metal-Song sehen – kannst du meinen Eindruck denn zumindest ansatzweise nachvollziehen?

Das kann ich auf jeden Fall nachvollziehen, ja. Das Stück „Wetterkreuz“ ist tatsächlich etwa ein Jahr oder eineinhalb Jahre nach dem „Galeere“-Album entstanden, und zwar aus Ideen, die ich noch während der Aufnahmen zu „Galeere“ und der Zeit danach gesammelt hatte. Riffs und Fragmente hatte ich zu dieser Zeit viele, auch sehr viele verschiedene Versionen, die sich in Stimmung und Arrangement grob unterschieden haben. Lange wusste ich nicht, welche Richtung das Stück nehmen würde. Seinen Feinschliff hat es dann erst während der Proben für die „Wetterkreuz“-Aufnahmen zusammen mit unserem Drummer Marlek bekommen, bei denen wir vieles gestrafft oder feiner ausgearbeitet haben. Erst dadurch hat das Lied endgültig diesen typisch skandinavischen, windigen Charakter bekommen, den Du jetzt hörst. Vielleicht nehme ich das auch wegen der Ausnahmestellung des Stückes anders wahr.
Woran das Riffing erinnert, ist eine Frage, die sicherlich je nach individueller Präferenz jeder anders beantwortet… meine Favoriten, wenn es um klassischen norwegischen Black Metal angeht, sind eher EMPEROR, TROLL oder COVENANT als TSJUDER, von denen ich sicherlich nicht mal einen Albumtitel zusammenbekomme. Für mich hat „Wetterkreuz“, abgesehen von dem sehr langsamen, atmosphärischen Rahmen in seinem Mittelteil, viel von diesen Bands.
Die „kalte Wut“, die Du beschreibst, ist für mich textlich bedingt, aber ich spüre sie auch, ja. Der Text ist atmosphärisch und in seinen fast menschenfeindlichen Wünschen nach Isolation und Anklage sehr nahe an dem Titelstück von „Kainsmal“ und auch ganz anders formuliert als die anderen Texte des Albums. Das ganze Lied ist offensiver und antreibender, aber auch selbst getrieben von dem Wunsch, vielem den Rücken zuzukehren.

Gut, jetzt wo du es sagst, kann ich zumindest EMPEROR und TROLL auch als Vergleiche nachvollziehen, wobei ich dabei bleibe, dass jüngere TSJUDER stilistisch auch nicht ganz so fern sind. Aber wie du sagst: Das nimmt man wahrscheinlich je nach persönlichen Präferenzen wahr.

Ja, sicherlich. Wobei TSJUDER natürlich auch eine Band sind, die die noch älteren norwegischen Bands auch hoch- und runtergehört hat, von daher … da kann man die gegenseitigen Einflüsse vielleicht auch nicht mehr klar auseinander dividieren.

Sicher, gerade in Norwegen sind die gegenseitigen Einflüsse ja eher schwer voneinander abzugrenzen.
Dann würde ich auch zu „Am Abgrund“ weitergehen.

 

„Am Abgrund“

Und noch einmal ein krasser, harter Einstieg: Sofort erwartet den Hörer schnelles Tempo, sofort bekommt er Gesang. Spätestens hier wird das irgendwo ein Markenzeichen des Albums, finde ich. (Wobei ihr das ja auch früher schon mal gemacht habt.) Und wo wir gerade bei Markenzeichen sind: Hier taucht dann auch die Leadgitarre wieder auf, die ich schon im Zuge von „Mann aus Stein“ nannte, und die ein bisschen zurückgenommen wirkt, als würde sie sich hintergründig ins Bewusstsein „schleichen“ wollen. Das ist schon eine kleine Neuerung auf „Wetterkreuz“, oder? Zumindest wäre mir das auf euren älteren Alben nicht so stark ausgeprägt aufgefallen.
Interessant ist an dieser Stelle auch, dass du „Mann aus Stein“ als – wie du sagst – „Destillat“ dessen, was die Band ausmacht, siehst, denn ich hätte gesagt, dass – was Riffing, Stimmung, Struktur, Melodien angeht – dieses Stück noch ein bisschen eher der „typische“ EÏS-Song ist (wenn es denn so etwas überhaupt gibt).
Was mir an diesem Stück übrigens besonders positiv aufgefallen ist, ist das Ende: Die Gitarren muten da sehr, sehr erhaben an – wenn ich den Text richtig interpretiere, durchaus auch hier in Einklang mit der lyrischen Seite.

Über die Verteilung des Gesangs habe ich mir offengestanden noch gar keine großen Gedanken gemacht. Natürlich ist das im Studio passiert und passt meinem Empfinden nach auch gut, wie es ist, aber es sollte kein Markenzeichen werden, dass wir sofort hart einsteigen – zudem das im Grunde nur hier wirklich so ist.
Die Leadgitarre war kompositorisch für mich schon immer sehr wichtig und spielt eigentlich auch auf allen Alben dieselbe wichtige Rolle. Dass wir sie auf „Wetterkreuz“ noch tiefer in den Gesamtklang integriert haben, dass man schon sehr genau hinhören und sie mit ihren feinen Details fast entdecken muss, ist sicherlich ein kleiner Unterschied zu beispielsweise „Galeere“. Das ist aber auch notwendig gewesen, um einen insgesamt roheren Sound zu erreichen, der natürlich maßgeblich von dieser Wand aus Mollakkord-Rhythmusgitarren geprägt ist und mit dem wir diese Breite und Flächigkeit erreicht haben, die für die Bergthematik des Albums so wichtig ist.
Sehr interessant ist, dass Du ausgerechnet diesen Song als so EÏS-typisch empfindest, denn das ist er für mich gerade nicht. Im Gegenteil finde ich ihn sehr divers, mit seinem sehr schnellen Einstiegspart, einem Elektro-Mittelteil und einem Schlussteil, der selbst für unsere atmosphärischsten Songs für mich schon außergewöhnlich episch wirkt (und ja, ich finde auch, dass er damit sehr in Einklang mit dem Text steht). Das sind drei Dinge, die sonst schwer in einem Song funktionieren und die wir in dieser Kombination auch noch nicht in einem Stück verwendet haben. Letztlich reden wir hier im Grunde auch über eine so feine Detailwahrnehmung und über so subjektive Eindrücke, dass eigentlich jede Meinung dazu gelten kann.

Gut, natürlich, der Elektro-Mittelteil fällt da heraus. Ich habe eben die grundlegende Stimmung, die Struktur und auch das epische Ende als eher typisch erlebt – vielleicht habe ich da aber die Gesamtkomposition nicht so ganz berücksichtigt.

Wie gesagt, jeder Hörer nimmt einfach andere Dinge als prägend wahr, und auch eine andere Stimmung, insofern ist wohl jeder Eindruck richtig.

Ein kleines bisschen Widersprechen möchte ich dir allerdings in Bezug auf den harten Einstieg – ich denke, der kommt schon auch in „Auf kargen Klippen“ zu tragen. Dort wird zwar eine ambiente Verbindung zum vorherigen Track, „Mann aus Stein“, geschaffen, der „metallische“ Teil kommt dort aber ähnlich abrupt, zwar durch eine Steigerung der ambienten Teile eingeleitet, aber schon als „harte Wand“ für den Hörer. Zumindest war das mein Eindruck.
Aber wahrscheinlich ist auch das eher persönlicher Eindruck.

Gut, wenn man das auf den Einstieg der metallischen Parts bezieht, dann hast Du sicherlich Recht, ja. Das habe ich dann eben anders verstanden.

Gut, dann würde ich schon zum Abschluss kommen, „Bei den Sternen“.

 

„Bei den Sternen“

Wieder haben wir hier wie bei der Eröffnung des Albums eine wirklich schöne Verschmelzung von gesprochenem Intro und dem musikalischen Beginn des Liedes, dadurch, dass die von Kinskis markanter Stimme und seinem markanten Sprachrhythmus eingeführte Stimmung (melancholisch, aber erhaben) musikalisch aufgenommen und weitergeführt wird. Da du ja sagtest, dass dieser Song zusammen mit dem ersten, „Mann aus Stein“, als einziger von Anfang an fest seinen Platz auf dem Album hatte, würde ich davon ausgehen, dass ihr hier bewusst einen Bogen zurück zum Anfang schlagt – liege ich da richtig?
Wieder treffen wir hier auch diese „zurückgenommene“ Leadgitarre, von der ich oben bereits sprach, die übrigens eine der eindringlichsten und melancholischsten Melodien, die EÏS meiner Meinung nach je aufgenommen haben, spielt. Nach einem für mich recht rockig anmutenden Midtempo-Part im Mittelteil, geht es dann zurück in die tolle Melodie vom Anfang und – wie bisher eigentlich auf allen EÏS-Alben – auf ein Ende zu, dass nochmal einen emotionalen Höhepunkt darstellt.
Insgesamt würde ich diesen Song als die Quintessenz des Albums, die Vereinigung der hervorstechenden Merkmale von „Wetterkreuz“ ansehen, der dem Album einen schönen runden und eben auch sehr emotionalen Abschluss verleiht. (Allerdings bin ich mir auch nicht ganz sicher, ob ich was die „Quintessenz“ angeht nicht wieder Dinge sehe, die vielleicht gar nicht da sind.)

Was ist denn diese Quintessenz für Dich?

Na ja, im Grunde viele der oben genannten Dinge. Die kalte Atmosphäre, die eindringlichen, sich oft auch „nur“ hintergründig ins Bewusstsein bohrenden Melodien, aber auch eine Härte, die ich so bisher nicht von euch kannte. Dazu immer wieder emotionale Höhepunkte. So in etwa.
Wobei „Quintessenz“ vielleicht nicht das richtige Wort ist. Man könnte sagen, eine Zusammenkunft der auffälligen Charakteristika des Albums, vielleicht ist das besser.

Ja, das sind sicherlich Dinge, die dieses Album wesentlich prägen, das stimmt. Vor allem ist uns aber die Weite und Verlorenheit, eine feindselige, lebensferne Kargheit auf diesem Album wichtig gewesen. „Bei den Sternen“ ist so etwas wie eine Loslösung von der Bindung an die Erde, die Steine, und eine Art Frieden oder zumindest eine Ahnung einer Lösung am Ende des Albums. Die Hauptriffs des Liedes habe ich nicht erdacht, sondern sie sind mir, sozusagen, in einem sehr unerwartet magischen Moment geschenkt worden. Das hat sich emotional sehr eingebrannt und dafür gesorgt, dass ich das Stück nicht hören kann, ohne wenigstens einen Kloß im Hals zu spüren. Das haben wir versucht, auch in dem Stück selbst umzusetzen, was eine Menge Feingefühl gekostet hat. Da stimme ich Dir sehr zu, der Song ist auch für mich das wahrscheinlich Melancholischste, was wir bis jetzt aufgenommen haben.
Das kurze Kinski-Sample zu Beginn ist für mich übrigens sehr programmatisch, einmal, weil es den Bogen zu „Mann aus Stein“ schlägt, zum anderen, weil es wie in „Kainsmal“ ein von Kinski gelesenes Nietzsche-Gedicht ist. Ich mag solche Querverweise zu früheren Songs, sowohl in Details wie auch textlich. Meinem Empfinden nach verstärkt das die Wirkung eines Songs enorm, weil zumindest ich mich darin dann sehr schnell sehr geborgen fühle.

Strukturell steht „Bei den Sternen“ für mich in einer Linie mit den Abschlussstücken der vorigen Alben, es trägt für mich das Beste aus „Spätsommerabende“ von „Patina“, dem Song „Kainsmal“ und dem ja wirklich sehr ausladend-düsteren „Unter toten Kapitänen“ in sich. Es ist selbst ein klassisches Abschlusstück, und wie die anderen auch, weist es thematisch bereits über das Album hinaus, das es ausleitet. Ein Stück, mit dem ich mit „Wetterkreuz“ abschließen und meinen Frieden damit finden kann.

Das ist glaube ich ein schönes Schlusswort – alles, was ich dazu noch anmerken könnte, passt genauso gut in das „reguläre“ Interview, das wir ja auch noch führen wollen.

01.09.2012
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