Nie wieder Metal!
Wenn Musik zum Politikum wird.
Special
Es ist Sonntag, draußen ist es kalt und ich bin schlecht gelaunt. Seit Monaten versuche ich, mich mit positiven Gedanken am Rand der Misere entlangzuhangeln und der Situation damit nur peripheren Zutritt in meine Gefühlswelt zu erlauben. Aber es geht einfach nicht mehr: Der globale Rechtsruck ist durch den aktuellen Wahlkampf endgültig auch in Deutschland angekommen. Menschen in meinem erweiterten Bekanntenkreis bekennen sich zu diskriminierenden und menschenfeindlichen Ansichten, während die Politik auf den Gräbern von Ermordeten tänzelnd um Wählerstimmen wirbt.
Den Sonntag verbringe ich mit einer Wärmflasche, ein paar Tassen Tee und meiner Plattensammlung. Glamrock und NWoBHM bringen keine Linderung, also schweift mein Blick zum Black Metal. Jetzt ist es auch schon egal. Willkürlich ziehe ich „Melinoe“ von AKHLYS aus dem Regal. Düsterer Horrer-Kram kommt mir gerade recht. Als ich wenige Augenblicke später das Cover sehe, komme ich doch ins Grübeln. Bandchef Kyle Spanswick hat doch Dreck am Stecken, oder?
Und ja: Der Mann verdingt sich tatsächlich in einer nicht nur als fragwürdig zu bezeichnenden Combo namens NIGHTBRINGER, die dafür bekannt ist, eine Split-Single mit ACHERONTAS (früher STUTTHOF – ein Name, der mehr als tausend Worte sagt) veröffentlicht und Samples von Julius Evola verwendet zu haben. Letztgenannter ging als Philosoph in die Geschichte ein, der unter anderem dafür plädiert haben soll, dass sowohl der italienische Faschismus als auch der Nationalsozialismus die Hoffnung auf eine Wiederherstellung der „himmlischen arischen Rasse“ darstellt.
Schnell schiebe ich „Melinoe“ zurück an ihren angestammten Platz, irgendwo zwischen ABSU und ASAGRAUM. Verdammt nochmal. Was stimmt mit dem Black Metal nicht? Auch über diese beiden Bands gibt es Unschönes neben toller Musik zu berichten.
Ich lege „Speak English Or Die“ von S.O.D. auf den Plattenteller und nehme die Scheibe schnell wieder herunter. Billy Milano – auch schwierig. Dann, weil ich immer wütender werde, PANTERAs „Vulgar Display Of Power“. Nö, Phil Anselmo muss ich jetzt auch nicht supporten. Auch an W.A.S.P.s „Inside The Electric Circus“ wandert der suchende Zeigefinger schnell vorbei.
Auf Musik habe ich plötzlich keine Lust mehr. Aber es nervt, dass sich Künstler:innen als unpolitisch bezeichnen, sobald sie sich von rassistischen Äußerungen und im Suff getätigten Hitlergrüßen distanzieren. Noch schlimmer: Es gibt immer mehr Typen wie Dan Capp, die gar keinen Hehl aus ihrer politischen Haltung machen. Wo wir gerade dabei sind: Muss ich meine WINTERFYLLETH-Sammlung später mit dem Hausmüll in die braune Tonne werfen? Mein Unwohlsein wird immer erdrückender. Ich fühle mich machtlos, wenn ich meine Lieblingsmusik hören möchte, im Nachhinein aber erfahre, dass die Menschen dahinter einer vollkommen anderen Weltanschauung folgen, als ich es tue.
Und wann wird diese feine Grenze aus „eindeutig“ und „harmlos“ eigentlich überschritten? Nehme ich als Beispiel eine meiner Lieblingsbands OBITUARY, befinde ich mich nach einigem Nachdenken schnell am Rande des Wahnsinns. Immerhin verlassen die Bandmitglieder die Bühne gerne zu „Cat Scratch Fever“ von TED NUGENT, der meiner Ansicht nach mehr ist als ein unterbelichteter Redneck. Muss ich mir ernsthafte Sorgen darüber machen, ob Trevor Peres nicht nur einer meiner liebsten Gitarristen, sondern auch Trump-Wähler ist? Oder sollte mir das alles egal sein?
Extreme Metal muss wehtun und provozieren, klar. Black Metal in seiner ursprünglichsten Form hat das allein durch die schlechten, eindimensionalen Aufnahmen, fünffach kopierten Bandfotos und den dilettantischen Satanismus schon immer getan. Der Durst nach mehr Kontroverse in unserer Konsumgesellschaft, gepaart mit dem subjektiven Drang nach elitärer Andersartigkeit, verlangte aber bald nach weitaus prätentiöserem Marketing. Wer das nicht verstehen kann, wer keinen Zugang dazu findet, darf nicht dem erwählten Kreis der Black-Metal-Allesversteher angehören. Also dient all der frauenverachtende, rassistische und antisemitische Bullshit nur als Vehikel, damit die Musik besser wird? Eine gewagte These.
Parallelen finden wir im Jazz. Diese Musik für Nerds und Sachverständige baut kaum Brücken zum Mainstream oder zumindest zu eingängiger Popmusik. Zumindest ist mir nicht bekannt, dass im Jazz ein Niklas Kvarforth und ein Varg Vikernes ihren geistigen Stumpfsinn durch den Äther jagen und leichtgläubige oder schon fehlgeleitete Menschen damit manipulieren können. Jazz allein als musikalische Kunstform ist verrückt genug, nicht jedem gefallen zu können.
Dass sich die Spreu vom Weizen trennt und rechte Gesinnungen, Homophobie und Sexismus auch außerhalb des Subgenres als Randnotiz akzeptiert werden, war nur eine Frage der Zeit. Statt Cancel-Kultur leben wir eine Vergessenskultur. Statt BURZUM von jeder Veranstaltung zu verbannen, finden wir, dass „Filosofem“ eines der bahnbrechendsten Alben der 90er ist. Anstatt Till Lindemann vor leeren Konzertsälen vergammeln zu lassen, finden wir, dass die „Me-Too-Groupies“ doch eigentlich selbst schuld daran sind, wenn sie missbraucht werden. Auch die Tatsache, dass DARKTHRONE einst „True Aryan Black Metal“ veröffentlicht haben, vergessen wir nur allzu gern, wenn sich Fenriz heute beim Schlittschuhfahren fotografieren lässt und als linksliberaler Politiker in Erscheinung tritt. Gleichzeitig hat jeder Mensch eine zweite Chance verdient. Fenriz hat offensichtlich aus seinen frühjugendlichen Fehlern gelernt.
„Separate The Art From The Artist“ kann zwar eine gesunde Distanzierung sein, wird zu hoch dosiert aber Langzeitschäden verursachen. Dann können vermeintliche Heavy-Metal-Fans ihre ekelhaften ABSURD- und SATANIC-WARMASTER-Patches zur Schau tragen und damit ihr Plädoyer zur freien Meinungsäußerung auskleiden.
Je mehr ich darüber nachdenke, welche Linie nicht überschritten werden darf, desto tiefer versinke ich im Dickicht der Unklarheiten. Will man ausschließlich Musik von Musiker:innen mit einem sauberen Familienbaum konsumieren, bleibt – je nach Ausrichtung des moralischen Kompass – vielleicht nicht mehr viel übrig.
Später beschließe ich, ein wenig fernzusehen. Es läuft eine Sondersendung zum geplanten Gesetzesentwurf für eine verschärfte Migrationspolitik. Mein Handy vibriert und ich erhalte eine Nachricht, dass jemand aus meinem Bekanntenkreis einen neuen Post in den sozialen Netzwerken veröffentlicht hat. Ich rufe ihn auf und lese: „Endlich wird sich einiges ändern. Am 23. Februar ist Bundestagswahl!“
