Accuser
Passend zur Krise

Interview

ACCUSER waren in der deutschen Thrash-Szene schon immer eine Ausnahmeerscheinung. Sie klangen stets deutlich amerikanischer als KREATOR, SODOM und Co. und wandten sich textlich früh sozialkritischen Themen zu, anstatt auf Metal-Klischees herumzureiten. Frontmann Frank Thoms sieht das ebenso. Im ausführlichen Gespräch über die neue Platte erklärt, wo er die Band im Jahr 2020 sieht.

Das fehlende Gleichgewicht

Euer neues Album trägt den schlichten Titel „Accuser“. Zumeist benennen Bands ihr Debütalbum nach sich selbst. Warum hattet ihr das Gefühl, dass es der richtige Titel für eure zwölfte Platte ist?

Wir haben Song für Song geschrieben und erst im Studio bemerkt, dass die Songs einen Querschnitt durch alle bisher erschienen Alben darstellen. Aus jeder Ära ist etwas dabei, was aber nicht heißt, dass wir uns schematisch wiederholt haben. Es repräsentiert unsere Stilistik! Wir haben ebenso neue Techniken aufgenommen, sodass alles in allem ein abwechslungsreiches Album dabei herausgekommen ist. René ist auch wieder dabei, und so waren wir der Meinung, dass man das Album nicht benennen muss. Es ist „Accuser“.

Welche Idee steckt hinter dem Artwork der Platte? Symbolisiert es vielleicht, wie ihr euch als Band über die Jahre gegen alle Widerstände durchgesetzt habt?

Es symbolisiert eher, dass sich Gesetze, Regeln, die Gesellschaft und die Politik in einem ständigen Kampf befinden. Findet kein Gleichgewicht statt, so kann etwas schnell kippen. Die eine Seite versucht Systeme zu halten, die andere Seite versucht Systeme zu stürzen.

Zurück in der Familie

Wie bereits von dir erwähnt, ist René Schütz für das Album nach einigen Jahren Bandabstinenz in den Schoß von ACCUSER zurückgekehrt. Wie kam es dazu?

Dennis ist ein wirklich guter Gitarrist, und wir haben im Laufe der Zeit gemerkt, dass er in der progressiven Musikwelt besser aufgehoben ist. Ich schätze, er wird seinen Weg gehen. Zu René hatte ich hier und da Kontakt, und ich hatte ihn gefragt, ob er Dennis für ein Festival vertreten könne. Er hat zugesagt, und wir haben im Laufe des Konzertes gemerkt, dass die Chemie spielerisch sowie menschlich einfach perfekt ist. Wir haben dann beschlossen, in dieser Besetzung weiter zu machen.

Und wie fühlte sich nach dieser langen Zeit an, wieder an einer neuen Platte mit ihm zu arbeiten?

Es war hervorragend. Ich hatte allerdings schon vor dem Besetzungswechsel mit neuen Songs vorgelegt, sodass wir bereits sehr viel Material hatten. Wir haben dann im Studio intensiv an den Songs gearbeitet und sie gemeinsam finalisiert. Es war eine sehr schöne und lustige Zeit. Zu unserem Glück konnten wir alle Aufnahmen kurz vor dem Lockdown zu Ende bringen. Zur Coronazeit konnte sich dann trotzdem alles andere wie Mix, Mastering und Artwork entwickeln, sodass wir das Album nun wie geplant veröffentlichen können.

Abgesehen von diesem Wechsel ist eure Besetzung seit 2008 äußerst stabil. Viele andere Bands schaffen es nicht, so lang in der gleichen Konstellation zu bestehen. Was ist euer Geheimnis?

Uns war immer wichtig, nicht nur Musik zusammen zu machen, sondern sich als Freunde zu verstehen und als Menschen zu akzeptieren. Es bringt einfach sehr viel Freude, wenn man etwas gemeinsam entwickelt oder Konzerte miteinander erlebt. Oftmals schreibt man sich nochmal in der ACCUSER-WhatsApp-Gruppe, wie man sich im Nachhinein über Unternehmungen freut, die man gemeinsam erlebt hat. Das ist mega!

Die Produktion übernahm Martin Buchwalter, der mittlerweile fünf Alben von euch produziert hat. Warum kehrt ihr stetiger Regelmäßigkeit zu ihm zurück?

Martin ist uns ein guter Freund geworden, und auch er entwickelt sich mit seinem Studio kontinuierlich weiter. Er sucht ständig nach Lösungen, Dinge noch besser zu machen oder mit neuen Equipmentparts zu arbeiten. Wir freuen uns jedes Mal auf eine intensive Zeit mit ihm. Wir mit unseren neuen Songs und er mit seinen neuen Ideen und Umsetzungsmöglichkeiten. Eine kreative Familie. Was wir dieses Mal anders gemacht haben, ist, dass wir das Mastering Dan Swanö überlassen haben. Wir hielten es für sinnvoll, jemandem dies zu überlassen, der nicht bei der Studioproduktion dabei waren. Frische Ohren können der ganzen Sache nochmal ein I-Tüpfelchen verpassen. Wir sind auf jeden Fall sehr zufrieden.

Mit „The Eliminator“ habt ihr einen wahren Klassiker von AGNOSTIC FRONT gecovert. Wie kam die Idee eines Coversongs auf und warum ausgerechnet dieser?

Wir wollten einen Hardcore-Klassiker covern, um nochmal zu den Wurzeln des Thrash Metal zurück zu kehren, und dies war nun mal die Fusion von Metal, Punk und Hardcore. Das Album „Cause For Alarm“ lief damals bei mir in Schleife, und so ist gerade der erste Song, „The Eliminator“, bis heute bei mir hängen geblieben. So, wie wir ihn spielen, passt er nahtlos auf das Album und sorgt fast schon für „The Conviction“-Vibes.

ACCUSER auf orientalischen Pfaden

„Temple Of All“ fährt in Sachen Harmonien leicht orientalische Einflüsse auf. Wie kamt ihr auf diese Idee? Besteht eine direkte musikalische Verbindung zum Songtext?

Ich wollte schon immer gerne mal diese orientalischen Harmonien in einem Song verarbeiten und textlich dazu eine Brücke bilden. Ein Tempel, in dem man sich zu jeder Gottheit und an jeden Glauben wenden kann. Ein fiktives Bauwerk, das sich durch die vielen unterschiedlichen Betrachtungen der Religionen widersprüchlich macht.

Ehrlich gesagt erinnert mich der Track ein wenig an TESTAMENT. Woher ziehen ACCUSER dieser Tage ihre musikalischen Einflüsse?

Wir klangen eigentlich nie wie eine typisch deutsche Thrash-Metal-Band. Das liegt wohl daran, dass wir früher oft über den großen Teich gelauscht haben. Mittlerweile haben wir, wie ich finde, eine eigene Stilistik geschaffen. Es ist aber auch nicht unser Plan, das Rad neu zu erfinden, und somit ist völlig klar, dass man hier und da auch Vergleiche sucht und findet.

Ein Titel, der sofort ins Auge springt, ist „Psychocision“. Worum geht es in dem Song?

Es geht darum, was im Inneren des Menschen stattfindet und was davon wirklich in eine Handlung umgesetzt wird. Ist der Mensch mit dem Ergebnis zufrieden? Ein endloser Kampf zwischen einem Gedanken und der darauffolgenden Handlung.

Und wovon handelt „Be None The Wiser“? Mich ließ der Titel sofort daran denken, dass die Menschheit heutzutage nicht gerade weiser ist als vor 50 oder 100 Jahren, siehe beispielsweise das hohe Aufkommen an Verschwörungstheorien seit Beginn der Coronakrise.

Wir haben diesen Song erstmalig vor 17 Jahren als Demosong aufgenommen und wollten ihn gerne nochmal herausbringen, was bis heute nicht funktioniert hat. Uns ist aufgefallen, dass der Text zu einhundert Prozent zur Coronakrise passt. Das haben wir allerdings erst nach den Aufnahmen bemerkt. Es ist also purer Zufall, dass sich der Song 2020 ausgesucht hat. Vielleicht sollte es so sein. Ich denke, dass wir alle sehr gut auf die Pandemie hätten verzichten können. Aber leider kann man sich gewisse Dinge nicht aussuchen. Bleibt gesund!

06.11.2020

"Irgendeiner wartet immer."

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