Refused
"Refused are fucking alive"

Interview

Refused

Ich erreiche Kristofer Steen, seit 1994 Gitarrist bei den schwedischen Experimental-Hardcore-Helden von REFUSED, im Tourbus auf seinem Handy. Man ist gerade auf dem Weg zum „Ruhrpott Rodeo“ in Hünxe, wo REFUSED am späten Abend headlinen sollen. Die Stimmung in der Band scheint gut, zumindest wird im Hintergrund viel geblödelt und gelacht. Kristofer aber lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und antwortet ausführlich auf alles, was ich wissen will. Am Ende stehen ganz neue Erkenntnisse über „Freedom“, das erste REFUSED-Album seit 1998, politischen Aktivismus, New-School-Hip-Hop und die Herausforderung, einen MESHUGGAH-Song auf der Gitarre zu spielen.

Wie fühlt es sich nach all der Zeit an, mit einem neuen Album im Gepäck zurück zu sein?

Eine klasse Einstiegsfrage (lacht). Es fühlt sich super an. Es ergibt einfach mehr Sinn auf Tour zu sein, wenn man auch ein Album draußen hat. Ich bin extrem glücklich mit dem Album und es ist einfach toll zurück zu sein.

Was hat euch dazu gebracht, nachdem ihr 2012 bereits für eine Reunion-Tour zurückgekommen seid und euch dann wieder aufgelöst habt, es dieses Mal so richtig zu versuchen?

Der Hauptgrund war der, dass wir Musik hatten, von der wir wollten, dass sie die Leute erreicht. Ich meine, ich, David und Magnus hatten schon ein gemeinsames Projekt vor der Reunion-Tour und wir haben diese Musik mehr oder weniger  in REFUSED-Musik umgewandelt. Wir hatten diese gemeinsame musikalische Grundlage, was glaube ich sehr wichtig war. Ein Schlüsselmoment war aber, als wir beim Download-Festival in England gespielt haben und der Drummer von UGLY KID JOE zu mir und David kam und fragte, ob wir neue Songs hätten. Und wir verneinten, weil wir zu diesem Zeitpunkt noch gar keine konkreten Ideen hatten und seine Antwort war: „Das ist echt beschissen.“ („That’s fucked.“) (lacht). Er ging wie selbstverständlich davon aus, dass wir gemeinsam in der Lage waren, wieder neue Musik zu machen. Und dachten David und ich mir, dass wir etwas zu beweisen hätten.

Das war wirklich so eine Art Auslöser für uns. Zu beweisen, dass wir das noch in uns haben, was es braucht, um REFUSED-Musik zu schreiben. Dass die Chemie zwischen uns noch stimmte, wussten wir aber schon aus unseren Projekten und wir hatten auch jede Menge Spaß auf der Reunion-Tour. Es hat uns sogar ein bisschen gewundert, was diese Tour für eine tolle Erfahrung war.

Da mit hast du meine nächste Frage schon ein bisschen vorweggenommen. Wart ihr überrascht, wie positiv die Reunion-Konzerte ankamen und dass euch auf den großen Festivals (Rock am Ring 2012) auch die Kids abgefeiert haben, die in den 90ern noch gar keine Musik gekauft haben?

Auf jeden Fall. Wir haben die Öffentlichkeit ja vorher lange nicht gesucht und es dann mit eigenen Augen zu sehen und die eigenen Fans wieder zu treffen war eine tolle Erfahrung. Ich meine, selbst wenn du weißt, dass es da draußen Leute gibt, denen deine Musik etwas bedeutet, öffnet es einem doch die Augen, diese Leute dann wirklich zu treffen. Zu sehen was ihnen diese Musik bedeutet. Das war eine große Sache, für alle von uns.

Lass uns ein bisschen über das neue Album reden. Es heißt einfach nur „Freedom“. Warum so simpel, und warum gerade jetzt dieser Titel?

Man kann diesen Titel eigentlich unmöglich auf eine bestimmte Bedeutung oder Aussage herunterbrechen. Und das ist einer der Gründe, warum wir ihn gewählt haben. „Freedom“ ist so ein gigantisches und bedeutungsvolles Wort. Wir wollten auf jeden Fall etwas, dass nicht zu wörtlich daherkommt, so wie das bei unseren vorherigen Albumtiteln größtenteils war. Diese Titel waren ein bisschen wie eine Art Beschriftung, die dir sagte, was das Album enthält. „Freedom“ ist ein Wort, das gleichzeitig simpel und ungreifbar, unerreichbar ist. Es ist kaum möglich es zu definieren und das möchte ich eigentlich auch gar nicht. Ich bin noch nicht einmal sicher, ob wir überhaupt eine gemeinsame Bedeutung haben.

Warum habt ihr euch bei der ersten Single für „Elektra“ entschieden, meiner Meinung nach der konventionellste Song des Albums?

Ich denke, da ist etwas Wahres dran. Ich glaube, dass „Elektra“ eine Brücke zwischen unserem älteren Material und den neuen Sachen schlägt. Wir wollten das Album mit etwas einigermaßen Bekanntem einleiten, dass aber trotzdem viel Neues in sich trägt. „Elektra“ ist eine Art trojanisches Pferd, das den Hörer ein bisschen in die Irre führen soll. Der Song ist nicht unbedingt simpel, wenn du dir die Rhythmen anguckst, aber er ist von seinem Charakter her irgendwie direkt. Ich würde allerdings nicht sagen, dass er konventionell ist.

Konventionell gemessen an REFUSED-Standards, nicht an denen der 08/15-Hardcore-Punk-Band.

Ich verstehe dich. (lacht)

Aber wo du die Brücke zwischen den alten und den neuen REFUSED erwähnst: Was würdest du sagen, ist das herausstechend Neue auf „Freedom“?

Ich finde, dass Album ist sehr extrovertiert. Es ist Musik, die wirklich einen Zuhörer will. Es ist sehr vielfältig und könnte glaube ich auch eine vielfältigere Mischung von Hörern erreichen.

 

Wenn ich dich das Album so beschreiben höre und ihr gerade auf dem Weg zum „Ruhrpott Rodeo“ seid, einem wirklich reinen Punk-Festival, da frage ich mich: Wie steht ihr zur Punk-Szene und fühlt ihr euch überhaupt in irgendeiner Szene wohl?

Ich würde nicht sagen, dass wir uns über irgendwelchen Szenen bewegen oder uns darin nicht wohlfühlen. Allerdings hast du Recht, wir passen bei keinem Festival zu 100 Prozent ins Line-Up. Aber es ist toll für uns, solche Arten von Punk-Festivals zu spielen und alle Genres irgendwie mitnehmen zu können. Ich finde, es ist ein Luxus, theoretisch überall spielen zu können, den nicht viele Bands haben.

Eine Sache, in der ihr aber immer noch durch und durch Punk seid, ist die Attitüde, die sich vor allem in euren Texten niederschlägt. Die sind auf „Freedom“ noch immer sehr politisch, sehr kritisch und nehmen kein Blatt vor den Mund. Verfolgt ihr in Zeiten zunehmender Politikverdrossenheit auch eine politisierende Mission?

Ich würde nicht behaupten, dass wir uns auf einer Mission befinden, die die Menschen politisieren soll. Ich persönlich noch am Allerwenigsten. Aber ich denke, dass die politischen Texte in Kombination mit der Musik REFUSED ausmachen. Diese Kombination ist sehr wichtig. Auf der anderen Seite fände ich es aber anmaßend zu behaupten, wir brächten politisches Verständnis zu den Leuten.

Versucht ihr manchmal bewusst, einen Kontrast zwischen Musik und Text zu erschaffen? Auf „Freedom“ gibt es beispielsweise den Song „Françafrique“, in dem ein Kinderchor wiederholt die Worte „Exterminate the brutes“ singt.

Ich bin froh, dass du das ansprichst. Auf jeden Fall gibt es bei unseren Songs oft eine gewisse Ironie zwischen Musik und Text. In „Françafrique“ ist sogar die musikalische Sprache absurd Rock ’n‘ Roll-artig, während es im Text um die Kolonialisierung des Kongo durch die Franzosen geht. Und ja, ich glaube wir suchen auf jeden Fall nach derartigen Kontrasten und du hast Recht: Das war auch der Gedanke bei dem „Exterminate the brutes“-Kinderchor.

Trotzdem noch einmal zu eurer Message als Band. Findest du es okay, wenn Fans euch einfach nur für euren Sound feiern und sich keinerlei Gedanken über die Texte machen?

Ich finde, jeder kann mit der Musik machen, was er will. Ich bin ohnehin immer skeptisch, wenn Leute behaupten, es gibt etwas aus dieser Musik zu erlangen. Musik ist Musik. Klar haben wir diese Texte, aber musikalische Erfahrungen passieren auf einer viel abstrakteren Ebene. Wir machen keine Musik, um Leute dazu zu bringen, etwas Bestimmtes zu tun. Die Musik spricht für sich selbst. Ich glaube, Musik drückt all das aus, was man eben nicht mit Worten sagen kann. Und was auch immer Leute wegen unserer Musik machen, am Ende machen sie es selbst. Zumindest sehe ich die Sache so. Innerhalb der Band mag es da möglicherweise andere Sichtweisen geben.

Vor einiger Zeit habt ihr aber auf eurer Facebook-Seite einen Link gepostet, über den eure Fans „Elektra“ downloaden konnten und dabei gleichzeitig Geld an die Opfer des Nepal-Erdbebens gespendet haben. Das ist doch eine Verknüpfung zwischen Musik und erwünschter Offline-Aktion.

Natürlich, aber das ist auch eine andere Sache. Ich finde es super, wenn wir Menschen auf Probleme aufmerksam machen können. Es ist immer schön, wenn man Musik und den guten Zweck verbinden kann.

Da du ja Gitarre spielst, will ich natürlich auch noch ein paar Fragen zur musikalischen Seite der Songs stellen. Habt ihr schon ein paar der neuen Sachen live gespielt?

Das haben wir, drei um genau zu sein. Wir fliegen morgen nach Las Vegas und beginnen dort unsere US-Tour. Ich denke, da werden wir auch noch ein paar mehr neue Sachen spielen. Vielleicht vier oder fünf. Heute wird es aber erst einmal nur drei geben.

Und welche?

Wir spielen „Elektra“, „Dawkins Christ“ und „Françafrique“.

Waren die neuen Songs live eine Herausforderung? Besonders „Françafrique“ stelle ich mir nicht so leicht vor.

Ich glaube, wir gehen live einfach anders an die Sachen heran. Es gibt wirklich einen komplett anderen Sound. Natürlich erkennt man den Song, aber wir müssen ihn schon an die Live-Situation anpassen. Der Kinderchor kommt aber natürlich vom Band. Ich finde es aber toll, dass wir so zwei verschiedene Versionen eines einzigen Songs haben. Es gibt immer die Albumversion und die Live-Version. Aber „Françafrique“ und „Old Friends / New War“ müssen natürlich trotzdem stellenweise anders gedacht werden, damit sie live funktionieren können.

Gut, dass du „Old Friends / New War“ erwähnst. Ich habe mich gefragt, wie ihr darauf gekommen seid, dort im Refrain und am Anfang, diese seltsam verzerrte, tiefe Stimme einzusetzen.

Also die Idee dahinter kam aus dem Hip-Hop. Ich habe diesen, ich glaube es war A$AP ROCKY-Song gehört und habe mir einfach gedacht, wir sollten so was machen. Ich meine der Song hat irgendwie so eine Art Hip-Hop-Swagger. Und wusstest du, dass die Zeile am Anfang von einem russischen Dichter stammt? Da hast du wieder diese Ironie, einen A$AP-ROCKY-Effekt mit einem russischen Gedicht zu kombinieren. Ich finde das lustig und vor allem finde ich, dass es wirklich funktioniert.

Ihr seid also auch vom Hip-Hop beeinflusst?

Ja, auf jeden Fall. Wir haben unglaublich viele Referenzen in diese Richtung. Konkret lieben David und ich beispielsweise KANYE WESTs „Yeezus“-Album. Und KENDRICK LAMAR und diese Art von „kreativem Hip-Hop“. Diese Künstler sind unglaublich frei in ihrer Art sich musikalisch auszuleben und extrem kreativ. Und trotzdem machen sie extrem kommerzielle Musik. Wir denken uns immer: Wir sollten auch so frei und kreativ und erfolgreich wie diese Typen sein. Wir sind nicht halb so kommerziell wie sie es sind. (lacht)

 

Da wir hier bei Metal.de sind muss ich natürlich fragen: Gibt es auch aktuelle Punk- und Metal-Bands, die dich beeinflussen?

Natürlich. Lass mich kurz überlegen. Also auf jeden Fall haben SLAYER immer noch einen sehr großen Einfluss auf unsere Musik. Um ehrlich zu sein, habe ich gerade jetzt ein SLAYER-Shirt an. (lacht)

SLAYER sind eine dieser Bands, auf die wir immer wieder zurückkommen. Auch wenn wir nicht so klingen. Höchstens „Dawkins Christ“ vom neuen Album könnte man als eine Art SLAYER-Hommage verstehen. Und für mich persönlich würde ich auf jeden Fall noch MESHUGGAH nennen, unsere Nachbarn aus Umeå. Die haben wirklich Momente in ihrer Musik, die ich sehr mag. Ganz besonders die „obZen“-Scheibe war cool. Der Song „Combustion“ hat eines dieser Riffs, auf die ich ein bisschen neidisch bin. Manchmal wünschte ich mir, es geschrieben zu haben.

Was Hardcore-Bands angeht, bin ich immer noch bei SICK OF IT ALL, den New-York-Hardcore-Botschaftern. Die ziehen einfach immer noch durch, was sie können und sind gut damit.

Könntest du einen MESHUGGAH-Song spielen?

Ich müsste üben. Man muss sich das natürlich erstmal alles merken. Und außerdem spielen die diese achtsaitigen Gitarren. Es wäre natürlich eine Herausforderung, aber wenn ich mich dransetzen würde, könnte ich es schaffen. Ich meine, es ist eine Herausforderung für jeden, zu versuchen wie MESHUGGAH zu spielen. Aber vielleicht sollten wir mal eine MESHUGGAH-Challenge starten und uns an ein paar der Songs versuchen.

Macht ein Cover!

(lacht) Ja, ich finde sie cool und wirklich einzigartig. Ich kann mich zwar nicht hinsetzen und mir ein komplettes MESHUGGAH-Album anhören, weil sie einfach so kompromisslos und brutal sind, aber sie machen definitiv ihr ganz eigenes Ding. Und sie werden besser.

Kannst du mir noch etwas zum Albumcover von „Freedom“ erzählen? Es ist eindeutig Kunst, aber was bedeutet es?

Mit dem Cover verhält es sich sehr ähnlich wie mit dem Albumtitel. Es stammt von einem schwedischen Künstler, der sich ein bisschen auf okkulte Motive spezialisiert hat. Er verwendet viele okkulte Symbole und eine ähnliche Bildsprache. Dieses Cover ist jetzt nicht wirklich okkult, aber ich bin ein Fan seiner Arbeit und habe ihn einfach gefragt, ob er interessiert wäre, etwas für uns zu machen. Ich bin der Meinung, dass REFUSED ein kleines ästhetisches Upgrade im Vergleich zu den alten Alben nötig hatten. Und gerade in Kombination mit dem Titel wollte ich etwas Abstrakteres. Ich finde, wenn man es anguckt, scheint es die Geschichte des Verfalls der westlichen Welt zu erzählen. Aber ich glaube, dass es von großem Wert sein kann, etwas zu haben, das für sich eine Art Enigma ist. Man weiß einfach nicht, was es genau bedeutet. Und da unsere Texte eigentlich immer eine ganz eindeutige Thematik behandeln, finde ich es umso wichtiger, einen abstrakten Kontrast dazu zu schaffen. Und ich liebe es. Es ist fantastisch.

Würdest du mir zustimmen, wenn ich sage: „Refused are fucking alive right now.“?

Yeah, Hell Yeah! Das ist meine Antwort darauf. Wir sind definitiv „fucking alive“!

25.06.2015
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