Vürstchen an die Macht!

Special

Aktuell befinde ich mich für längere Zeit im Vereinigten Königreich, also fernab der EU und dem meistens erstklassig ausgebauten Mobilfunknetz. Die Internetkonnektivität auf der Insel kann diesen Maßstab nur selten erfüllen. Darum erreichen mich gewisse Nachrichten hier und da ein wenig verspätet, was aber auch an der einstündigen Zeitverschiebung nach hinten liegen mag.

Würstel an der Macht

Sei es drum. Gerade bin ich aus dem hiesigen „Tesco Extra“ gekommen, bepackt mit mehreren Stofftaschen, und begutachte die Einkäufe: „Non Steak Pie – vegan approved“, „Vegan Yorkshire Ham“, „Haggis vegan“ und weitere „plant based“ Artikel. Während im EU-Parlament nun eine Mehrheit von 355 Abgeordneten dafür gestimmt hat, solche und ähnliche Bezeichnungen für Fleischersatzprodukte wie Würstchen und Schnitzel von den Verpackungen zu verbannen, ist das jenseits des Ärmelkanals nach dem Brexit ja glücklicherweise vom Tisch. Diese Botschaft habe ich, wie schon erwähnt, während eines Nicht-Funklochs erhalten.

Die Sache mit der Führung

Eigentlich zucken meine Mundwinkel nur unmotiviert, während ich darüber nachdenke, wie weitreichend ein solcher Beschluss – wenn er denn tatsächlich von den EU-Ländern Zustimmung erhält – sein würde. Immerhin werden dadurch Menschen, die sich vegan und vegetarisch ernähren, wieder an den Rand der Supermarktregale gedrängt. Zumindest, was die Integrität in der Konsumgesellschaft angeht. Ein Schritt vorwärts und drei zurück, könnte man sagen. Natürlich alles unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes. Denn mündige Bürger:innen sind demzufolge nicht in der Lage, selbstständig zu dechiffrieren, was mit der Bezeichnung „pflanzlich“ oder „vegan“ gemeint ist. Zumindest nicht, wenn es nach den 355 Abgeordneten des EU-Parlaments geht. Viele Jahre hat es gedauert, bis der „Veggie Burger“ ein fester Bestandteil der Sprache geworden ist, und jetzt soll diese Entwicklung zurückgenommen werden. Besonders gemein ist dabei, dass viele Fleischpropheten mäandernd durchs Internet ziehen und sich darüber echauffieren, dass ihnen „die Veganer“ vorschreiben wollen, was sie essen dürfen. Und ich darf bald vielleicht kein veganes Fleischplanzerl mehr kaufen. Wer den Knall nicht gehört hat…

Persönlich fühle ich mich da an der Nase herumgeführt, denn als ich kürzlich einen Link zu einer Bandcamp-Seite eines lose bekannten Gitarristen erhielt, war ich schon sehr enttäuscht. Immerhin hatte mich der Musiker mit der umfangreichen Umschreibung seiner Songs wie „Old-School-Death-Metal, mit einer Prise DSBM, einem Hauch NYHC, Reminiszenzen an 90er-Gangster-Hip-Hop und einer progressiven Linie“ umworben. Die glasklar zu hörenden NWOBHM-Elemente und Punk-Einflüsse nicht zu vergessen. Was ich aber hörte und sah, war ein selbst produzierter Soundbrei, mit unverständlichen Lyrics auf selbst gezeichnetem Cover-Artwork. Ein Etikettenschwindel der unangenehmen Art. Warum kümmern sich die 355 Abgeordneten eigentlich nicht darum?

Wen der Schein (be)trügt

Wollen wir mal ehrlich sein: Wer hat seine Plattenkaufentscheidung nicht mindestens einmal vom Cover-Artwork abhängig gemacht? Wem hätte eine einheitlich geregelte Inhaltsangabe dabei geholfen? Als Mensch, der seine Entscheidungen – dazu gehören auch die falschen – für sich selbst trifft, habe ich sogar einen Hang dazu, Alben nach ihrer Optik auszuwählen.

Dazu gehört der Habitus eines bayerischen Politikers allerdings nicht, der erst vor ein paar Tagen verlauten ließ, dass er die angebotene vegane Leberkässemmel sicherlich nicht probieren würde. „Nicht, wie das ausschaut. Dann lieber das Original.“ Gewisse Personen in gewissen Positionen täten sicherlich gut daran, nicht nach dem äußeren Erscheinungsbild zu urteilen. So lange der Fake-Leberkäs nicht Leberkäs heißt, ist es egal.

Ein weiteres Paradoxon in diesem Zusammenhang: Im Leberkäs wird kaum Leber und überhaupt kein Käse verwurstet. Die Zutatenliste wird über etwaige Variationen im Namen geregelt. So muss der „Fleischkäse“ oder „Bayerische Leberkäse“ gar keine Leber enthalten (Quelle: Wikipedia). Kann man sich nicht ausdenken. Es soll mittlerweile übrigens auch Pizza–Leberkäs kredenzt werden. Den würde ich ja tatsächlich probieren. Wenn es ihn auch als vegane Variante gäbe…

Aber was hat das mit Plattenhüllen zu tun? Immerhin verrät dem geschulten Auge ein sorgfältig inszeniertes Bild anhand von geliebten Klischees vieles über den musikalischen Inhalt. Nehmen wir beispielsweise ein blutgetränktes menschliches Haupt, aus dem ein wahlweise stumpfer oder spitzer Gegenstand ragt. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird es sich um den Output einer Death-Metal-Combo handeln.

Wer sich lieber rohem Lo-Fi-Black-Metal der zweiten Welle hingibt, achtet natürlich auch nach DARKTHRONEs Alben Nummer 2, 3 und 4 auf x-fach selbst kopierte Schwarzweißfotos von corpsepaint-gesichtigen Menschen, die ein mittelalterliches Waffenarsenal zur Schau stellen.

Power Metal gefällig? Warum nicht einfach mal gut gelaunt zu einer Platte greifen, die mit Drachen, Kürbissen und Piraten verziert ist?

True Metal finden wir schnell, wenn wir die Augen nach gemalten oder photogeshoppten Bandmitgliedern offenhalten, denen eine Schar lüsterner Frauen zu Füssen liegt (wieso diese Schandwerke nicht auf dem Index landen, will meine woke Einhornseele indes nicht verstehen).

Mit welchem Genre können wir rechnen, wenn eine partyfeiernde Zombie-Herde aus grün triefenden Augen auf uns starrt? Zu 99%iger Sicherheit Thrash Metal. Wenn ein Foto von geschminkten Männern, die ihr Gemächt in Spandexhosen gequetscht haben, auf der Plattenhülle prangt, werden wir mit Hair Metal versorgt.

Oft lässt sich auch über den Stil des Artworks und die verantwortlichen Kunstschaffenden herleiten, mit welcher Art von Metal wir es zu tun haben. Wer noch nichts von Dan Seagrave gehört hat, weiß mit Death Metal aus den 1990ern demnach ganz offensichtlich nicht viel anzufangen. Aber auch Cover, die im Antlitz von viel geliebten Wesen wie Eddie The Head, Snaggletooth, Knarrenheinz und anderen erstrahlen, lassen sich sofort auf eine Band zuordnen.

Für all das wäre ein Aufkleber mit einer Genrebezeichnung auf der Umverpackung nicht nur so hilfreich wie ein Doppelbett im Vatikan – er wäre störend, übergriffig und würde uns die Lust auf eine musikalische Entdeckungsreise nehmen oder zumindest einschränken. Mal von den hässlichen Kleberückständen abgesehen, die wir nach stundenlangem Abknibbeln unter den Fingernägeln haben. Aber: Wenn DARKTHRONE auf die Rückseite ihrer Veröffentlichung „True Norwegian Black Metal“ drucken wollen, dann sollen sie es in Herrgottsnamen auch tun dürfen. Auch wenn ich finde, dass MAYHEM trueren norwegischen Black Metal fabrizieren.

Auf die Nasen fallen kann Spaß machen

Noch mehr. Welche Chancen uns entgehen, wenn wir nicht auch mal einen unbewussten Fehlkauf zulassen, lässt sich für mich wunderbar mit den Metalcore-Schweizern von PALEFACE SWISS beschreiben. Persönlich kann ich Musik mit dem Beiwort „Core“ (außer Grindcore und Hardcore) normalerweise nicht wirklich etwas abgewinnen. Meine Irritation beim Betrachten des Bandlogos wich aber schnell einer positiven Überraschung. Immerhin war ich zunächst von, im für mich besten Fall, einer Depressive-Black-Metal-Band ausgegangen (wegen des Stricks im Schriftzug, jawohl). Tatsächlich haben PALEFACE SWISS aber meine Augen geöffnet und ihre Interpretation des Metal für mich zugänglicher gemacht. Ein Etikettenschwindel der angenehmen Art. Man stelle sich nur einmal vor, dem unbedarften Leberkäs liebenden Politiker würde die versehentlich heruntergeschluckte vegane Fleischschnitte geschmeckt haben …

Es wird also niemandem gleich das Brot aus der Hand fallen, wenn sich statt „echter“ Leberwurst die vegane Variante darauf befindet. Und genauso werden sich geneigte Genreliebhaber:innen nicht die Ohren auswaschen, wenn sie unbeabsichtigt Deathcore statt Death Metal hören dürfen.

In einer idealen Welt würden wir von unseren Politiker:innen in den entscheidenden Momenten beschützt und jeder Mensch würde mit Akzeptanz und Toleranz behandelt werden. In der Realität fahren diese Attribute leider durch eine Einbahnstraße. Da es sich bei diesem Artikel wie immer um eine persönliche Meinung und ganz persönliche Gedanken handelt, hat er auch nicht den Anspruch, rein faktenbasiert zu sein – und schon gar nicht, für die Ansichten anderer zu sprechen.

20.10.2025

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