Gravenhorsts Graveyard
Sind denn alle verrückt geworden?

Special

Während der Pandemie bin ich vor allem um kleinere Bands in Sorge geraten. Die andauernde Stille in den Clubs bedeutet für sie den Verlust der wichtigsten Plattform, auf der sie Werbung für sich machen können, Tonträger verkaufen und in den Austausch mit anderen kommen konnten. Umso mehr habe ich mich darüber gefreut, dass vor einigen Wochen das äußerst charmante Underground-Festival „Geh ma Ziegenbrink“ in Osnabrück mit YACOPSAE, BAERUS, NO SHELTER und anderen sehr hörenswerten Bands stattfinden konnte.

Und als rechtschaffener Metaller habe ich mir auch Geld eingepackt, um mir CDs der Bands kaufen zu können. Ja, CDs, weil ich sie praktischer als andere Tonträger finde. Sie bieten eine hohe Klangqualität, sind handlich und lassen sich leicht digitalisieren. Ich muss mich also nicht auf das Wohlwollen der Band oder des Labels verlassen, dass sie einen Download-Code beilegt. Allerdings gab es bei keiner Band, von der ich mir Tonträger kaufen wollte, den kleinen Silberling. Dafür fanden sich praktisch überall Tapes und Vinyl im Angebot. Ich konnte mich damit arrangieren und habe mir die neuen Scheiben von POGENDROBLEM und WEAK TIES gekauft.

Common sense

Nichtsdestotrotz ging mir dieses Thema nicht mehr aus dem Kopf: Warum sind CDs so unbeliebt? Ich bin in dieser Frage befangen, weil ich als Kind der 2000er Jahre sehr viel mit diesem Format zu tun hatte, aber dennoch gibt es einige Argumente dafür, die sich auch mit dem Verweis auf meiner Voreingenommenheit nicht ausräumen lassen.

Die CD gehört immernoch zu den Formaten mit der besten Klangqualität. Die Samplingrate von 1.441 kbit/s wird allenfalls noch von High-Resolution-Audio (9.216 kbit/s) geschlagen. Obwohl die Technik existiert, braucht sie auf dem Streamingmarkt noch, um sich durchzusetzen. Spotify überträgt mit maximal 320 kBit/s, wobei Konkurrenten wie Tidal und Deezer schon seit längerem Pakete mit höheren Raten anbieten anbieten. Auch der Marktführer will in den nächsten Jahren nachziehen. Es ist also absehbar, dass die CD zukünftig ihre führende Stellung verlieren wird, aber sie wird wohl trotzdem der Tonträger mit der höchsten Tonqualität bleiben.

Das geringere Übel

Genau deswegen ist sie noch ein Massenmedium im Gegensatz zu Kassetten und Vinyl. Gerade bei letzterem sorgt die eigentlich begrüßenswerte Vinyl-Renaissance für Verwerfungen bei der Herstellung. Obwohl die Nachfrage steigt, steigen die Produktionskapazitäten nicht, da viele Hersteller nicht an ein langfristiges Wachstum in diesem Segment glauben. Bei Blick auf die Demographie der Vinyl-Käufer ist dieser Einwand nachvollziehbar. So steigen die Endpreise und die Wartezeiten für eine Tonträgerveröffentlichung werden immer länger.

Für die Schallplatte lässt sich da noch anführen, dass man sie sich zuhause elegant anhören kann, doch bei Tapes kommt ein höherer Aufwand hinzu. Die Kassetten müssen stets zurückgespult werden und nutzen sich stärker ab. Pragmatiker rümpfen dabei die Nase, doch Philosophen haben damit ihren Spaß: In einer Gesellschaft der omnipräsenten Musik ist ein Format, welches den Hörer zu einem frugalistischen Gebrauch seiner Tonträger zwingt, der krasse Gegenentwurf. Kassetten als musikalisches Pendant der Slow-Food-Bewegung? Eher nicht.

Ich muss aber auch zugeben, dass CDs von den Plattenfirmen in den letztzen Jahren vernachlässigt wurden, was sich vor allem an den immer liebloseren Aufmachungen der Standard-CDs zeigt, die im Vergleich zu Vinyl deutlich abstinkt. So ist es keine Seltenheit, dass Neuerscheinungen nun oft in Pappschubern verkauft werden, die demselben grafischen Konzept der LP folgen. Kritiker bemängeln das kleinere Cover, bei dem viele Details übersehen werden, womit sie auch recht haben. Dennoch ist selbst das noch besser als das Hochformat-Cover der Kassette.

Morgen war gestern noch heute

Der Hype um Tape und Vinyl dürfte, ähnlich wie meine Präferenz für CDs, eher nostalgische Gründe haben. Aber das ist nicht der alleinige Grund. Viele junge Menschen gehen diese Entwicklung auch mit. Bei mir war zur Anschaffung eines Plattenspielers die erweiterte Auswahl an Second-Hand-Tonträgern ausschlaggebend. Auch sonst ist ein anderes Erleben der Musik sehr wichtig: Man nimmt sich Zeit für das ganze Album, macht in der Regel nichts nebenher und hat sie im überschaubaren Regal anstatt in einer uferlosen Liste eines Streaming-Dienstes. Das wirft die Frage auf, ob die CD in 30 Jahren eine ähnliche Entwicklung wie Schallplatte und Kassette nehmen wird. Möglich wäre es. So käme sie spät noch zu ihrem verdienten Ruhm.

01.09.2021

Redakteur mit Vorliebe für Hard Rock, Heavy Metal und Thrash Metal

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