Our Survival Depends On Us
"Rock, Metal, Folk, Punk oder Hip-Hop: Musik hat immer den sozialen Missstand kommentiert"

Interview

 

Das Österreicher Künstlerkollektiv OUR SURVIVAL DEPENDS ON US veröffentlicht dieser Tage mit „Melting the Ice in the Hearts of Man“ bereits ihre vierte Full-Length. Grund genug um ihnen ein wenig auf den Zahn zwecks dem Album zu fühlen. Aber auch andere Projekte, wie das House of the Holy, das Barth und Mucho organisieren, werden angeschnitten. Thom Kinberger (Gitarre, Vocals) stand uns Rede und Antwort. 

 

Euer neues Album heißt  “Melting the Ice in the Hearts of Men”. Welches Eis soll da geschmolzen werden?

Du kannst den Titel schon wörtlich nehmen. Wenn du längere Zeit mit offenen Augen und einem kritischen Geist durch das Leben gehst, kann es schon mal passieren, dass dein Herz vereist oder du zum Zyniker wirst. Aber ich glaube nicht an Zynismus. Diese ewig grinsende Überheblichkeit ist der größte Irrtum des Erwachsenwerdens. Uns geht es darum die Flamme am lodern zu halten, neugierig zu bleiben und mit voller Leidenschaft auch mal eine auf die Fresse zu kriegen. Auf dem neuen Album ist genau das passiert. Wir haben auf alle Konventionen geschissen und werden dafür die ein oder andere blutige Nase kassieren.

 

Auffällig ist, dass ihr diesmal weniger Songs auf dem Album habt: Nur 4 Stück, alle über 10 Minuten. Das erinnert beispielsweise an die ersten Werke von WITTR, die ja auch recht naturverbunden und autonom, ähnlich zu euch vorgehen. Bewusste Entscheidung oder hat es sich einfach so ergeben?

 Während der Songwriting-Phase denken wir nicht an Zeit oder das Albumformat. Das ist ein organischer Prozess, den wir einfach zulassen. Ein Song ist dann fertig wenn die Geschichte erzählt ist und wir einen spannenden Bogen geschafft haben. Als wir uns im Sommer vorletzten Jahres zu den intensiven Sessions auf unsere Alm zurück gezogen haben, war uns schon klar, dass die Songs episch werden. Wir hatten so viele Ideen und vielleicht hat uns auch die zeitlose Atmosphäre in der Abgeschiedenheit beflügelt. Wenn du morgens aufwachst und du zur Wäsche an den eiskalten Brunnen musst, oder das Essen am Holzofen 3 Stunden dauert, dann entwickelst du eine enorme Ruhe und Konzentrationsfähigkeit. Vielleicht ist das die Naturverbundenheit und Autonomie die du bei WITTR findest. Wir haben uns am Ende für vier Songs entschieden. Zum einen weil die Zahl 4 eine starke Symbolkraft hat und zum anderen, weil wir in 45 Minuten perfekt auf den Punkt kommen und zudem wunderbar das Vinyl Format abdecken.

 

Was fehlt euch momentan in der Metalszene, aber vielleicht auch in angrenzenden wie Folk, Punk. Was fehlt der Rockmusik generell heute? Gibt es noch so etwas wie ein revolutionäres Moment, was damals etwa auch aus HipHop/Rap oder der 68er  Bewegung ausging? Ist es problematisch, wenn eher privat (sofern man von Musik für sich und Fans zu machen von privat sprechen kann) mit Gegenkultur Widerstand ausgedrückt wird anstatt politisch aktiv zu werden? Es ist ja kein Geheimnis, dass du, Thom Kinberger, da ja durchaus auch aktiv bist.

 Ziviler Ungehorsam oder Widerstand gegen das herrschende System ist für uns keine Frage der äußeren Umstände, sondern eine innere Notwendigkeit. Das bedeutet aber eben nicht, dass wir täglich mit der Fackel und der Mistgabel in der Hand auf der Straße Restitution fordern. Jeder wirkt dort wo er kann, einfach weil wir aufgrund unseres renitenten Charakters dazu gezwungen sind. Mucho arbeitet mit ehemaligen Häftlingen und an der Gesellschaft gescheiterten Menschen. Das macht er aber sicher nicht, weil das Ansehen und der Verdienst so verlockend sind. Hier wird jeden Tag der Wert eines Menschen neu definiert. Ich bin nicht nur Musiker, sondern auch Gewerkschafter und kann da einfach nicht ruhig bleiben, wenn wenige Mächtige, über die Menge der einfachen Menschen drüber fahren, nur weil das Kapital im Besitz der Medien ist und autoritäre Politiker sich  mit Hilfe von Konzernen Gesetze und Immunität erkaufen. Wir sind mitten in einem totalitären Umbau unserer Gesellschaft, aber zu beschäftigt mit konsumieren um das zu bemerken. Gesundheitssysteme werden privatisiert, öffentlicher Rundfunk beschränkt und ehrliche Arbeit reicht gerade noch um zu überleben. In Frankreich brennen die Straßen, in Britannien kannst du dir in Turnsälen deine Zähne behandeln lassen und in Griechenland sind die öffentlichen Schulen ohne Heizung. Rock, Metal, Folk, Punk oder Hip-Hop: Musik hat immer den sozialen Missstand kommentiert. Das muss nicht in jedem Text formuliert sein, aber doch in der Haltung von Künstlern.

 

OUR SURVIVAL DEPENDS ON US versteht sich auch selbst als Künstlerkollektiv, alle Mitglieder von euch sind in vielen anderen Projekten involviert. Das größte und wohl bekannteste ist das „House of the Holy“-Festival, vormals „Funkenflug“. Gestartet von Barth und Mucho. Könnt ihr uns erzählen, wie es dazu gekommen ist? Wer hatte die Idee? Mittlerweile ist das eine eingeschworene und beliebte Sache: Wer nicht fix ist oder Connections hat geht leer aus, was Tickets angeht. Dies gibt dem ganzen Event ein gewisse Exklusivität und mysteriöse Aura. Habt ihr euch bewusst dafür entschieden? Wollt ihr so vielleicht auch nur eine ganz besondere Sorte von Menschen ansprechen?

House Of The Holy/Funkenflug ist ein gutes Beispiel wie Barth an die Gesellschaft ran geht. Es ging darum einen Ort der Begegnung zu schaffen. Grenzen nieder zu reißen. Als die Jungs mit ein paar Underground-Black-Metal-Konzerten mitten im Gebirge am Arsch der Welt starteten, dachten die Leute, sie hätten den Verstand verloren. Wer soll von Salzburg rein ins Gebirge und von dort noch rauf auf die Alm um eine abgeranzte Truppe stinkender Schweden oder Amis zu sehen? Kein Booker, kein Fotograf, kein Journalist hat sich dafür interessiert. Nur eine Handvoll Musik- und Natur-Verrückter. Aber die Leute sind gekommen, mehr und mehr. Wenn es regnete gab es damals noch keine Chance auf einen trockenen Platz, nicht mal an der Bar. Aber die Leute kamen. Nicht die Metal-Szene aus der Umgebung, sondern Idealisten aus dem Ausland, Skandinavier, Osteuropäer, Amerikaner. Dort oben hat sich eine wunderbare Gemeinschaft entwickelt. Autonome Postrocker und Rightwing-Blackmetaller am selben Ort. Das hat Barth und Mucho von allen Seiten Kritik eingebracht, aber sie haben drauf geschissen. Denn darum geht es nicht! Hier wird das Verbindende vor das Trennende gestellt, die Liebe zur eigenwilligen Kunst und zur Natur auf’s Podium gestellt. Wer  glaubt, dass der Kampf zwischen Rechts und Links geführt wird, und nicht zwischen Oben und Unten, hat nichts verstanden. Als die Umbenennung von „Funkenflug“ auf „House Of The Holy“ vollzogen wurde, war das erneut ein Zeichen der Lösung vom Physischen hin zum Spirituellen. Ein Festival das mehr als Musik bietet, einen Ort der Begegnung und der Inspiration.

 

Was war der erinnerungswürdigste Moment auf dem „House of the Holy“ für euch?

Die großen Feuer sind jedes Jahr das Highlight. Aber als Alan Averill damals die Feuerzeremonie mit dem Mikro oben am Steinkreis besungen hat, umgeben von 400 Leuten und 100 Meter tiefer auf der Bühne PRIMORDIAL dazu gespielt haben, war das magisch. Die Menge war vollkommen andächtig und fokussiert. Das war so schön, einzigartig und respektvoll zugleich, dass ich heute noch Gänsehaut bekomme.

Wenn ihr für einen Tag in eine machtvolle Position kommen würdet (Papst, Ministerpräsident, Bankenchef…), was würdet ihr ändern?

Wenn du an der Spitze einer derartigen Elite stehst, hast du keine Möglichkeit etwas Grundlegendes zu ändern. Machtstrukturen basieren darauf sich in ihrer etablierten Form zu halten. An der Spitze solcher Institutionen stehen deshalb nie Erneuerer, sondern Verwalter und Konsens-Kandidaten. Ich würde mir ein System wünschen das die Macht solcher Einrichtungen beschränkt. Echte Säkularisation, Verbot des Finanzkapitalismus und verpflichtende Sozialökonomie wären ein Anfang.

 

Der spirituelle Aspekt in eurer Musik ist allgegenwärtig. Was fasziniert euch daran so und wie drückt es sich für euch aus? Geht es bis mit in den Alltag, habt ihr bestimmte Rituale, Gebete, Tätigkeiten? Oder wird das vornehmlich durch die Musik und eure privaten Projekte (Malerei, Literatur, etc.) ausgelebt?

 So wie wir das empfinden ist es nicht der spirituelle Aspekt der Menschen, sondern der physische Aspekt des Spirituellen der uns in der Kunst antreibt. Wir sind spirituelle Wesen, die sich in ihrer physischen Form ausdrücken müssen. Das gelingt uns mal besser, mal schlechter, je nach Zustand. Wir laufen also nicht wie Mönche durch’s Leben, aber wir haben einen starken Drang zu unsrem Ur-Zustand zu finden. Das klappt in der Kunst und besonders in der Musik am zuverlässigsten. Rituale sind ein wichtiger Bestandteil der menschlichen Kultur, dabei muss es nicht immer eine riesige Zeremonie sein, das kann auch ganz banal ein gemeinsames Abendessen, oder eben ein Konzert sein.

 

Zu eurem Video zu “Gold and Silver” kann man euch nur beglückwünschen. Man sieht jeder Einstellung an, wie viel Arbeit und Liebe in Konzeption, Planung und Realisierung eingeflossen ist. Könnt ihr über Konzept des Videos und die Vorbereitungen mehr erzählen?

 Ja, wir sind schon sehr perfektionistisch wenn es um die Kunst geht. Aber wir arbeiten sehr intuitiv und organisch bei unseren Projekten. Am wichtigsten ist die Wahl der Leute die beteiligt sind. Nach vielen Jahren freuten wir uns darauf wieder einmal mit Filmemacher Martin Dimitz gemeinsam etwas zu machen. Er ist ein echter Profi, aber er hat uns voll vertraut und sich auf das Abenteuer eingelassen. Die Lyrics und die Musik haben die Handlung vorgegeben, aber bei der Entwicklung der Geschichte haben wir uns vom Rausch des Moments leiten lassen. Wir haben hier sehr vieles einfach passieren lassen. Weißt du, man muss die Leute einfach ihr Feuer und ihre Leidenschaft einbringen lassen, nicht zu viel einmischen und ja nie bremsen. Die Damen haben so viel von ihren Persönlichkeiten eingebracht, das war alles extrem harmonisch und produktiv. Die Requisiten, die Darsteller und die Location haben ein Eigenleben entwickelt und das Ergebnis ist wunderbar!

 

Abgesehen von der österreichischen Alm, was ist der nächste schönste Ort auf der Erde, vielleicht auch einen, den ihr erst beim Touren kennen gelernt habt?

 Definitiv Island. Wir hatten das Vergnügen ein Festival in Reykjavik an Samhain zu spielen.  Dort oben haben wir vor Jahren echte Freundschaften geschlossen und sind auch immer gerne im Zentrum der  Ásatrúarfélagið zu Besuch. Hajot fährt schon seit vielen Jahren  mit seinem Defender auf die Insel und hat dort auch die ersten Kontakte zu Steindór Andersen und  Hilmar Örn Hilmarsson hergestellt. Die Künstler sind dort gut vernetzt und natürlich kennt jeder jeden, es ist für uns immer ein Gefühl des Heimkommens wenn wir in Island sind.

 

Apropos Touren, gibt es da schon Pläne für außerhalb Österreich in Zukunft?

 Wir planen auf alle Fälle für den Herbst eine Tour und warten jetzt noch Angebote ab, die mit dem neuen Album kommen.

 

 Das wäre es von mir, vielen Dank für die Zeit. Platz für letzte Worte an Fans…

 Danke an alle die neugierig bleiben und täglich auf der Suche nach neuer, interessanter Musik sind. Danke für dein Interesse an Our Survival Depends On Us!

 

Quelle: OSDOU, Wolf Mühlmann
02.02.2019
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