Van Canto
"Wir haben keine Lust, dasselbe Album zweimal aufzunehmen!"

Interview

VAN CANTO polarisieren mit Ihrem A-Capella-Metal seit Beginn ihres Bestehens und haben nicht nur gerade ihr bereits siebtes Album „Trust in Rust“ herausgebracht, sondern auch einen Wechsel im Leadgesang zu verarbeiten. Grund genug, um uns mit Bandkopf Stefan Schmidt einmal ausführlich über die neue Scheibe, Veränderungen im Line-Up und das Songwriting zu unterhalten.

Hallo Stefan. Danke, dass Du Dir recht kurzfristig Zeit genommen hast. Lass uns zu Beginn, bevor wir zum neuen Album „Trust in Rust“ kommen, noch einmal kurz in die Vergangenheit schauen. Euer Leadsänger Sly hat 2017 die Band verlassen. Ohne zu sehr auf die Hintergründe seines Ausstiegs einzugehen, kannst Du kurz etwas dazu sagen, ob die Nachricht für Euch, wie vermutlich für viele Fans, eher überraschend kam und ob jemals die Möglichkeit, nicht weiter zu machen im Raum stand?

Ganz so überraschend wie für die Fans kam die Nachricht natürlich für uns nicht. Da wir Freunde sind, auch nach wie vor, stehen wir im ständigen Austausch und kennen auch die jeweiligen privaten Situationen unserer Bandkollegen. Also nein, für uns war es keine Überraschung. Die Möglichkeit, nicht weiter zu machen, stand tatsächlich auch im Raum, da die Band in ihrer Gemeinsamkeit über die Jahre gewachsen ist, man sich immer gemeinsam neue Ziele gesetzt hat.

Nach Ende der „Voices of Fire“-Tour 2016 sind wir dann alle ein wenig in uns gegangen und hatten fast ein Jahr Zeit uns mit der neuen Situation auseinander zu setzen. Mit dem Ergebnis, dass die Musik in unserem Leben immer noch einen viel zu hohen Stellenwert hat und wir immer noch viel zu viel Spaß daran haben, gemeinsam live unterwegs zu sein, um jetzt plötzlich gar nichts mehr zu machen. Das hätte sich auch zu sehr danach angefühlt etwas wegzuschmeißen, wenn man bedenkt, wie viel nicht nur wir, sondern auch allgemein Bands sich abrackern müssen, um gemeinsam Musik machen und auf Tour unterwegs sein zu können.

Allerdings habt Ihr ja erfreulicherweise nicht nur einen Ausstieg, sondern auch eine Rückkehr zu verzeichnen. Ingo „Ike“ Sterzinger hatte die Band ja zwischenzeitlich verlassen. Wie kam es zu seinem Wiedereinstieg – war er auch mit einem längeren Vorlauf verbunden? Gibt es Euch außerdem neue Möglichkeiten, jetzt zwei Bassstimmen in der Band zu haben?

Auch das war für uns natürlich eher weniger überraschend. Wir bekommen ja in der Band, wie schon gesagt, auch alle privaten Entwicklungen unserer Freunde mit. Dazu gehört auch, dass Ike zu „Voices of Fire“ das Pensum von VAN CANTO einfach nicht mehr schaffte und das zu dieser Zeit nicht mehr zu den Vorstellungen, wie er sein Leben ausrichten möchte, gepasst hat. Allerdings besteht hier schon ein Unterschied zur Situation von Sly, da er das „Voices of Fire“-Album als Basser noch zu 80% eingesungen hat. Wenn man also die komplette Diskographie betrachtet, gibt es eigentlich keine Platte wirklich ohne ihn. Gefühlt waren wir intern also auch schon auf der letzten Platte zu siebt unterwegs, wenn auch vielleicht nicht nach außen. Diesen „Wechsel“ hatte ich insoweit fast schon vergessen. Wir haben kürzlich in Spanien auf einem Festival gespielt, da habe ich auch zu ihm gesagt, dass es sich für mich überhaupt nicht so anfühlt, dass er jemals weg gewesen wäre.

Was die neuen Möglichkeiten mit sieben Stimmen betrifft, würde ich diese gar nicht unbedingt an zwei Bassstimmen festmachen da, selbst wenn ein Sänger sehr weit nach unten kommt, immer noch eine beachtliche Range nach oben vorhanden ist. Die Arrangements auf der neuen Platte sind also weniger so, dass wir mit zwei Bässen gearbeitet haben, sondern einfach einfach eine Männerstimme mehr zur Verfügung hatten. Der Jan (Moritz, die zweite Bassstimme, Anmerk. d. Verf.) kann z.B., wenn er Chöre oder Background singt, auch komplett in den Bereich kommen, in dem Ross (Thompson, Anmerk. d. Verf.) oder ich tätig sind. Gerade in Balladen können wir mit einer Stimme mehr jetzt ein wenig dichter arrangieren, dort hört man das recht gut heraus.

Dann können wir ja auch direkt auf eine weitere „zusätzliche“ Stimme, nämlich euren neuen Leadsänger Hagen Hirschmann, zu sprechen kommen. Wie schwierig gestaltete sich die Suche nach einem Nachfolger für Sly? Du sagtest ja bereits, dass ihr fast ein Jahr Zeit hattet, mit der neuen Situation umzugehen – konnte Hagen dann entsprechend bereits am Songwriting für „Trust in Rust“ mitwirken?

Ja, bereits die Entscheidung weiterzumachen war mit Hagen verbunden, in dem Sinne, dass wir gesagt haben, wenn wir weiter machen, muss ich das gut für uns anfühlen. Wir hatten zwar mehrere Ideen, aber was wir ganz bestimmt nicht wollten war zu sagen: „Wir suchen übrigens einen neuen Sänger, bitte schickt uns Euer Demo“. Im Laufe der Jahre hat sich gezeigt, dass es bei uns auf persönlicher Ebene einfach stimmen muss. Auch wenn wahrscheinlich so ziemlich jede Band behauptet, dass man eine ganz besondere freundschaftliche Verbindung untereinander hat, ist das bei uns wirklich so und ein „Neuer“ muss dann dort eben auch hinein passen. Rein stimmlich begleitet mich Hagen schon seit meinen Anfängen mit JESTER‘S FUNERAL (Power-Metal-Band, in der Stefan und Drummer Bastian Emig vor VAN CANTO aktiv waren, Anmerk. d. Verf.), da er ungefähr zu der Zeit, als auch wir angefangen haben, die erste Platte mit seiner Band LOGAR‘S DIARY herausgebracht hat. Seitdem kenne ich ihn und seine Stimme.

Wir haben uns aber nie persönlich getroffen, sondern nur ab und an mal Nachrichten geschrieben, wie toll wir uns gegenseitig finden und, dass wir unbedingt mal was zusammen machen müssen – quasi der alte Musikerwitz. Es ist natürlich eine coole Geschichte, dass es jetzt bei VAN CANTO dazu gekommen ist, auch wenn das so sicher nicht geplant war. Insofern war Hagen tatsächlich der Einzige, den wir ernsthaft in Erwägung gezogen haben und mit dem wir im Vorfeld angefangen haben zu arbeiten, hauptsächlich zum Kennenlernen und Quatschen, weniger zum Singen, auch wenn wir natürlich ein paar Demos aufgenommen haben. Die eigentliche Produktion des Albums fing dann ungefähr im Juli 2017 an. Da war bereits klar, dass Hagen künftig die zweite Leadstimme bei VAN CANTO übernimmt.

Du betonst ja immer wieder in Interviews, wie wichtig Euch die familiäre Atmosphäre in der Band ist, von daher ist es natürlich sehr erfreulich, dass Ihr so schnell jemanden gefunden habt, mit dem es eben auch auf persönlicher Ebene super funktioniert, insbesondere da ja offenbar die Variante aufzuhören ernsthaft im Raum stand.

Diese Möglichkeit steht natürlich immer im Raum, wir haben eigentlich noch nie länger als für ein Album im Voraus geplant. Nach „Break the Silence“ hatten wir schon einmal eine Phase, in der wir uns ein wenig ausgelaugt gefühlt haben. Auch damals haben wir abgewogen, ob es jetzt nicht einfach gut war, was wir bis dahin gemacht hatten, oder der Drang etwas gemeinsam zu machen noch zu stark ist. Seitdem sind jetzt schon wieder drei Alben entstanden. Ich glaube, es ist ganz gesund, sich auf eher kurzfristige Planungen zu verständigen, als zu sagen: „Wir werden auf jeden Fall noch 20 Jahre weiter aktiv sein“. Das ist einfach unrealistisch. Wir haben ja auch den, ich nenne es einfach mal „Luxus“, dass wir mit VAN CANTO keine Größe erreicht haben, bei der es einen großartigen ökonomischen Aspekt gäbe. Wir müssen nicht überlegen, ob wir weiter machen, weil wir sonst unsere Rechnungen nicht bezahlen können, sondern haben alle noch nebenbei unsere normalen Jobs und machen die Musik in erster Linie zur künstlerischen Betätigung.

Kannst Du grundsätzlich noch ein wenig zur Entstehung von „Trust in Rust“ erzählen? Gerade zu Beginn des Albums mit „Back in the Lead“ und „Javelin“ klingt es für mich textlich ein wenig so, als wenn Ihr ein paar harte Zeiten durchlebt hättet.

Wenn man jetzt nur die beiden ersten Songs betrachtet, finde ich, dass sie textlich relativ wenig miteinander zu tun haben. Bei „Back in the Lead“ gibt es keine zweite Ebene oder versteckte Message, damit meinen wir wirklich nur: „Hallo, wir waren weg und sind wieder da, wir sind übrigens die, die Metal-A-Capella machen und das schon seit zehn Jahren“. „Javelin“ hingegen ist textlich eigentlich ein klassischer VAN CANTO-Song, in dem es um ein positives Gefühl und den Glaube an sich selbst geht, wenn auch in einer relativ bildhaften Sprache. Da ich den Text zu „Javelin“ geschrieben habe, müsste ich mich an einen konkreten Anlass erinnern, das ist aber nicht der Fall.

Trotzdem würde ich gerne noch einmal ein wenig bei diesem Thema bleiben. Mir persönlich kommt es so vor, als wäre „Trust in Rust“ das härteste Album in Eurer Diskographie, wobei es bei einer A-Capella-Metal-Band natürlich eher schwierig ist von „Härte“ zu sprechen und diese überhaupt zu definieren. Hattest Du im Vorfeld bereits im Hinterkopf, dass die nächste Platte etwas „härter“ ausfallen könnte?

Lustig, dass Du das erwähnst. Wenn ich als Fan Interviews gelesen habe, in denen jemand von der Band behauptete „das ist unsere härteste Platte“, war ich am Ende immer enttäuscht, da ich unter Härte irgendwie immer etwas anderes verstehe. Bei DREAM THEATERs 1997er Scheibe „Falling into Infinity“ hat die Band genau das angekündigt und als ich sie gehört habe dachte ich: „Wieso, das sind doch alles nur Balladen und gar keine Double Bass?“. Ich glaube das allgemeine Verständnis von Härte im Metal-Bereich definiert sich inzwischen vor allem durch Geschwindigkeit. Die ganzen modernen Metal-Produktionen sind eigentlich ja nicht mehr „hart“ im früheren Sinn, ohne jetzt hier Namen nennen zu wollen.

Gerade neuere Bands, die den Metal-Sektor ein wenig anführen, das sind eigentlich Pop-Produktionen. Die gefühlte Härte ergibt sich zwar durch die E-Gitarren, aber diese sind dann vielleicht im Mix relativ leise und alles ist voll mit Keyboards und Chören. Wenn Du also auf Härte in dem Sinne anspielst, dass man ein direkteres Signal hat, würde ich Dir zustimmen, auch wenn sich diese für mich vor allem aus Hagens Stimme ergibt. Das ist auch das, was wir probieren wollten, da er aus einer ganz anderen Ecke kommt. Für Sly war VAN CANTO praktisch das härteste, was er jemals musikalisch gemacht hat, während es vermutlich für Hagen das „weichste“ sein dürfte. Es war uns natürlich wichtig, dass man sich letztlich irgendwo in der Mitte treffen kann, da Hagen ja auch die bestehenden Songs singen können muss, aber wenn man schon einmal einen neuen Sänger hat, darf er auch Sounds beisteuern, die man bislang nicht umsetzen konnte.

Stefan (m.) auf der Bühne

„Erfreulicherweise sagen andere Musiker zu Gastauftritten bei VAN CANTO mittlerweile häufig ‚Ja'“

Auch ich finde, dass es auf „Trust in Rust“ einige Nummern gibt, die für Euch neu oder ungewöhnlich klingen, wie z.B. „Desert Snake“. Ist es für eine Band wie VAN CANTO, die sich nun mal von Haus aus in einem relativ engen Stil-Korsett bewegt, eine Herausforderung, neue Möglichkeiten innerhalb des eigenen Sounds zu finden? Hast Du das schon einmal verflucht?

(Lacht) Super Frage. Ich sage mal ganz direkt: Für uns ist das überhaupt kein Problem, höchstens für die Fans (lacht). Wir fühlen uns in dem was wir machen super frei, da wir durch unseren Sound immer erkennbar sein werden. Das ist ja letztlich auch das Geheimnis, warum wir von DEEP PURPLE über NIGHTWISH bis zu METALLICA alles covern können, und man trotzdem erkennt, dass es VAN CANTO ist. Und diese stilistische Bandbreite haben wir dann auch, wenn wir selbst Songs schreiben, weshalb wir dieses Soundkonzept weniger als Korsett, sondern eher als Freiheit empfinden. Wir können viel freier als eine Band, die stilistisch sehr klar festgenagelt ist, komponieren. Trotzdem setzt sich natürlich über sieben Alben ein gewisser kompositorischer Stil durch, worauf wir auch Stolz sind.

Worauf wir aber überhaupt keine Lust haben ist, dasselbe Album zweimal aufzunehmen. Aus meiner Sicht haben wir mit „Dawn of the Brave“ den „klassischen“ VAN CANTO-Stil ein bisschen zu einem Ende geführt, da ich einfach nicht mehr wusste, wie ich genau so weiter machen soll, ohne denselben Song nochmal zu schreiben. Daraus ist dann „Voices of Fire“ entstanden, wo wir das Konzept ein wenig aufgebrochen, viel mit Chören gearbeitet haben und die „Gitarrengesänge“ weniger prominent sind. Da wir für das neue Album jetzt die Chance hatten, mit einer neuen Stimme im Hinterkopf die Songs zu schreiben, klingen diese natürlich auch wieder anders. Ein Song wie „Desert Snake“ oder ein Cover von „Hells Bells“ wäre mit Sly so sicher nicht möglich gewesen, aber ein „Lost Forever“ mit Hagen aufzunehmen würde auch wenig Sinn machen. Man muss die Musik also schon so schreiben, dass man die Möglichkeiten der Gruppe möglichst gut einsetzt, also z.B. wenn man sieben statt sechs Stimmen zur Verfügung hat auch einen Song parat haben, in dem das zur Geltung kommt.

Tatsächlich hat mir persönlich Eure Variante von „Hells Bells“ extrem gut gefallen, obwohl ich anfangs befürchtet habe, dass die Energie des Originals in einer A-Capella-Version deutlich leiden konnte. Da haben Euch Hagens stimmliche Fähigkeiten natürlich extrem in die Karten gespielt.

Tatsächlich haben wir es auch zehn Jahre probiert, AC/DC zu covern. Allerdings hatten wir eher die älteren Nummern mit Bon Scott am Gesang im Auge, da diese näher an der Stimmfarbe von Sly gewesen wären. Die Ergebnisse waren aber immer nur ok, und da wir uns selber dachten, dass die Nummer am Ende keinen vom Hocker haut, haben wir es letztlich doch gelassen. Mit Hagen war aber dann schon nach dem ersten Take klar, dass das in die richtige Richtung geht und einfach genau das Richtige für ihn ist.

Wie habt Ihr die Coverversionen auf „Trust in Rust“ ausgewählt bzw. wie geht Ihr das grundsätzlich an? Geht es da um die persönlichen Lieblingssongs, oder eher darum, welche Songs im A-Capella-Sound gut klingen könnten?

Beides. Die Coversongs in der VAN CANTO-Historie sind ein Querschnitt durch meine Lieblingsbands, andere Bandmitglieder würden da vermutlich nicht bei allem unterschreiben. Sachen wie „The Final Countdown“ von EUROPE muss man einfach mögen. Für mich ist es meine absolute Lieblingsband, während Ross wohl dachte: „Um Gottes Willen, was machen wir hier eigentlich?“ (lacht). Jeder in der Band hat aber zumindest einen Bezug zu den Songs und auf dem aktuellen Album wahren wir uns mit HELLOWEEN und AC/DC sogar alle einig. Letztere haben wir dann natürlich dieses Mal, wie schon gesagt, in erster Linie ausgewählt, weil es jetzt möglich war. „Ride the Sky“ lag auf der Hand, da HELLOWEEN auf der Liste der großen deutschen Bands, die wir gecovert haben, noch fehlte und jetzt die Idee im Raum stand, warum wir nicht einfach Inga singen lassen, da man HELLOWEEN ohnehin mit hohen Stimmen assoziiert. Nachdem diese Entscheidung getroffen war, ging es nur noch darum, welchen Song wir nehmen.

Wie habt Ihr es geschafft, Kai Hansen mit ins Boot zu holen? Wieder der Musikerwitz: „Wir müssen unbedingt mal was zusammen machen“?

Nein, wir kannten uns vorher nicht persönlich. Wir haben ihn einfach angefragt, und erfreulicherweise sagen die Leute bei VAN CANTO mittlerweile häufig sogar Ja. Den Kontakt hat Charlie Bauerfeind hergestellt, der ja seit Jahren der Haus- und Hofproduzent von HELLOWEEN ist und mit dem wir auch schon häufig zusammengearbeitet haben. Er fand die Idee sofort cool und hat zugesagt, das war also wirklich sehr einfach und unkompliziert.

Wäre Hagen nicht die logischere Wahl als Leadstimme für „Ride The Sky“ gewesen, oder stand die Entscheidung Inga singen zu lassen komplett fest? War die Notwendigkeit einen Kontrast zur Stimme von Kai Hansen zu haben ein Grund für Eure Entscheidung?

Die Reihenfolge war zunächst die Entscheidung für „Hells Bells“, danach haben wir uns für einen Song von HELLOWEEN mit Inga am Mikrofon entschieden und Kai Hansen angefragt. Er hat dann auch schon direkt das erste Demo mit Ingas Stimme gehört und ist in seinen Parts eine Oktave herunter gegangen. Kai sagte direkt, dass er es cool findet, den Song in einem etwas düstereren und moderneren Gewand zu hören, da „Ride The Sky“ ja auch schon 30 Jahre auf dem Buckel hat. Für mich war das auch das eigentlich faszinierende. Klar, Kai Hansen ist ein cooler Typ, der Song ist eh geil aber, dass er nach 30 Jahren bei einem Song, den er selbst geschrieben hat noch so frisch und motiviert an die Sache ran geht, statt zu sagen „komm, lass mich in Ruhe, ich kann die Nummer nicht mehr hören“, das fand ich sehr inspirierend. Uns gibt es gerade einmal zwölf Jahre und ich bin mir nicht sicher, ob ich in 20 Jahren noch so reagiere, wenn mich jemand fragt, z.B. nochmal „The Mission“ zu singen.

Um noch einmal auf Euren neuen Leadsänger, Hagen, zurückzukommen: Er hat vorher auch in Thrash- bzw. Death-Metal-Bands gesungen und beherrscht sowohl Growling und rauen Thrash-Gesang, als auch klassische Power-Metal-Vocals. Plant Ihr in Zukunft Growls, wie ja aktuell in „Desert Snake“, häufiger einzusetzen? Denkbar wäre ja z.B. auch ein Cover einer Melodic-Death-Band in dem Hagen die harschen Vocals übernimmt und der Rest die Gitarrenleads singt.

Ja, diese Überlegung gab es tatsächlich schon einmal, sogar schon früher, da Jan ebenfalls growlen kann. Ein Cover von AMON AMARTH stand z.B. durchaus schon einmal im Raum. Erst einmal kam jedoch „Desert Snake“ dabei heraus, der Hagen wirklich auf den Leib geschneidert ist und auch einer der letzten Songs war, die für das Album entstanden sind. Wir haben auch ein wenig gebraucht um uns aneinander zu gewöhnen. Anfangs haben wir eher ein paar VAN CANTO-typische Nummern geschrieben, in meinem Fall war das „Javelin“. Das war natürlich einfach, da Inga dort hauptsächlich singt und Hagen lediglich die Zweitstimme übernimmt, also erst einmal die sichere Bank. Später sind wir dann auch experimentierfreudiger geworden.

Reines Growling finde ich allerdings nicht so interessant, vielmehr wird es für mich erst spannend wenn es mit Melodien und Harmonien gekontert wird. Darum finde ich auch „Desert Snake“ sehr gelungen, da dort sogar das Schlagzeug irgendwie Melodien spielt. Es sind viele Toms enthalten, die in einzelnen Teilen des Songs nicht so eingesetzt werden, dass es möglichst stark rumpelt, sondern eher so, dass sie zum jeweiligen Akkord passen, der gerade gespielt wird. Es „singen“ also alle Instrumente miteinander, dazu passt dann ein Growling als Kontrapunkt sehr gut, während der Refrain wieder sehr melodisch ausfällt.

Zum Abschluss noch einmal zum Thema Songwriting: Wie läuft dieser Prozess bei Euch ab? Schickt Ihr Euch Files hin und her, oder entstehen die Nummern klassisch im Proberaum? Werden die Songs erst einmal als „normale“ Power-Metal-Stücke geschrieben, oder hast Du sie bereits von Vornherein im VAN CANTO-Stil im Kopf?

Zunächst einmal vorweg: Bei „Trust in Rust“ waren so viele Bandmitglieder am Songwriting beteiligt, wie bislang auf keinem anderen Album. „Darkest Days“ stammt von Ike, „Desert Snake“, „Back in the Lead“, „Infinity“ und „Heading Home“ hat Bastian geschrieben. Ich bin eher für das klassische Material verantwortlich. Es gibt natürlich Bands, die ihre Produktionen danach ausrichten müssen, möglichst viele Fans zu behalten und am besten noch mindestens zehn Prozent dazuzugewinnen, weil sie davon ihren Lebensunterhalt sichern müssen. Wir können beim Schreiben eher den strategischen Ansatz wählen, einen Song rauszuschmeißen, sobald er zu sehr wie ein anderer klingt. Dies bedeutet als Konsequenz, dass die Alben für den Fan wahrscheinlich immer abgefahrener klingen, da wir jedes Mal komischere Sachen probieren müssen, um uns nicht zu wiederholen. Mal schauen wie lange die Menschen das so mit tragen werden.

Für mich persönlich macht es aber keinen Unterschied, wie ich komponiere, egal ob für HEAVATAR (Power- Metal-Projekt von Stefan, Anmerk. d. Verf.) oder für VAN CANTO. Ich habe entweder eine Gitarre umgeschnallt oder sitze am Klavier und habe eine Melodie bzw. Akkordfolge im Kopf. Die Entscheidung, was später daraus wird, ergibt sich eher im Arrangementprozess. Das Komponieren selber sind meistens nur 15 Minuten mit hohem Puls, in denen einem auf wundersame Weise eine Melodie zufliegt und man hofft, dass man sie nicht gerade von etwas kopiert, was man am Tag zuvor gehört hat. So funktioniert das bei mir, Bastian würde aber vermutlich etwas ganz anderes erzählen, da jeder Musiker seine eigene Herangehensweise dazu hat.

Vielen Dank für das Interview, Stefan!

Quelle: Interview mit Stefan Schmidt / Van Canto
26.08.2018

"Time doesn't heal - it only makes you forget." (Ghost Brigade)

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