Take It Or Leave It
Videos, die kein Mensch braucht

Special

Video killed the radiostar …

… heißt der Hit von THE BUGGLES, das dazugehörige Video war auch das erste Video, das überhaupt bei MTV 1981 über die Mattscheibe flimmerte. TV will kill the radio – das war davor, und letztendlich killt nichts irgendwas, denn für alles finden sich Abnehmer, wenn es gut gemacht wird. Stellt man diese Floskel aber etwas um, kann man den Status Quo bezüglich Videos aus dem Bereich Metal, Rock und Hardcore ganz gut beschreiben.

Lyric-Videos killen

Lyric-Videos sind sicher günstig und einfach herzustellen. Man braucht noch nicht mal die Band selbst, lässt ein oder zwei Bilder – meist sehr klischeebehaftet – abwechselnd laufen, verpasst dem Text des Songs eine coole Schrift, und fertig ist die Laube. Manche Bands beschränken sich sogar auf einen statischen Hintergrund. Was dem interessierten Musikfreund hier geboten wird, ist nicht nur hässlich, sondern manchmal äußerst peinlich. Es ist mitnichten so, dass Texte grundsätzlich tiefgründig oder auf den ersten Blick sinnvoll sind. Manche noch nicht mal auf den zweiten Blick … was hat man also davon, außer einer lieblos hingeklatschen Werbemaßnahme?

Zu viele Videos vor CD-Release killen die Vorfreude

Manche Bands scheinen einfach zu viel Budget und noch mehr Zeit zu haben. Ziehen wir WHILE SHE SLEEPS und deren Promoarbeit zum starken Album „You Are We“ als jüngstes Beispiel heran. Mit gleich vier Videos vorab („You Are We“, „Silence Speaks (feat. Oli Sykes)“, „Civil Isolation“ und „Hurricane“) gab es einen großen Teil der elf Songs des Albums zu hören. Was soll das, wem hilft das? Andere Band reagieren in Interviews schon genervt auf die Frage, welche denn die erste Videoauskopplung sein wird. Muss wirklich alles ins Netz gekübelt werden? Was ist aus dem guten alten „Warten, bis das Album erscheint“ geworden? Es wird ja durch die Vorab-Penetration weder besser noch schlechter.

Videos, die nichts repräsentieren, nerven

PARKWAY DRIVE haben mit „Ire“ einen neuen Weg eingeschlagen, den kann man mögen oder ignorieren. Vorab gab es den Song „Vice Grip“, der zwar andeutete, dass es in eine andere Richtung geht, aber ansonsten nicht wirklich repräsentativ für das Album war. Diese Masche – die Fans in eine andere Richtung zu weisen und extra den Exoten vom Album vorlaufen zu lassen – ist unnötig und widerspricht dem Sinn, den das Video doch erreichen soll. Es deutet auch auf eine gewisse sadomasochistische Ader hin, dass Band wie KORN „Never, Never“ vorpreschen lassen, nur um sich von den Fans im Netz beschimpfen zu lassen und dann am Ende doch wieder das gleiche wie immer zu machen.

Victory, Tour und Bier

Es ist schön, wenn kleine Bands auch Videos drehen. Noch besser ist es, wenn diese dann im Rahmen von YouTube-Kanälen wie H.C.W.W. (Hardcore Worldwide) laufen. Der geneigte Stöberer kann sich einen Überblick über den aktuellen Underground verschaffen und jungen Bands helfen, dadurch mehr Bekanntheit zu erlangen. Das Problem ist nur, dass die meisten Bands nicht nur kein Budget, sondern auch keine Ideen haben. Und so gibt es immer wieder die optische Suppe vom Vortag. Hektisch gefilmte Bilder von der Band, die gerade damit beschäftigt ist, ihren klapprigen Van für die anstehende Tour (zwei Konzerte im Umkreis von 20 km) zu beladen. Kurze Stops mit Close-up auf die diversen Bandmitglieder oder irgendwelche Leute, die megalässig aus dem Backstage laufen und – Huch, Kamera? – lässig beiläufig das Victory-Zeichen oder die Pommesgabel machen. Gähn.

Dann die Konzertsituation – die 20 anwesenden Leute werden superekstatisch abgefilmt. Jetzt geht es richtig rund, die Band lebt quasi schon den Traum. Als Abschluss gibt es dann meistens wieder den Van, der romantisch in Richtung Sonnenuntergang fährt und zwischendurch noch Szenen auf Super-8-Landschulheim-Niveau. Wow … einfach nur Wow.

Lichtblicke und Aussichten

Da lobt man sich doch Bands wie RED FANG, die versuchen, eine Geschichte zu erzählen und eventuell sogar sowas wie ein Konzept für ihre visuelle Untermalung haben. Oder Bands wie TURBOBIER, die sich nicht allzu ernst nehmen und sich ihren Möglichkeiten entsprechend zum Affen machen. Es stellt sich übrigens die Frage, jetzt nachdem MTV und VIVA nicht mehr mit Formaten wie „Headbangers Ball“ oder „Metalla“ präsent sind, ob überhaupt so viele Videos benötigt werden. Denn während die Hip-Hop-Gemeinde sich über „16bars TV“ oder „HipHop.de“ mit Rooz freut, warten wir immer noch auf unser deutsches Metalformat auf YouTube oder im linearen TV.

28.05.2017
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