Blood Incantation
"Das Potenzial der Neugier und des Willens, der Wille zu sein, zu erschaffen und sich selbst zu erkennen."

Interview

BLOOD INCANTATION haben mit ihrem aktuellen Album „Absolute Elsewhere“ alle Erwartungen übertroffen. Die Richtung war vielleicht abzusehen, aber das Ausmaß der Veränderung, die den Hörer wie in einen Sog aus 80er Prog, Ambient und 90er Death Metal zieht, ist schier unbeschreiblich und sucht seinesgleichen.

Dass die Band dabei ihren Wurzeln treu geblieben ist, ihrer Vision in alle Richtungen freien Lauf gelassen hat und einfach das Ergebnis für sich sprechen lässt, zeigt, wie weitreichend die eigenen vielschichtigen musikalischen Einflüsse und Vorlieben mittlerweile in BLOOD INCANTATION eingeflossen sind.

Das Gespräch entwickelte sich in viele Richtungen und man spürte im Verlauf die unterschiedlichen Charaktere, die BLOOD INCANTATION zu dem machen, was sie sind. Während Bassist Jeff Barrett ein eher stiller Zeitgenosse ist, der sich nur selten zu Wort meldet, sind Drummer Isaac Faulk und vor allem Gitarrist und Sänger Paul Riedl sozio- und metaphilosophische Zeitgenossen, mit denen man stundenlang über Musik im Allgemeinen und auch über die eigene musikalische Vision von BLOOD INCANTATION diskutieren und philosophieren kann.
Gitarrist Morris Kolontyrsky ist nicht weniger gesprächig, findet seine Begeisterung aber eher im Detail und gerät ins Schwärmen, wenn er über das technische Equipment der Hansa Studios mit all seinem historischen und nostalgischen Wert spricht.

Die hier wiedergegebenen Auszüge stammen aus einem fast einstündigen Interview, das wir mit der gesamten Band während ihres Aufenthalts in den Hansa Studios geführt haben, und konzentrieren sich vor allem auf die Meinungen und Ansichten der Bandmitglieder. Da Paul Riedl den größten Teil des Gesprächs für die Band übernommen hat, sind seine Zitate nicht explizit gekennzeichnet.

Inhalt:

Die künstlerische Vision von „Absolute Elsewhere“
Die Umsetzung im Studio
Vom Konzept zum Werk
Spirituelle Fortführung

Für ein tieferes Verständnis wird die von der Band herausgegebene Dokumentation „In Search Of Absolute Elsewhere“ eindringlich empfohlen.


Die künstlerische Vision von „Absolute Elsewhere“

Nach dem thematisch spacigen, aber musikalisch stark an MORBID ANGEL angelehnten Death Metal-Album „Hidden History of The Human Race“ und dem Ambient-Album „Timewave Zero“ legten BLOOD INCANTATION mit der 2-Track-EP „Luminescent Bridge“ einen typischen Metal-Track und ein Ambientstück vor und ließen damit weitestgehend offen, wohin die Reise für die Band mit dem nächsten Album gehen würde.

„Wir wollten die Härte und Aggressivität des Metal beibehalten und vor allem sind wir alle sehr von vielen europäischen Metalbands inspiriert, vor allem natürlich vom Death Metal der 90er Jahre. Ich meine, das versteht sich von selbst. Aber es gibt noch so viele andere Sachen. Wir sind alle gleichzeitig Fans von all diesen anderen Sachen, Kraut, Rock, Ambient, progressive Musik. Im Herzen bin ich ein Metal-Fan, seit ich ein Teenager war.

Was das neue Album angeht, waren unsere Ambitionen etwas begrenzt, denn wir wissen, dass die Anzahl der Bünde auf einer Gitarre begrenzt ist. Wir haben 7 Saiten, nicht 100, und keine mikrotonalen Fächer. Wir spielen den einfachsten klassischen Stil. Und weil wir nicht sehr gut sind, spielen wir in jedem Stück, an dem wir seit 10 Jahren arbeiten, das Beste, was wir beherrschen, und das nächste ist ein bisschen schwieriger. Und das ist es, was uns als Musiker antreibt.

Es ist immer noch sicher, einfach und bequem. Als Band haben wir immer versucht, uns selbst und das Publikum zu pushen, denn wir machen unsere Musik für uns selbst, um sie zu genießen, vor allem, weil wir sie hören wollen. Wir wollen etwas hören, das klingt wie PINK FLOYD, Death Metal oder wie KING CRIMSON aus den 80ern, gespielt von einer Science-Fiction-Band.

Wir machen die Platte so groß, so verrückt wie möglich, und dann werden wir zwangsläufig einen Live-Keyboarder brauchen. Ein weiteres Element, das in die Band kommt, wird etwas Neues sein, und wer auch immer es am Ende sein wird, wenn Nicklas es machen kann, würden wir ihn gerne haben. Aber wenn nicht, dann müssen wir jemand anderen finden. Es ist eine neue Herausforderung und wir müssen auch einige andere Technologien einführen, die wir vorher nicht benutzt haben, wie Click-Tracks und so weiter, um das überhaupt realisieren zu können.

Wir wollen eine Bühnenproduktion mit Licht und Requisiten. Wir wollen das Konzept so umsetzen, wie wenn man sich PINK FLOYD oder IRON MAIDEN anschaut, man weiß, das ist ein Event. Der Auftritt ist ein Event. Genau das wollen wir machen. Wir wollen die Bühnenproduktion so aufwerten, dass sie dem Anspruch der Musik selbst gerecht wird.“

Die Umsetzung im Studio

Mit „Absolute Elsewhere“ veröffentlichen BLOOD INCANTATION ihr viertes Album, das ihr Schaffen erneut an einem Wendepunkt zeigt. Denn nach einem stark Death Metal-lastigen Album, einem reinen Ambient-Album und einer dazwischen geschobenen EP mit jeweils einem Song aus beiden Genres war die Spannung groß, in welche Richtung sich die Musik entwickeln würde.

Drei Wochen lang war die Band mit Produzent Arthur Rizk in den Berliner Hansa Studios, um das neue Album aufzunehmen. Das 1973 anlässlich der Funkausstellung eröffnete Studio ist legendär: Hier haben Künstler wie David Bowie, U2, NICK CAVE oder DEPECHE MODE aufgenommen. Wie die Umsetzung von „Absolute Elsewhere“ als Kombination der verschiedenen Elemente letztendlich klingen würde, ließ sich anhand der bereits aufgenommenen Teile kaum abschätzen. Herausgekommen ist eine Mischung aus visionären Vorstellungen und der tatsächlichen Verschmelzung von 80er Rock und 90er Death Metal.

„Wir waren ungefähr eine Woche in den Noisy Rooms (Proberaumkomplex in Berlin F-Hain, Anm. d. Red.). Wir wollten die Zeit nutzen, um weiter an der Platte zu arbeiten. Es gab einige Sachen, die wir dort ausarbeiten wollten, und es war eigentlich eine tolle Gelegenheit, weil wir ursprünglich versucht hatten, das Studio für einen ganzen Monat zu buchen. Leider war das nicht möglich und wir konnten nur für drei Wochen dort arbeiten. Aber letztendlich war es die perfekte Situation.“

„Wir kamen auch gerade von einem Festival in Finnland, wo wir eine ganz andere Setlist mit altem Material gespielt hatten,“ sagt Jeff. „Bevor wir ins Studio gingen, feilten wir am neuen Material und es gab letzte Anpassungen an den Tempi und einigen anderen Stellen, an denen wir gearbeitet haben. Es war auch das erste Mal, dass wir es einigen unserer Freunde hier in Berlin und ein paar Leuten von Century Media vorspielten. Also außer uns und vielleicht ein paar engen Freunden hatte noch niemand wirklich etwas zu hören bekommen. Wir haben uns schon selbst geragt, ob es zu verrückt ist und ob es das gleiche Material sei. Aber jeder musste es einfach mögen.“

Die Band hat natürlich nicht nur aufgenommen, sondern war auch in Berlin unterwegs. Plattenläden, gutes Essen und auch ein Besuch der DEPECHE MODE Show im Olympiastadion gehörten dazu.

„Wir sind einfach in ein paar Clubs gegangen. Wir waren in tollen Plattenläden und an coolen Orten außerhalb der Stadt. Sie haben uns für Bandfotos mitgenommen und einfach, um in die Berliner Kultur einzutauchen. Diese Möglichkeit hätten wir nie gehabt, wenn wir nur auf Tour gewesen wären. Auch darüber zu reden. Wenn es also eine Verantwortung für uns ist, das ganze Potential dieser Gelegenheit zu nutzen, dann heißt das, dass wir nicht einfach hierher kommen und eine Platte machen, die wir auch woanders hätten machen können. Wir werden nicht hierher kommen und eine Platte machen, die wir schon gemacht haben oder die eine andere Band schon gemacht hat. Wir machen sie. Wir sind aus dem gleichen Grund hierhergekommen, aus dem all die anderen Bands aus den verschiedensten Genres seit Jahrzehnten hierhergekommen sind, um etwas zu machen. Klassiker, die ihren etablierten Sound weiterentwickeln. Und die Atmosphäre des Studios, den Vibe der Stadt, und etwas wirklich anderes und krankes, und wir machen es.

Es ist unsere Verantwortung, es so zu machen, wie wir es können. Ich denke definitiv, wenn man die ersten 5 Minuten gehört hat, wird man sagen, heilige Scheiße, diese Jungs haben nicht gescherzt, weil es einfach verrückt ist.

Als wir es Nicklas von HÄLLAS (BLOOD INCANTATION und er hatten sich vorher noch nie getroffen) das erste Mal kurz vorgespielt haben, um ihm eine Kassette von den Proben zu geben und ihn zu fragen, ob er nach Berlin kommt und… und er war einfach so begeistert.“


Vom Konzept zum Werk

Das endgültige Ergebnis von „Absolute Elsewhere“ war nicht vorhersehbar, bevor die Band das Studio betrat. Es gab einfach zu viele Möglichkeiten, unausgesprochene und spontane Entscheidungen, die das Werk schließlich formten. Natürlich hatte die Band genügend Material vorbereitet, aber die Arbeit mit dem Produzenten Athur Rizk und natürlich der Einfluss der Gastmusiker, die ihren Teil zum Werk beitrugen, waren nicht von vorneherein abzusehen.

Isaacholt etwas weiter aus: „Wir hatten das meiste fertig. Wir arbeiteten in Logic mit Fast-Tracks und machten Probedemos, die wir dann mit Overdubs von Sinnes- und Keyboardspuren und verschiedenen Ideen versahen. Als wir hierher kamen, hatten wir schon eine ziemlich gute Vorstellung von manchen Dingen, aber es gab auch ein paar Punkte, die wir offen gelassen haben, wo wir dachten, na ja, vielleicht probieren wir das im Studio aus, vielleicht wird es anders. Und dann haben wir Nicklas Malmqvist von HÄLLAS, der Progband aus Schweden. Wir sind Fans dieser großartigen Band und konnten ihn überzeugen, bei diesem Album mitzumachen. Es gab ein paar Stellen, wo wir dachten, da gibt es ein paar Ideen, aber wir waren uns nicht 100% sicher, was passieren würde. Und er hat der Platte mit seiner Stimme eine ganz neue Dimension gegeben. Das ist keine Metal-Band. Er weiß, wie man Keyboard spielt.“

Er kann Klavier spielen, er kann Orgel spielen. Er kann die Sims spielen, er kann einfach alles. Wir können bestenfalls eine schöne Gitarrenmelodie emulieren, die auf einem Synthesizer gespielt wird“.

Die Umsetzung ist dann anders, als es sich die Musiker vorgestellt haben, und die simulierten Tasten klingen anders und viel natürlicher, wenn sie direkt von einem Profi eingespielt werden. Isaak kann seine Überraschung kaum verbergen.

„Das klingt genau wie PINK FLOYD. Das ist genau, was wir wollen. Wir selbst könnten das nie, weil wir es nicht wirklich auf diese Art und Weise spielen können.“

„Nicklas muss sich gefragt haben: ‚Was sind das denn für Typen?‘, ‚Warum ist das eine Death-Metal-Band und warum wollen sie, dass ich die Orgel auf ihrem Album spiele?“ Aber er hat es sich angehört und hatte dann seine eigenen Ideen.“ führt Paul weiter aus. „Wir haben sogar ein bisschen mit ihm gejammt, nicht im Zusammenhang mit der Platte, sondern einfach als Musiker, die den Raum hier nutzen. Aber als er anfing, dachte ich, das ist wie ein Film. Er hatte die Ideen nur mit sehr wenigen Synthesizern gehört, weil wir alle auf dem Album gespielt haben, so wie wir es auf „Time Wave gemacht haben. Aber dann war Nicholas ein richtiger Keyboarder und hat alle Synthesizer-Parts verbessert, wir mussten einige unserer Parts ändern, um seinen Standard zu erreichen, weil wir dachten, oh Mann, er hat den Sound!

„Wir sind manchmal mehr von unseren früheren Werken beeinflusst als von uns selbst.“

„Es geht an Orte, an denen wir schon waren, aber es geht weiter, vielleicht weiter als je zuvor. Einige der Elemente sind psychedelischer und progressiver, aber das ist es auch. Es ist einfach eine Erweiterung. Es gibt Black Metal, es gibt Doom Metal. Es gibt all die anderen Sachen, die wir schon erwähnt haben, die wir entwickeln, aber das sind alles nur ‚Blutbeschwörungen‘, wie oft, ich würde sogar sagen, wenn wir an neuem Material arbeiten, sind wir manchmal mehr von unseren früheren Werken beeinflusst als von uns selbst. Mit anderen Bands und in anderen Fällen sind es ein paar Sachen, die wir vielleicht nur ausprobiert haben, wie ein PINK FLOYD-Teil auf der ersten Platte oder vielleicht ein New-Age-Vibe auf einem Teil von „Hidden History…“ oder so. Irgendwas. Aber dann nehmen wir das einfach und sagen: „Okay, wir wollen das machen, aber wir wollen es so weit bringen, wie wir es jetzt mit unseren technischen Fähigkeiten und unserem Können umsetzen können.“

„Wir haben unseren absolut härtesten, schwersten, brutalsten, technischsten und intensivsten Metal, den wir je in einer unserer Band gespielt haben, auf diesem Album. Und einige der schönsten, ruhigsten, progressivsten Momente. Die Leute mögen es auch einfach, wenn die Musik emotional und tiefgründig ist.“

Spirituelle Fortführung

Die spirituelle Motivation von BLOOD INCANTATION und „Absolute Elsewhere“ besteht in der Verbindung von transzententer Musik mit Kontext und der Anhebung auf ein neues Level. In diesem Kontext kann die Platte als Erweiterung des Horizonts in jede Richtung interpretiert werden. Der visionäre Charakter mag mitunter auch den Möglichkeiten der Band geschuldet sein, die mit Gastmusikern experimentiert und über sich hinauswächst und damit natürlich nicht den Geschmack jedes Urfans trifft. Sänger und Gitarrist Paul bringt es abschließend sehr gut auf den Punkt, den man beim Konsum der Platte in all ihren Facetten auch unkommentiert stehen lassen kann.

„Es ist, als gäbe es keinen Tod, sondern nur Tore. Ihr seid das Stargate und es geht nicht unbedingt darum, wie eine Science-Fiction-Band zu sein, es geht mehr darum, wie das kosmische Bewusstsein und die Dinge zu sein, die ein Mensch in diesem Leben und vielleicht in anderen Leben im Samsara und der ganzen Last, die wir dadurch tragen, zu sein. Und so repräsentiert unsere Musik das für uns jetzt und repräsentiert auch eine Art Geschichte der Menschheit und die verborgene Geschichte der menschlichen Ethnie. Aber wenn wir noch weiter zurückgehen, geht es um eine viel größere Last – das kollektive Bewusstsein. Die Last, einfach nur Mensch zu sein und sich selbst im ganzen Spektrum des Kosmos zu sehen. Es ist deprimierend, so viel Negatives da draußen. Und doch gibt es eine immerwährende Hoffnung auf der anderen Seite, die für immer und ewig existiert.

Wenn jemand zuhört oder liest, kann er sich daran orientieren. Es ist ein positiver Einfluss auf das Universum. Es hebt die Schwingungen der Menschheit allmählich an. Und Sie wissen, dass wir das tun. Vielleicht nicht in einer Sackgasse, aber an einem Scheideweg unserer Zivilisation. In der Art und Weise, wie die menschliche Gesellschaft funktioniert, wie zwischenmenschliche, wirtschaftliche und politische Dinge zusammenhängen. Jeder Mensch hat die Wahl, auf der einen oder anderen Seite der Negativität oder der Hoffnung zu verweilen, und wir entscheiden uns, so naiv es auch sein mag, dafür. Das Potenzial der Neugier und des Willens, der Wille zu sein, zu erschaffen, sich selbst zu erkennen, für einige der anderen Texte.

Da ist so viel drin, dass der Zuhörer am Ende über sein Leben nachdenkt. Die Texte sollen dazu beitragen, das Konzept des Menschen zu erweitern, in Richtung Hoffnung, in Richtung transzendentaler Philosophie, in Richtung kosmischem Bewusstsein. Versteckt hinter einer Maske von harter Metalness. Verstehst du, was ich meine? Hinter dem Text steckt die Idee des Kosmos. Beim Lesen denkt man: „Okay, nette Texte über den Weltraum“. Hier wird der Zuhörer direkt angesprochen. Es geht nicht nur um das Zuhören sondern um den Menschen und sein Unbewusstes. Diese Platte handelt von allem und führt dich tiefer in die Welt. “

Wir bedanken uns ganz herzlich bei BLOOD INCANTATION, bei Oktober Promotion, bei Century Media Records und auch beim Management der Band, die diesen Studiobesuch und den Einblick in den Entstehungsprozess dieses Albums möglich gemacht haben.

21.01.2025

- perfection is the end of everything -

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