Engel
Interview mit Niclas Engelin zu "Threnody"

Interview

Das Debütalbum der aus Göteborg stammenden Formation ENGEL bekam fast durchweg positives Feedback, nichtsdestotrotz mangelte es „Absolute Design“ an überzeugenden Melodien, die auf „Threnody“ zuhauf vorhanden sind. Was sich mit dem Zweitwerk, das ziemlich genau drei Jahre nach dem ersten Longplayer in den Läden steht, tatsächlich geändert hat und warum der Titel persönlicher Natur ist, erzählte uns Bandgründer und Gitarrist Niclas Engelin.

Obwohl „Absolute Design“ ein gutes Album ist, klingen die Songs in gewisser Weise zusammengewürfelt, während sich auf „Threnody“, eurem neuen Longplayer, alle Tracks zusammenfügen und ein homogenes Ganzes bilden. Habt ihr bewusst an diesem Aspekt gearbeitet?

Wir haben diesen Punkt als einen der wichtigsten betrachtet, als wir die neuen Songs schrieben, und penibel darauf geachtet, ein wie du sagst homogenes Ganzes zu erschaffen. Wir wollten, dass sich die von Anfang an aufgebaute Atmosphäre wie ein roter Faden durch das Album zieht. Ich denke auch, dass Tue Madsen, der damals bereits unsere Demos aufgenommen hat, ein wichtiger Faktor für unseren Sound darstellt und uns wieder mit Keys und Loops vertraut machte, die auf „Absolute Design“ schlichtweg gefehlt haben. Vielleicht war unser erstes Album auch deshalb eine kleine Enttäuschung, weil unsere Fans nicht das bekommen haben, was ihnen an unseren Demos gefallen hat. Insofern war „Absolute Design“ sicherlich auch etwas irreführend, denn Keys haben wir auf diesem Album fast gar nicht verwendet. Aber „Threnody“ enthält alle Trademarks unseres Demos und das ist unser Sound, den wir jetzt aufrechterhalten und entwickeln möchten!

Du bist im letzten Jahr für Jesper Strömblad, der mittlerweile ja IN FLAMES verlassen hat, für mehrere Live-Shows eingesprungen und hast den Jungs ausgeholfen. Hast du das Gefühl, dass sich das irgendwie im Songwriting für „Threnody“ niedergeschlagen hat?

Nein, ganz und gar nicht! „Threnody“ war ja schon fix und fertig im Kasten, als ich den Jungs ausgeholfen habe. Es kann also eher sein, dass du auf dem nächsten IN FLAMES-Album einige ENGEL-Einflüsse hören wirst… (lacht)

„Threnody“ war also schon lange fertig… Warum hat die Veröffentlichung dann so lange auf sich warten lassen?

Nun… Wir waren beim angeschlagenen Label SPV/Steamhammer, und es hat unheimlich viel Zeit gekostet, aus dem Vertrag herauszukommen und uns wieder in Bahnen zu lenken, von denen wir denken, dass sie auf uns positiv wirken. Wir hatten eine lange Durststrecke, die leider viele Fragen unbeantwortet ließ, und wir mussten auch eine neue Heimat für ENGEL finden, ein Label, das versteht was uns wichtig ist, an die Band glaubt und das uns auch entsprechend unterstützt! Das, und eine gesunde Kommunikation untereinander, ist extrem wichtig. Und mit Season Of Mist haben wir dieses Label letztendlich auch gefunden.

69 Tage. 688 m unter der Erdoberfläche… Ich bin mir sicher, dass du von den mittlerweile geretteten chilenischen Minenarbeitern gehört hast. Kannst du dir vorstellen, in so einer Situation zu sein? Was würdest du persönlich am meisten vermissen?

Ahhh… Das ist natürlich ein Albtraum… Ich hasse es mit dem Aufzug stecken zu bleiben, das ist mir bereits zwei oder dreimal passiert, aber irgendwo tief in der Erde begraben zu sein, das ist eine grauenhafte Vorstellung! Ich würde meine Familie sehr vermissen, und es würde mich innerlich zerreißen nicht zu wissen, wie es meiner Familie geht und nicht bei ihr zu sein. Ein solches Erlebnis würde vermutlich starke Auswirkungen auf meine Musik haben…

Der Titel des neuen Albums passt zu einem solchen tragischen Ereignis…

Während den Aufnahmen zu „Threnody“ hatten Mangan [Klavborn] und ich eine sehr harte Zeit, denn jemand, dem wir beide nahe standen, ist ganz plötzlich verstorben. Wir haben versucht, unsere Trauer positiv für die Aufnahmen umzusetzen, denn wir fühlten, dass wir stark sein und für unsere Familien da sein mussten. Aus diesem Umstand heraus ergab sich schließlich der Titel [„Threnody“ (eng.) = Klagelied]. Der Song „Six Feet Deep“, zu dem wir auch ein Video gedreht haben und das euer Magazin in Deutschland exklusiv präsentiert, ist übrigens Mangans Art seine Gefühle und seine Liebe für diese Person auszudrücken, die jetzt nicht mehr unter uns weilt…

„Threnody“ wurde bereits im April dieses Jahres in Japan veröffentlicht, während das Album erst jetzt in Europa erscheinen wird und sogar erst im nächsten Jahr in den USA. Wie hat sich das denn ergeben? Warum habt ihr gerade Japan für die Premiere eures Albums gewählt? Habt ihr einen besonderen Bezug zu diesem Land?

Irgendwo muss immer ein Anfang gemacht werden, und wir waren sehr heiß darauf, unsere neuen Songs einem Publikum vorzustellen. Der Deal mit Japan hat sich deshalb ergeben, da wir für die Veröffentlichung in Europa noch am Verhandeln waren, und wir einfach wussten, dass es richtig ist, diesmal andere Wege als üblich zu gehen. Der überwältigende Erfolg auf dem Loud Park in Japan gibt uns übrigens Recht, und das, obwohl „Absolute Design“ in Japan bisher nicht veröffentlicht wurde. Wir haben übrigens auch eine ganz andere Tracklist auf der Japan-Edition als auf der, die in Europa erscheint, denn wir haben insgesamt 17 extrem starke Tracks für „Threnody“ aufgenommen.

Welche Unterschiede seht ihr denn zwischen dem japanischen Markt und dem europäischen oder dem amerikanischen?

Hmmm… Ich bin kein Experte, aber ich weiß, was alle drei Märkte gemeinsam haben: Diese Sache mit dem Downloading. Ich will jetzt nicht auch anfangen und herumjammern wie schlimm sich so etwas auf die betroffenen Bands auswirkt, aber das Herunterladen von Songs aus dem Internet ruiniert einige wunderbare, eigene Emotionen und Erfahrungen, die ich immer ganz besonders zu schätzen wusste, wie zum Beispiel die Vorfreude auf ein neues Album einer Band, die man sehr mag, und dieses Gefühl, im Plattenladen zu stehen und es nicht abwarten zu können nach Hause zu kommen, um die Platte endlich auflegen oder die CD in den Player schieben zu können… Japaner sind musikalisch in gewisser Weise traditionell veranlagt, dafür spricht bereits, dass dort noch immer Bands wie MSG oder RATT große Erfolge haben, während man in Europa eher einen Club mit Freunden irgendeiner Death-Metal-Band füllt. In den USA ist der Markt sehr schnelllebig, denke ich, denn niemand ist wirklich daran interessiert, seine Lieblingsbands zu unterstützen und ihnen auch über Jahre noch treu zu bleiben.

Was denkst du denn ganz allgemein über die derzeitige Situation im Musik-Business? Gibt es überhaupt noch so etwas wie innovative Musik? Gibt es noch Bands, die schlichtweg einzigartig sind?

Ich denke solche Dinge basieren auf deinem ganz persönlichen Geschmack und wie offen du selbst mit gewissen Einflüssen umgehst. Vielleicht – das ist nur so ein Gedanke – wird jemand tierisch auf irgendwelche Autogeräusche abfahren, während in den höchsten Gang geschaltet wird und die Reifen quietschen, und jemand dazu verzerrte Death Grunts von sich gibt. Innovation? Erfolg ist, wenn man mit Integrität, Herzblut und Seele bei der Sache ist. Und ich denke schon, dass es im Moment eine ganze Menge solcher Bands gibt.

Kommen wir noch einmal zurück zu „Threnody“. Ich habe das Gefühl, dass das neue Material sehr amerikanisch klingt. Songs wie „To The End“ und „Perfect Isis“ zum Beispiel kann ich mir sogar sehr gut auf der neuen STONE SOUR vorstellen…

Mit diesen beiden Songs können wir zweifelsfrei ein größeres Publikum erreichen, aber ein anderer, wichtiger Punkt ist – und das darf nicht vergessen werden – dein eigenes Gefühl bei dieser Sache. Aber auch Songs wie „Six Feet Deep“ oder der Titetrack zum Beispiel sind kraftvolle Metal-Hymnen zum Abfeiern. Ich kann mir gut vorstellen, mit STONE SOUR zu touren. Das Publikum soll Spaß an den Songs haben und einfach rocken. Darum geht’s doch!

Hast du eigentlich mal ein paar neue LINKIN PARK-Songs gehört? Wie gefällt dir das neue Material? Was denkst du ganz allgemein über Bands, die einen kompletten Stilwechsel vorgenommen haben?

Ich bin ehrlich gesagt kein großer Fan von LINKIN PARK, aber die erste Single habe ich natürlich gehört – das ist nicht mein Fall! Es gibt viele Bands, die nach einer gewissen Zeit nach neuen Herausforderungen suchen und mit Sounds experimentieren – daran ist erstmal nichts auszusetzen. Auf der anderen Seite sollten diese Experimente von Herzen kommen und eine Band wie AC/DC kann und will ich mir sowieso nicht mit Samples und Rap-Einlagen vorstellen. (lacht) Einige Bands sollten einfach immer so bleiben, wie sie schon immer geklungen haben.

ENGELs Live-Shows sind eine Macht! Werdet ihr bald auch wieder Deutschland beehren? Oder zumindest ein paar Gigs in Europa spielen?

Wir planen bereits einige Shows und wollen natürlich auch so schnell wie möglich wieder nach Deutschland kommen. Ihr könnt auf uns zählen!

Zum Abschluß noch eine persönlich Frage: Kannst du dir ein Leben ohne Musik vorstellen?

NEIN! Kannst du dir vorstellen, jetzt in diesem Moment aufhören zu atmen?? (lacht)

Niclas, ich danke dir! Die letzten Worte gehören dir:

Vielen Dank für das Interview. Ich würde mich natürlich freuen, wenn sich jeder, der Musik liebt oder ein echter Metal-Freak ist, die Zeit nimmt, um sich unser neues Album anzuhören. „Threnody“ hat unglaublich viele unterschiedliche Stimmungen zu bieten, sanfte Songs, melancholische Songs und viele Tracks zum Abfeiern und Abrocken! CHEERS!

23.10.2010
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