Pallbearer
"Live-Auftritte sind das Aushängeschild einer Band"

Interview

Mit „Forgotten Days“ haben PALLBEARER unlängst ihr viertes Album veröffentlicht – und mit satten neun Punkten in der Review und einem fünften Platz im Oktober-Soundcheck überzeugt. Wir hatten die Gelegenheit mit einem famos aufgelegten Brett Campbell (Gesang und Gitarre) in das Konzept hinter „Forgotten Days“ einzutauchen – und über Emotionen, unverarbeitete Trauer und fehlende Live-Konzerte zu sprechen. Und ab.

metal.de: Danke für deine Zeit! Wie groß ist die Anspannung hinsichtlich der Veröffentlichung von „Forgotten Days“?

Brett Campbell (BC): Wir sind schon ziemlich aufgeregt. Wir haben die Aufnahmen letzten Herbst abgeschlossen, wir sind also schon lange bereit das Teil endlich zu veröffentlichen. Wir sind ziemlich enttäuscht, dass wir das Material aktuell nicht live spielen können, aber es ist gut, dass sich die Leute das endlich anhören können (lacht).

metal.de: Der Pressetext zu „Forgotten Days“ spricht von einem aufwändigen Entstehungs- und Aufnahmeprozess im Jahr 2019. Kannst Du das weiter ausführen?

BC: Wir investieren grundsätzlich viel Arbeit in unsere Musik, aber nicht nur in die Musik, sondern auch in die Präsentation, das Artwork und so. Das ist alles Teil des Ganzen. Also vom Zeitpunkt an dem wir mit dem Schreiben anfangen, wenn wir entscheiden, in welche Richtung wir mit dem Album gehen wollen, bis zu dem Moment, wenn die Alben gepresst werden, sind wir in hohem Maße eingebunden. Das ist schon ein ziemlich intensive Prozess, das dauert lange. Aber das ist die beste Art zu arbeiten. Ich bin lieber „hypereingebunden“ und stelle sicher, dass es so gut wird wie irgend möglich – und dass wir so dicht an das rankommen, was wir uns vorstellen, wie irgend möglich. Und wenn wir auf etwas stoßen, mit dem wir nicht mit zufrieden sind – und das auch noch unser Fehler war – dann tun wir alles, was wir können, um das auszumerzen.

metal.de: Nach diesem intensiven Prozess mit „Forgotten Days“ – was steht den aktuell an? Wie verbringt ihr eure Zeit – wenn alles geschlossen ist?

BC: (lacht) Däumchen drehen…. (und dazu gibt’s eine charmante Auf- und Abbewegung der Hand – Danke, Videochat!). Nein, ernsthaft, wir arbeiten an Musik. Bevor die ganze Pandemie und die Quarantäne-Zeit losging haben wir schon an neuem Material gearbeitet. Der Schaffensprozess von „Forgotten Days“ war unglaublich fruchtbar, wir sind bei 14, 15 Songs rausgekommen. In verschiedenen Stadien der Fertigstellung, aber weitestgehend fertig. Wir haben also einen Berg an Material und wir arbeiten weiter. Aber das Problem ist: Joseph (D. Rowland – Bass und Gesang; Anm. d. Red.) als weiterer Haupt-Songwriter lebt in Brooklyn, New York. Und der Rest von uns lebt in Arkansas. Du kannst ihn nicht einfach ins Flugzeug stecken – und das ist eine 24-Stunden-Fahrt (so knapp 2.000 km; Anm. der Red.) Wir können uns also nicht mal eben zum jammen und abhängen treffen. Wir restlichen drei (Devin (Holt – Gitarre, Gesang) und Mark (Liely – Schlagzeug)) treffen uns, aber wir haben das Gefühl nicht so recht voran zu kommen. Wir sind vorbereitet mehr zu tun, zu touren, mehr Songs zu schreiben, wir haben echt einen kreativen Höhepunkt, hatten so ein Momentum nach „Forgotten Days“. Und dann: Bäm. Nun sitzen wir hier fest. Wir versuchen motiviert zu bleiben, weiterzuarbeiten, aber es ist schwerer ohne klar definiertes Ziel. Ich mache derzeit eine Menge Musik, aber es ist weniger fokussiert, ich versuche mehr zu erkunden, als Kram für PALLBEARER zu schreiben. Das ist schon gut, glaube ich, eine mentale Übung, aber ich will endlich wieder was tun und nicht nur zuhause rumsitzen!

metal.de: Wie muss man sich den Songwriting-Prozess bei PALLBEARER vorstellen? Wie sind die Songs zu „Forgotten Days“ entstanden?

BC: Der Grund, warum das Ganze funktioniert, ist, weil Joe und ich die Hauptsongwriter sind, wir bringen Ideen in die Band und arbeiten dann gemeinsam die Details aus. Auf den ersten beiden Alben waren es wirklich Joe und ich, die alles gemacht haben, aber: Auf „Heartless“ – und noch mehr „Forgotten Days“ – arbeiteten wir mehr als Band. Obwohl Joe und ich immer noch den überwiegenden Teil eines Songs schreiben, halten wir immer den Dialog mit Devin und Mark – und natürlich untereinander. Und wenn ich mit einem Song ankomme und jemand sagt: „Wieso versuchen wir nicht mal sowas?“ – dann probieren wir das. Sogar wenn ich anfangs nicht überzeugt bin… (lacht), nach dem Motto: „Das kann ja gar nicht klappen, schließlich bin ich ein verdammtes Genie! Keine Idee ist so gut wie meine!“ Naja, und in der Hälfte der Fälle ist die Idee, die dann kommt, sogar tatsächlich besser (lacht).

Also: Wir probieren immer alle Ideen aus, schließlich wissen wir schlicht nicht, ob es vielleicht nicht doch besser ist. Wir haben da einen demokratischen Ansatz, wenn es um das Ausprobieren geht. Am Ende des Tages kommen die Songs überwiegend von Joe und mir, und auch wenn wir so weit auseinander wohnen: Wir spielen als Band jetzt so lange zusammen. Es ist leicht für uns einzusteigen und schnell zu arbeiten. Das ist mittlerweile ziemlich effizient und funktioniert recht gut.

PALLBEARER – „Forgotten Days“

metal.de: Ihr habt das Thema „Familie“ im weitesten Sinne für „Forgotten Days“ gewählt – mit allen schweren Aspekten wie Verlust und Trauer. Josephs Dialog mit seiner Mutter, die vor zehn Jahren verstarb; Alzheimer als Inspiration für den Titeltrack „Forgotten Days“. Wie seid ihr auf die Idee gekommen und wie bringst Du den Mut auf, mit solch persönlichen Themen in die Öffentlichkeit zu treten?

BC: Es wird leichter, wenn Zeit vergeht. Der Prozess zu „Sorrow & Extinction“ war so eine Art Überlebenskampf. Da war die Zeit, in der Josephs Mutter verstarb, ich war deprimiert mit der allgemeinen Situation. Ich suchte nach dem Sinn, nach einem Sinn. Was ich damals fand: Ich genoss es, Dinge zu erschaffen und Musik zu machen. Musik zu machen war eines der Dinge, vielleicht die eine Sache, die mich davon abgehalten hat, mich umzubringen. Ich habe alles in die Band gegeben. Die Geburtsstunde von PALLBEARER war ein großer emotionaler Ausbruch. Auch wenn die Texte auf dem ersten Album etwas metaphorischer sind – aber mit der Zeit bin ich selbstsicherer geworden, was das angeht.

Das ist schon schräg, denn im Alltag bin ich eigentlich nicht der „Schau-auf-meine-Problem“-Typ. Ich meine, ich bin nicht verschlossen, aber ich bin sicher niemand der Drama oder Aufmerksamkeit sucht oder so. Aber es ist überaus nützlich Konzepte oder Emotionen, die dich negativ beeinflussen, zu nehmen und ausdrücken oder zu erforschen und PALLBEARER ist eine gute Plattform dafür.

metal.de: Wenn man den textlichen Hintergrund betrachtet, dann kamen Alben wie GREEN CARNATIONs „Light Of Day, Day Of Darkness“ in den Sinn. Bandkopf Tchort verarbeitet hier den Verlust eines Kindes und die Selbstvorwürfe, bei Geburt seines Sohnes dies nicht mit uneingeschränkter Freude erleben zu können. Texte im Metal neigen ja oft dazu eher abstrakt und verklausuliert zu sein, so immer einen Ausweg anbietend, falls der Hörer sich dem Thema nicht stellen möchte. Denkt ihr über die Wirkung auf den Hörer nach, wenn ihr Texte schreibt?

BC: Eine Menge Metal ist sicherlich eher die „Escapist“-Art. Ob man nun Horror oder War-Fantasy nimmt. (lacht) Und das ist unterhaltsam! Es ist wie Popcorn, also für mich persönlich. Ich höre davon viel, aber das erfüllt für mich einen anderen Zweck. Ich sehe PALLBEARER als Metal-Band, aber es ist ein direkter Ausdruck davon, wer wir als Personen sind. Und ich denke, die Konventionen oder Einschränkungen eines Genres kümmern uns nicht, es geht mehr darum eine Sprache zu finden, die es uns erlaubt, uns auszudrücken. Wir mögen heavy Musik, wir mögen melodische Musik, und wir mögen den Ansatz mit lauter Musik für kurze Zeit deine eigene Persönlichkeit zu verändern, in einer Live-Show ist da eine physische Präsenz. Sicherlich einer der besten Dinge am Metal ist seine Power. Und wie wir auf Ebene der Lautstärke kraftvoll sind, wollen wir auch emotional kraftvoll sein. Wir wollen transportieren, wie es ist, menschlich zu sein und eine Menge Traurigkeit gehört eben dazu, das Leben ist nicht nur Trauer, aber sie ist da. Viele Leute haben eine schwere Zeit dies zu erforschen, und wir sehen uns darin, das zu unterstützen, für uns selbst und für den Hörer.

Lest auf Seite 2: Brett Campbell über Reflektion, Live-Auftritte und zehn Jahre „Sorrow & Extinction“

metal.de: Der Pressetext sagt ebenso: „Das letzte Jahr war Zeit zum reflektieren.“ Ist das etwas, was eurer Ansicht nach generell zu kurz kommt oder ist das eher eurer persönlichen Situation geschuldet?

BC: Nun, ich denke wir sind alle reflektierte Personen in der Band, aber der letzte Tour-Zyklus war wirklich intensiv. Das waren zwei Jahre fast pausenlos auf Tour, wir hatten kaum Zeit auszuruhen. Unser Drummer Mark hatte eine Lungenetzündung, ich hatte eine Stirnhöhlenentzündung für sechs Monate oder so. Wir konnten uns schlicht nicht erholen. Du ziehst das durch, Aufstehen, Soundcheck, jeden Tag. Da denkst Du: Gebt mir ein Hotelzimmer, ich möchte mal einen ganzen Tag schlafen (lacht).

In der Zeit von der Fertigstellung und Touring zu „Heartless“ bis zum Anfang von „Forgotten Days“ hatten wir dann die Chance daheim zu sein. Mein Leben ist weniger chaotisch als in den letzten zehn Jahren, ich habe ein stabiles Leben, wir sind eigentlich alle an einem guten Platz in unseren Leben. Wir haben die Chance nach Hause zu kommen und fühlen uns da emotional stabil. Und da fragt man sich: Vom Anfang von PALLBEARER vor zwölf, dreizehn Jahren bis jetzt – was hat sich da verändert? Wie sind wir dahin gekommen, wo wir jetzt sind? Wie sind wir anders, als zur Anfangszeit der Band? Was sind die Veränderungen?

Und beim Thema Alzheimer: Wir sehen das in der Familie und wir haben angefangen zurück zu schauen, was sich geämdert hat. Nicht, dase die Welt sich verändert hat, sondern unsere Perspektive. Und so wie du dich veränderst, ändert sich auch dein Blick auf die Vergangenheit. Ich bin jetzt nicht über-sentimental oder nostalgisch, ich bin eher die „Leben-im-Moment“-Person. Ich hänge jetzt nicht ständig in der Vergangeheit, das ist ein gefährlicher Weg, der dich verbittern kann. Aber von Zeit zu Zeit zurück zu schauen und das in einen Kontext zum Jetzt zu setzen, hilft deine Zukunft zu gestalten. Zu entscheiden, wer Du sein willst. Um dich zu bessern, musst Du verstehen, wie Du geworden bist, wer du aktuell bist.

Pallbearer – Live

metal.de: Die Beschreibung des neuen Albums als „mit weniger Komplexität und kompositorischem Maximalismus“ hat erstmal überrascht. Nun ist „Forgotten Days“ ja alles andere als Easy-Listening. Was war die Absicht hinter der Rückkehr zu den Anfangstagen von PALLBEARER?

BC: Das ist eine thematische Schleife von Joe, eine der Geburtsmomente von PALLBEARER war ja die tödliche Erkrankung seiner Mutter. Er hatte das Gefühl, damit nicht abgeschlossen zu haben. Er fühlte diese emotionalen Wände, trank zu viel, er fand all diese Wege ungesund mit einem traumatischen Ereignis in seinem Leben umzugehen, das er nicht abschließen konnte. Das ist eine Sicht, wie wir auf „Sorrow & Extinction“ zurück blicken, das ist Joes Verbindung mit den damaligen Ereignissen, mit Ereignissen, die PALLBEARER begründet haben.

So ist das thematisch verbunden. Auch wenn die Texte von „Sorrow & Extinction“ das so nicht direkt wiederspiegeln, Joe und ich haben alle Emotion damals in diese Platte gegeben, und wir referenzieren das auch in der Musik. So klingt die Musik eben manchmal nach „Sorrow & Extinction“. Aber ich denke, das ist eh immer da und es ist auch unser Versuch Dinge nicht übermäßig zu verkomplizieren. „Heartless“ war ein immens groß komponiertes Album, es ist Komplex, viele Schichten, es ist viel los, es ist sehr dicht. Wir haben uns diesmal darauf fokussiert, Elemente abzuschälen, die wir fast als Exzess betrachten und uns mehr auf den Kern zu konzentrieren. Das ist der Sound von PALLBEARER, die Grundidee davon, was PALLBEARER ist. Also wenn man noch keine Musik von uns kennt, dann ist „Forgotten Days“ ein guter Einstieg. Es enthält alles, was wir vorher gemacht haben – nicht beabsichtigt, aber es ist wohl so.

metal.de: Ihr habt erstmals mit Randall Dunn gearbeitet, der auch für SUNN O))), EARTH – und, nicht zuletzt, WOLVES IN THE THRONE ROOM tätig war. Habt ihr neue Ideen für euren Sund eingebracht oder war das sein Beitrag zu dem Album?

BC: Es war schon beides. Er hat den Live-Sound für uns gemacht, so für sechs oder sieben Shows, während der „Heartless“-Zeit. Und wir endeten seinerzeit dabei, über Methodik zu reden, wie wir die Aufnahmen unsere Alben angegangen sind. Wir hatten bislang keinen „Produzenten“, wir haben erklärt, was wir wollen, und die Techniker haben das dann gemacht. Aber als wir mit Randall sprachen, merkten wir, dass unser Ansatz sehr ähnlich war und er ist tatsächlich ein Produzent! Und er weiß, was er tut. (lacht) Wir sagten ihm, was unser Ziel ist und seine Arbeitsweise ist unserer sehr ähnlich – aber er ist halt besser darin als wir.

Er konnte uns Ideen anbieten, aus der Sicht eine Produzenten, die wir einfach nicht hatten. Das ist wirklich wertvoll. Wir haben das in knapp über zwei Wochen aufgenommen, das ist verrrückt für uns. „Heartless“ dauerte knapp fünf Wochen, „Foundations Of Burden“ auch. Und das waren zwölf Stunden Aufnahme am Tag. Mit „Forgotten Day“ haben wir sieben bis acht Stunden am Tag gemacht, über zwei Wochen. Wir haben es sehr effizient gestaltet und die Arbeit mit Randall sehr genossen. Er ist auf dem selben Level.

Konzertfoto von Pallbearer – Europatour 2018

metal.de: Nun ist es ja derzeit leider gar nicht – oder maximal sehr eingeschränkt – möglich live aufzutreten. Wie sehr trifft euch das als Band? Und wie bedeutsam sind Live-Shows für PALLBEARER im Allgemeinen?

BC: Au, das ist schon sehr wichtig. Es ist das Aushängeschild einer Band und es ist extrem wichtig live zu spielen. „Forgotten Days“ ist geplant zu klingen, wie wir live klingen, aufgenommen ziemlich roh. Die Songs wurden geschrieben um live gespielt zu werden. Ironischerweise wird nun niemand in nächster Zeit live spielen – aber: Eines Tages!

metal.de: Ihr seid sicher vertraut mit dem Konzept „Band XY spielt Album Z in Gänze“. Wäre es für den zehnten Geburtstag von „Sorrow & Extinction“ 2022 denkbar, dieses Konzept umzusetzen?

BC: Ja, wir haben wirklich darüber nachgedacht. Wir werden ja sehen, ob es eine Chance gibt 2022 (lacht). Wir haben über das Touring von „Forgotten Days“ gesprochen und über den Abschluss des Tour-Zyklus in diese Richtung gedacht. Und auch daneben hatten wir große Pläne für die Zeit nach „Forgotten Days“, ein drei bis vier-Jahresplan, der wirklich großartig gewesen wäre. Aber: Es ist eine Möglichkeit, vielleicht dann keine ganze Tour, aber vielleicht ausgewählte Shows.

metal.de: … und wenn Du eine solche Performance einer anderen Band erleben könntest: Was wäre deine Wahl?

BC: Schwere Frage. Aber PINK FLOYD, „Dark Side Of The Moon“, mit großer Produktion, wäre wohl meine Wahl (lacht).

metal.de: Vielen Dank nochmal! Hast Du noch einige berühmte letzte Worte?

BC: Danke für den Support -und ich nerve meine Freundin schon, wie sehr ich mal wieder nach Deutschland kommen möchte. Helft mir einzuwandern, ich muss hier mal raus (lacht). Ich freue mich darauf zurück zu kommen, und hoffentlich ist diese traurige Zeit früher als später vorbei und wir können wieder das tun, was wir lieben – Shows spielen!

19.11.2020

Iä! Iä! Cthulhu fhtagn!

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