Falks Blick über den Tellerrand
Ausgabe 2: Starofash

Special

Falks Blick über den Tellerrand

Willkommen zu Teil 2 meines persönlichen „Blicks über den Tellerrand“ – hat ja lange genug gedauert: Seit Teil 1 sind immerhin fast zehn Monate vergangen (unter „regelmäßig“ hatte ich mir zugegebenermaßen etwas Anderes vorgestellt…)! Anders als vielleicht zu erwarten wäre (als Kompensation sozusagen), blicke ich heute aber gar nicht so besonders weit über den Tellerrand – fast im Gegenteil: Mit STAROFASH möchte ich heute ein Projekt vorstellen, dass a) gewisse Verbindungen zur Metal-Landschaft besitzt und b) sogar schon auf diesen Seiten aufgetaucht ist, in den vergangenen Jahren aber geradezu sträflich ignoriert wurde. Das soll sich heute ändern.

Bei STAROFASH handelt es sich um das Solo-Projekt einer Künstlerin namens Heidi S. Tveitan. Tveitan? Da war doch was? Richtig: Heidis Mann trägt den Vornamen Vegard und könnte dem einen oder anderen Leser unter seinem Pseudonym IHSAHN bekannt sein. Außerdem (das „S.“ steht für Solberg) demonstriert auch Bruder Einar (Keyboarder und Sänger von LEPROUS, zuletzt auch Live-Keyboarder bei EMPEROR) das musikalische Talent der Familie. Vor einigen Jahren hat Frau Tveitan ihren nom de guerre Ihriel abgelegt und zeitgleich das Projekt PECCATUM (bei dem mit Pål „Lord Pz“ Solberg ein weiterer Bruder beteiligt war) zu Grabe getragen. Seitdem ist Heidi S. Tveitan vermeintlich eher im Hintergrund aktiv: Zusammen mit ihrem Mann betreibt sie das kleine Label Mnemosyne Productions sowie das Symphonique Studio in Notodden.

…aber da gibt es eben auch noch STAROFASH: Wenngleich es zeitliche Überschneidungen zwischen Heidis Projekt und den oben genannten PECCATUM gibt, ist die Idee, dass STAROFASH ein wenig das „Erbe“ PECCATUMs sind, nicht von der Hand zu weisen. Zu ähnlich sind sich die musikalischen Ansätze, die in beiden Projekten zu hören sind – angesichts des Ursprungs der musikalischen Ideen allerdings auch kein Wunder. Sicherlich waren PECCATUM immer deutlich metallischer als STAROFASH; das im Fokus dieses Blicks über den Tellerrand stehende Projekt hat mich jedoch immer durch seinen wenig dogmatischen Umgang mit schweren Gitarren begeistern können…

Los ging es mit STAROFASH im Jahr 2002, als das Debut „Iter.Viator“ (lateinisch in etwa: „Straßen.Wanderer“) über Jester Records (u.a. ULVER, HEAD CONTROL SYSTEM) erschien.

 

01 Blue Chasm
02 Sanies
03 Beautiful As Torment
04 Death Salutes Atropos
05 The Nudity Of Light
06 Odie Et Amo
07 In The Throws Of Guilt

Wie bereits angedeutet, ist „Iter.Viator“ noch enorm von STAROFASHs Verwandtschaft zu PECCATUM geprägt: Es gibt viele neoklassische Elemente zu bewundern, die es dem Hörer nicht immer leicht machen – zuweilen entsteht der Eindruck, dass die (zugegebenermaßen) grandiosen Arrangements in erster Linie Selbstzweck sind und weniger der Wirkung wegen ihren Platz in den sieben Kompositionen haben. Wer die harmonischen Wege und Auflösungen PECCATUMs kennt, dürfte also auf „Iter.Viator“ in dieser Hinsicht keine Überraschungen erleben. Ein klein wenig anders gestaltet sich das Bild, wenn man die Instrumentierung in den Fokus rückt: Die Gitarren halten sich insgesamt etwas zurück (sind aber nicht ganz verschwunden) und schaffen Räume für die bereits erwähnten neoklassischen Elemente, aber auch den Bass, der (genau wie die Gitarren) weitgehend von IHSAHN himself bedient wird und der glücklicherweise aus seiner Klischee-Rolle des Grundton-Begleit-Instruments heraustritt.

Was auf Ebene des Basses ungemein positiv auffällt, ist aber gleichzeitig wohl auch die einzige vermeintliche Schwäche „Iter.Viator“s: Die Vielzahl an Ideen und Motiven, der facettenreiche musikalische Ausdruck, die zahlreichen Ebenen der Musik – all das wirkt in seiner Gesamtheit wie die „Sturm und Drang“-Phase einer  Künstlerin, die noch auf dem Weg dazu ist, ihre überbordende Kreativität zu kanalisieren, in Form zu gießen. Es ist nicht einfach, STAROFASHs künstlerischer Vision auf „Iter.Viator“ zu folgen – doch hat man als Hörer einmal den sprichwörtlichen roten Faden in der Hand, lohnt es sich, Heidi S. Tveitan in ihre musikalische Welt zu folgen…

 

Apropos „roter Faden“: Sechs Jahre später veröffentlichte STAROFASH über das eigene Label das Album „The Thread“, das damals auch bei metal.de auf offene Ohren stieß.

01 How To Invent A Heart
02 Him And Her
03 The World Spins For You
04 Drag Them Down
05 The Snake Pit
06 An Apology Gone Bad
07 Blood, Bones And A Skull
08 Crossing Over

09 Epilogue
10 Neo Drugismo

Ich weiß, dass „Nomen Est Omen“ eine beliebte Phrase für das sprichwörtliche Schwein ist – jedoch kann man angesichts der künstlerischen Unbändigkeit des Vorgängers und der Ausrichtung des Zweitlings gar nicht anders: „The Thread“ ist für STAROFASH-Verhältnisse der Musik gewordene rote Faden. Man bekommt den Eindruck, als sei es Heidi S. Tveitan nunmehr deutlich besser gelungen, ihre Kreativität in geordnete Bahnen zu lenken, einen integren Ausdruck zu finden, klanglich homogen zu agieren. Einerseits liegt das sicherlich an der einheitlicheren Instrumentierung, die – wie auch Heidi selbst in Interviews bestätigt hat – im Wesentlichen auf dem Klavier fußt, andererseits eben auch daran, dass das Form gebende Instrument auch wesentlicher Ursprung der musikalischen Motive ist. Selbstverständlich werden diese Motive durch weitere Instrumente ergänzt, doch das klangliche Gesamtbild ist deutlich weniger fordernd und damit nicht nur songdienlich, sondern auch gänzlich im Dienst der Atmosphäre.

Um die atmosphärische Dimension „The Thread“s weiter auszudehnen, ist auf dem Album einmal mehr Krystoffer „Garm“ Rygg (ULVER) zu hören, der bereits „Iter.Viator“ seine Stimme geliehen hatte, dort allerdings ein wenig in der Flut musikalischer Eindrücke untergegangen war. Hier jedoch sticht Rygg entweder solo („Blood, Bones And A Skull“) oder im Duett mit Heidi („Crossing Over“) hervor und bereichert STAROFASH mit seiner charmanten Stimme, ohne dabei an Integrität einzubüßen. Apropos Stimme: Anders als zu PECCATUM- und „Iter.Viator“-Zeiten gelingt es auch Heidi auf „The Thread“, ihre Stimme songdienlicher und weniger kontrastiert einzusetzen, sie hierdurch in ihre Musik vollends zu integrieren.

All das macht „The Thread“ zu einem Album, das eine ganz fragile Melancholie transportiert, von nicht gänzlich erfüllter Liebe erzählt. Es klingt wie das Album von Jemandem, der eigentlich glücklich ist, sich aber in einem Moment der Stille mit dem Gedanken beschäftigt, dass vielleicht nicht alles Gold ist, das glänzt. „The Thread“ ist – wenn auch knapp – mein persönlicher Favorit aus dem Klangkosmos STAROFASHs.

 

Bevor STAROFASH jedoch ihr nächstes Studio-Album veröffentlichten, wurde es Zeit für ein Experiment, wie es bereits ULVER mehrfach unternommen hatten:

01 The Dream
02 Yellow Light
03 He Waits
04 Alone At Last
05 The Letter
06 Girls On Benches
07 In Love
08 Sleeping Spy
09 Michael
10 Run Sophie
11 Bad Dreams
12 No Pulse
13 Wake Up
14 Make Up
15 Someone In The House
16 No Jacob’s Dream 1
17 Still Alone
18 Dark Street
19 Get Out Of My Life
20 No Jacob’s Dream 2
21 Empty Me
22 Sophie’s Theme

Einige Berührungspunkte mit ULVER liegen auf der Hand und wurden teils auch schon thematisiert: Sowohl ULVER als auch EMPEROR gehör(t)en zu den prägenden Bands des norwegischen Black Metals, ULVERs Krystoffer Rygg trat als Gastsänger auf „Iter.Viator“ und „The Thread“ in Erscheinung – mit „Ulterior“ kommt eine weitere Gemeinsamkeit zwischen ULVER und STAROFASH dazu: Auch Heidi S. Tveitan versuchte sich 2009 mit „Ulterior The Soundtrack“ an Filmmusik [ULVER haben mit „Lyckantropen Themes“, „Svidd Neger“ und „UNO“ bereits drei Soundtracks veröffentlicht oder zu ihnen beigetragen]. Die 22 Songs zeichnen sich einmal mehr und noch stärker als „The Thread“ durch einen roten Faden aus – die verwendeten Motive sind eng miteinander verwandt, werden verknüpft, verwoben und dadurch zu einem dichten Klang-Erlebnis, das zwar weniger die „Seele“ STAROFASHs transportiert, nichtsdestoweniger aber einmal mehr die musikalische Klasse der Familie Tveitan demonstriert. Ein gelungenes Experiment, allerdings kommt „Ulterior The Soundtrack“ trotz seiner atmosphärischen Integrität nicht an die „regulären“ Alben STAROFASHs heran.

 

Ein Jahr nach der Veröffentlichung von „Ulterior The Soundtrack“ erblickte mit „Lakhesis“ das dritte Album STAROFASHs das Licht der Welt.

01 Panther In The Glove
02 Ghosts Holding Hands
03 Sunlight Scattered
04 The Night Sky
05 Nona
06 A Thief In The Night
07 The Ceryneian Hind
08 The Fooling Of The Fates

„Lakhesis“ stellt in gewisser Hinsicht eine Rückbesinnung STAROFASHs dar. War „The Thread“ bereits sehr einheitlich, in sich geschlossen – und ähnelte damit durchaus einem Soundtrack, den es später mit „Ulterior The Soundtrack“ sogar gab (und auf dem die klangliche Einheit noch weiter gesteigert wurde) – war auf diesem Album folgerichtig die unbändige Kreativität Heidi S. Tveitans, der Ideen-Reichtum, der visionäre Geist dieser Künstlerin etwas in den Hintergrund getreten. Auf „Lakhesis“ lässt Heidi ihrer Kreativität wieder etwas freieren Lauf – und nicht nur ihrer eigenen, sondern auch der ihres Mannes, der auch bei STAROFASH einmal mehr wunderbar progressive Gitarrenarbeit abliefert, und der ihres Bruders Einar, der sich bereits bei LEPROUS stimmlich austoben darf, hier jedoch stellenweise zerbrechlicher wirkt als in seinem „Haupt-Job“.

Mit „Panther In The Glove“, „Nona“ und „The Fooling Of The Fates“ sind auf „Lakhesis“ mindestens drei Songs vertreten, die in bester PECCATUM-Tradition stehen, jedoch sowohl in ihrem Klang als auch in ihren Arrangements die Reife zeigen, die sich Heidi und damit auch STAROFASH seit PECCATUM-Zeiten angeeignet hatte. Die überbordende Kreativität bringt jedoch auch ihre Opfer – so kann ich „Sunlight Scattered“ bis heute nur ansatzweise nachvollziehen und stoße mich schwer an Heidis Gesang, den ich (zugegeben) schon auf PECCATUM-Veröffentlichungen zuweilen anstrengend fand und in diesem speziellen Fall völlig unpassend finde. Die anfangs genannten Songs entschädigen jedoch für Schwächen wie eben „Sunlight Scattered“.

 

Danach wurde es wieder einige Zeit still um STAROFASH. Vielleicht waren es die IHSAHN-Alben „After„, „Eremita“ und „Das Seelenbrechen„, die – da neben Candlelight auch über Mnemosyne veröffentlicht – zu weit im Vordergrund standen, vielleicht waren es LEPROUS‘ „Bilateral“ und „Coal„; jedenfalls passierte viel zu lange nichts. Dann jedoch startete STAROFASH das Projekt „Ghouleh“, das einmal mehr sehr experimentellen Charakter besaß:

01 Silva Magna
02 Walk With Me
03 The Sleepwalker
04 Storm Clouds
05 The Awakening
06 Meteors In June
07 Shimmer
08 Draum
09 Summer Goes Autumn
10 Ghouleh
11 Translucent
12 Isøde
13 Storm Clouds II

„Ghouleh“ steht einerseits in der kreativen Tradition STAROFASHs – eine beeindruckende musikalische Bandbreite, kaum stilistische Grenzen -, andererseits sind die Songs auf „Ghouleh“ das Resultat eines Projektes, das Heidi mit „Ein Song pro Monat“ umschrieben hatte: So war es ihr erklärtes Ziel, auf STAROFASHs Soundcloud-Seite jeden Monat einen Song zu veröffentlichen und auf diesem Weg zum nächsten Album zu kommen. So sind – mit Ausnahme des Bonustracks „Storm Clouds II“ – bis heute alle zwölf Songs des Projektes „Ghouleh“ dort im Stream anhörbar.

Auf „Ghouleh“ bewegt sich STAROFASH wieder einen großen Schritt von gitarrendominierter Musik in Richtung elektronischer und neoklassischer Klänge: Ambient, Soundtrack, vorsichtiger Trip Hop – all das findet man auf „Ghouleh“, jedoch gelingt es STAROFASH einmal mehr, den roten Faden sichtbar, greifbar zu machen. Damit steht „Ghouleh“ ein wenig in der Tradition „The Thread“s – wenngleich der rote Faden dort prominenter und das Album atmosphärisch schlüssiger ist -, aber auch in der musikalischen Nähe von „Ulterior The Soundtrack“. Vielleicht ist dieser Spagat der Tatsache geschuldet, dass die Songs zwar alle dem gleichen Gedanken, dem gleichen Experiment entspringen, jedoch über einen längeren Zeitraum entstanden und damit ganz unterschiedliche Stimmungen einfangen.

27.12.2014
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