Arcturus
ICS Vortex über "Arcturian", gestohlene Riffs und Gin im Studio

Interview

Arcturus

„Wir wollten uns diesmal auf keinen Fall stressen, aber wir dachten selbst auch, dass es schneller gehen würde.“

ARCTURUS-Sänger ICS Vortex weiß genau, dass er und seine Kollegen die Geduld der Fans mit „Arcturian“ gehörig auf die Probe gestellt haben. „So ist das eben, wenn man sich das Ergebnis immer wieder und wieder vor Augen führt. Irgendwann hat man immer wieder neue Ideen und plötzlich klingt alles unfertig.“ Doch nun, nach zehn Jahren des Wartens, dürfte „unfertig“ die wohl letzte Vokabel sein, die einem beim Hören des neuen Outputs durch den Kopf schießt. Viel Zeit zum Experimentieren habe man sich genehmigt, berichtet der Frontmann. Der Zeitpunkt des ersten Zwischenergebnisses sei dementsprechend gar nicht mehr zu ermitteln. „Ich habe hier so viele Versionen in iTunes rumfliegen, aber andererseits auch so viel gelöscht, da blicke ich selbst nicht mehr durch.“

„Etwas hat sich neu entzündet.“

Fakt ist: Wir schreiben das Jahr 2011, als ICS Vortex, Knut Magne Valle, Hugh Mingay, Sverd und Hellhammer bekanntgeben, dass sie sich erneut unter dem Banner ARCTURUS zusammentun werden. „Und selbst das fühlt sich an, als wäre es erst letztes Jahr gewesen“, sinniert Vortex. Zwei Jahre zuvor wurde der Stimmakrobat bei DIMMU BORGIR entlassen und widmete sich vorerst seinen Soloaktivitäten. Für diese hat der 41-Jährige inzwischen zwar auch schon wieder einige neue Songs in der Hinterhand, doch derzeit scheint die Leidenschaft für die wiedervereinigte Avantgarde-Vormacht alles andere zu verdrängen. „Als wir damals wieder zusammenkamen, hat sich etwas neu entzündet. Die Musik hat sich endlich wieder wahrhaftig, kraftvoll und magisch angefühlt. Wir hatten einfach wieder Spaß.“

„Ich habe Hellhammer vorgeschlagen, eine größere Snare zu benutzen.“

Dass „Arcturian“ nun zum wohl abwechslungsreichsten Album der Karriere avanciert, verwundert im Hinblick auf den langwierigen Schaffensprozess kaum. „Wirklich jeder Handgriff stammt von uns selbst. Natürlich kann man immer etwas besser machen, aber letzten Endes klingt das Album eben durch und durch nach ARCTURUS.“ Apropos besser machen: Auf den bereits im Zuge der Vorabsingle „The Arcturian Sign“ kritisierten Snare-Sound Hellhammers muss Vortex gar nicht erst angesprochen werden. „Er steht halt auf diese 13“-Jazz-Dinger und braucht gar keinen DEF LEPPARD-Sound. Ich selbst bin sogar ein paar Mal zu ihm hin und habe ihm vorgeschlagen, eine größere Snare zu benutzen. Aber nein, er hält es für das Beste. Und genau so klingt Hellhammer nun mal. Jeder einzelne von uns hat viel Arbeit reingesteckt, um die Platte so klingen zu lassen, wie sie uns selbst gefällt.“

„Wie Quorthon nach ein paar Flaschen Gin.“

Selbigen Ansatz verfolgte man schon bei den Kompositionen selbst. „Ich bin kein geschulter Musiker, ich setze mich da in meiner Freizeit nicht mit Bleistift und Notenblatt dran.“ Vielmehr sei „Arcturian“ das Konglomerat der langwierigen Tüfteleien jedes einzelnen Bandmitglieds. So reihen sich neben Hauptsongwriter Sverd diesmal auch Gitarrist Knut Magne Valle sowie Vortex selbst in die Riege der Komponisten ein. „Wir haben da wirklich ein paar logistische Probleme. Allein Knut lebt schon dreieinhalb Stunden von Oslo entfernt. Da kommen regelmäßige Proben gar nicht erst zustande.“ Klassisches Jammen ist also ein Fremdwort für das norwegische Prog-Ensemble. Dabei greifen ARCTURUS teilweise ohnehin auf Rohmaterial der letzten Jahre zurück. Text und Gesang zu „Bane“ stammen laut Vortex sogar aus dem Jahr 1996. „Da gab es damals sogar schon ein Riff zu, bloß kam Sverd auf die Idee, es mir zu klauen und es mit auf das ‚Sham Mirrors‚-Album zu packen. Inzwischen glaubt er allerdings, ich hätte es ihm gestohlen. Wie auch immer, eines Nachts im Studio kam Knut dann mit einem ähnlichen Riff an. Ich hatte schon gut etwas getrunken und begann, diese alte Gesangsmelodie darüber zu singen. Eigentlich wollten wir das am nächsten Tag dann auch gleich wieder löschen, aber wir hatten damit eine gewisse Intensität eingefangen. Ich meine, hey – immerhin klinge ich da wie Quorthon nach ein paar Flaschen Gin.“

First Takes nutzen und mit Alkohol im Studio experimentieren – beides bezeichnet Vortex als wichtige Eckpfeiler für den Entstehungsprozess des fünften ARCTURUS-Studioalbums. Als weitere bedeutende Figur auf dem „Arcturian“-Schachbrett erwies sich André Ristesund. So lautet der Name des kreativen Kopfes hinter dem Elektronikprojekt TWISTEX, das Elemente aus Drum & Bass, Techno und House vereint. „Der Kerl ist halb so alt wie wir und schien quasi im Studio zu leben. Er kommt halt aus einer komplett anderen Szene, aber es war wirklich großartiges Teamwork. Er hat hier und da ein paar Dinge neu arrangiert und einiges auch wirklich komplett auf den Kopf gestellt. Da kam eine Menge guter Kram bei rum“, so Vortex.

„Ich war ja damals selber Fanboy.“

Während sich die Kollegen also Schicht für Schicht auf die Arrangements ihrer Instrumentalspuren konzentrierten, war ICS Vortex nicht nur mit der Entwicklung seiner markant eigenwilligen Gesangsmelodien, sondern zugleich mit der lyrischen Konzeption betraut. „Ich habe mir zu keinem Zeitpunkt vorgenommen, ein richtiges Konzeptalbum zu erschaffen. Aber je mehr man darüber nachdenkt, desto eher bemerkt man natürlich die Ähnlichkeiten zu ‚Sideshow Symphonies‚. Ich habe meine Inspirationen wieder aus demselben Lebensabschnitt gezogen, aus meinen Zwanzigern und Dreißigern. Da ist eine ganze Menge passiert und ich schätze, da gibt es noch immer etwas zu verarbeiten – den ganzen selbstverschuldeten Scheiß, das ganze Gift, das ich in meinen Körper gelassen habe. Aber bei so etwas will ich auch nicht allzu predigend klingen.“ Dabei ist sich der Rotschopf natürlich bewusst, welch exorbitantes metaphorisches Erbe sein Vorgänger Garm (ULVER) mit seinem Ausstieg im Jahr 2003 hinterlassen hat. „Natürlich habe ich versucht, mich lyrisch in dieses Universum, in diese ganze Star-Traveller-Thematik einzufügen. Das macht ja auch zu großen Teilen die Magie hinter ARCTURUS aus, in den Anfangstagen war ich ja selber Fanboy.“

Von einer reinen Kopie seines Vorgängers ist der einstige Fanboy jedoch meilenwert entfernt. „Wir sind grundverschiedene Sänger, insofern mache ich mir da gar keine Gedanken drüber. In der Regel habe ich die Gesangslinien eh sofort im Kopf, sobald ich die Musik zum ersten Mal höre.“ Umso mehr freut sich Vortex auch über die erneute Kooperation mit Ziehvater Garm im Zuge des neuen BORKNAGAR-Albums. „Ich habe die Aufnahmen neulich erst gehört, er bringt da wirklich Würze rein“, berichtet er sichtlich begeistert. Die noch unbetitelte Scheibe soll aller Voraussicht nach im Oktober erscheinen, eine kleinere Tour wird sich anschließen.

Arbeiten am nächsten Album beginnen Ende des Jahres

Doch was bedeuten die erneuten BORKNAGAR-Aktivitäten für die Zukunft von ARCTURUS? Werden sich die Fans wieder zehn Jahre gedulden müssen? ICS Vortex weiß zu beruhigen: „Mein Hauptfokus liegt weiterhin auf ARCTURUS. Das habe ich beiden Bands klargemacht und das habe ich mir vor allem selbst klargemacht. Derzeit arbeiten wir an einer größeren Tour zu ‚Arcturian‘ und planen, da eine ziemliche Produktion aufzufahren.“ Heißt: Eigene Backline, massig Lichttechnik, Lasershow etc. „Auf der Bühne wird viel los sein, ein bisschen Chaos ist nie verkehrt“, schwärmt der Sänger begeistert und verspricht, dass hierbei auch die deutschen Fans, die ARCTURUS Platz 15 in den offiziellen deutschen Albumcharts bescherten, auf ihre Kosten kommen sollen.

ICS Vortex blickt begierig in die Zukunft. „Für uns ist ‚Arcturian‘ die Essenz der Band, die reine Liebe zur Musik. Ob wir beim nächsten Mal etwas anders angehen werden, wer weiß. Der richtige Vibe ist jedenfalls endlich wieder da. Darum werden wir auch noch Ende dieses Jahres mit der Arbeit am Nachfolger beginnen.“ Stürmische Zeiten im Hause ARCTURUS.

29.06.2015
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