Wucan
"Auch Judas Priest haben Disco-Stücke geschrieben"

Interview

KANSAS, BOSTON, JETHRO TULL, FRUMPY oder LUCIFER’S FRIEND sind große Namen der 70er Jahre Rockmusik. WUCAN, eine junge Band aus Dresden, orientieren sich an diesen bekannten Rockgrößen. Jedoch sind weitere Einflüsse von Funk- oder Discomusik zu hören. Das neue Werk „Heretic Tongues“ steht seit dem 20. Mai in den Plattenläden und das Quartett tourt kreuz und quer durch Deutschland. Sängerin Francis stellt sich unseren Fragen zur neuen Scheibe, den musikalischen Einflüssen und die Erfahrungen bei der laufenden Tour.

WUCAN – „Heretic Tongues“

Hallo Francis, wie geht es euch? Wie seid ihr die vergangenen zwei Jahre ohne Live-Konzerte durch die Pandemie gekommen?

Hey, danke für das Interview. Uns geht es sehr gut. Wir sind sehr gespannt auf die Reaktionen zum neuen Album. Wir hatten in den Pandemiejahren immer das große Glück, sehr schlau unsere Aktivitäten zu positionieren, sodass wir auch im Sommer und Herbst 2020 sowie 2021 live aktiv sein konnten. Von daher hat sich zunächst nicht massiv viel geändert, außer, dass wir mehr Zeit für die Produktion unserer neuen Platte aufwenden konnten, was schon fast ein glücklicher Zufall war.

Vor circa zehn Jahren haben sich WUCAN über ein Studentenmagazin gefunden. Was waren eure Ziele bei der Bandgründung? Hattet ihr Vorbilder?

Vermutlich hat jede Band zunächst ihre Vorbilder. Als ich die Band gründete, wollte ich ursprünglich Bluesrock machen und bin froh, dass wir uns als Gruppe immer weiterentwickelt haben, sodass nun auch ganz andere Einflüsse eine Rolle spielen dürfen.

Die Musik von WUCAN wird oft mit Klängen der späten 60er und frühen 70er beschrieben. Was hat euch inspiriert, in die Musikhistorie eurer Eltern und eventuell sogar Großeltern abzutauchen?

Diese Vergleiche schränken uns stilistisch immer ein, da wir Inspiration aus allen Jahrzehnten seit den 50ern beziehen. Wichtig ist uns immer, dass die Musik, die wir gerne hören, leidenschaftlich geschaffen wurde. Das kann sich in der Produktion widerspiegeln, in der Komposition, in der Rohheit von Performances und so weiter. Zufällig treffen diese Kriterien aber einfach oft auf die 70er zu. Da ist im Bereich der Musikproduktion Anfang der Dekade viel durch Innovation revolutioniert worden und entsprechend haben sich die Künstler dann daran gemacht, dieses neu entstandene Potential auszuschöpfen. Davon lebt die Musikwelt noch heute.

Es hätte keinen Sinn gemacht „Heretic Tongues“ während der Pandemie zu veröffentlichen

Viele Bands produzierten Studiowerke in der konzertfreien Zeit. WUCAN veröffentlichte 2015 „Sow The Wind“, 2017 „Reap The Storm“ gefolgt von der ein oder anderen Single. Fünf Jahre hat es bis zu „Heretic Tongues“ gedauert. Hat Corona euren Produktionsprozess verlangsamt?

Nein, es war meiner Meinung nach eher ein Segen, zumindest in diesen Belangen. Zwar haben wir uns strikt an die Regeln gehalten und sicherlich insgesamt vier Monate nicht geprobt im Jahr 2020, dafür hatten wir aber die Chance, so laneg und ausdauernd an der Produktion zu arbeiten, wie wir wollten, da es eh keinen Sinn machte, eine Platte während der Pandemie zu veröffentlichen. Wir konnten lange reflektieren, probieren und kritisch mit unserem Schaffen umgehen. Wann hat man diese Gelegenheit schon? Uns saß kein Label im Nacken, weil wir kein Label haben. Eigentlich traumhafte Zustände. Fünf Jahre klingt lang, aber davon lassen sich getrost zwei Jahre abziehen, da es sich da eh nicht gelohnt hätte, Musik zu veröffentlichen. Und wiederum drei Jahre sind eine gute Zeitspanne.

Die Studio- und Proberaumaufnahmen habt ihr in der Corona-Hochzeit von April 2021 bis Oktober 2021 durchgeführt. Wie ist der Produktionsprozess gelaufen?

Wie immer eigentlich: Basic Tracks live, der Rest als Overdub. Ich war mit Abstand am längsten im Studio, weil ich die meisten Instrumente spiele und immer den Finger auf der Produktion haben möchte. Das war sehr anstrengend, weil die Zeit im Studio einen regelrecht isoliert. Du lebst dann nur für diese Songs, machst zehn Gesangstakes, wählst dann alles stundenlang aus, mischst den gleichen Takt 18 Mal… das zehrt durchaus an den Nerven, aber die Vision steht ja im Mittelpunkt und treibt einen an. Du hörst, was die Songs sein könnten und näherst dich diesem Ideal an.

Obwohl ich gerade meinte, dass ich am längsten im Studio war, haben doch alle viel auch außerhalb der gebuchten Studiozeit beigesteuert. Tim hat seine Synthies zu Hause aufgenommen, ich habe teilweise Backing Vocals spontan im Schlafzimmer recordet. Manche Gang-Shouts sind im Proberaum entstanden… wir standen nicht zwangsläufig unter Druck, alles während der Studiozeit zu liefern. Das tat uns allen gut.

Konntet ihr euch während der Produktion überhaupt regelmäßig persönlich treffen? Wer ist bei WUCAN für die Lyrics zuständig?

Ich bin für die Lyrics zuständig, allerdings hat Phil die Hälfte zu „Fette Deutsche“ beigesteuert. Wir konnten uns nicht regelmäßig treffen, da wir ja in Berlin hauptsächlich aufgenommen haben. Da fielen alle Proben erstmal flach. Als ich dann an COVID erkrankte, mussten wir uns auch überlegen, wie die Mixing-Sessions ablaufen würden. Max, unser Toningenieur, hat dann glücklicherweise ein Tool entdeckt, mit dem Remote-Mixing möglich war. Und dann mischten wir alle zusammen von zu Hause aus. Willkommen im 21. Jahrhundert.

Ein besonderes Merkmal von WUCAN ist, dass die Texte auf jeder Scheibe mal in Englisch und mal in Deutsch geschrieben sind. Konntet ihr euch nicht für eine Sprache entscheiden oder gibt es bestimmte Gründe, warum WUCAN in zwei Sprachen aktiv ist?

Das ist jedes Mal unterschiedlich und eine Bauchentscheidung. Die deutschen Texte sind häufig politisch motiviert und ob ein Text sich nun eben an dem Thema orientiert, hängt auch ein stückweit vom Feeling des Ausgangsriffes ab, sollte das Riff zuerst da sein.

„Wir kommen auch aus einem Teil aus Deutschland, in welchem bestimmte Themen immer sehr brisant diskutiert werden“

In euren Songtexten geht es um Veränderungen, wie zum Beispiel bei „Kill The King“ aber auch um anklagende Fragestellungen. Bei „Fetten Deutschen“ heißt es zum Schluss „Welchen Rufen folgst Du nun“. Möchte WUCAN mit den Lyrics auf „Heretic Tongues“ die Hörerschaft ansprechen?

Eigentlich schon. Mir ist klar, dass der Text durch den Mix ein wenig verschwimmt. Jedoch stört mich das nicht wirklich, denn der Song ist an sich so ausdrucksstark, dass der Text eher komplementär wirkt. Aber wir kommen auch aus einem Teil aus Deutschland, in welchem bestimmte Themen immer sehr brisant diskutiert werden und wir beziehen uns in dem Song darauf. Uns ist klar, dass wir uns damit vermutlich nicht nur Freunde machen werden.

Folgen die Lyrics auf „Heretic Tongues“ einem textlichen Konzept?

Ursprünglich nicht, aber am Ende des Tages doch irgendwie.

„Auch JUDAS PRIEST haben Disco-Stücke geschrieben“

Musikalisch fällt „Far And Beyond (Until We Meet Again)“ auf. Der galoppierende Rhythmus klingt nach 80er Jahre Discomusik und DONNA SUMMER. Wie seid ihr auf die Idee gekommen verschiedene Rockelemente mit einem Discosound zu kombinieren?

Ich bin ein riesiger GIORGIO MORODER-Fan und bin grundsätzlich beeindruckt von der Art und Weise, wie neue Stile in den 70ern entstanden sind. Das will zwar keiner zugeben, aber auch JUDAS PRIEST haben Disco-Stücke geschrieben, die so dermaßen krass grooven und obendrein noch ausdrucksstark und lebendig wirken, dass ich mir gesagt habe: das muss ich auch probieren. „Far And Beyond“ war ursprünglich ein Folk Song für mein Soloprojekt, aber beim Anhören des Demos dachte ich: das funktioniert auch als Disco-Nummer. „Far And Beyond (Until We Meet Again)“ war dann eigentlich eine logische Folge, die aus einem Jam im Studio entstanden ist.

Bei jeder eurer LPs sind die Langläufer am Ende. Bei „Heretic Tongues“ ist das „Physical Boundaries“ mit einer Laufzeit von mehr als zwölf Minuten. Absicht oder Zufall?

Absicht. Wir lieben lange Songs, die den Hörer auf eine Reise mitnehmen.

WUCAN ist auf Tour im Frühjahr und Sommer. Die ersten Konzerte sind gespielt. Wie war das Live-Comeback nach der Corona-Pause für Euch?

Wir waren nie wirklich weg, aber jetzt mit dem Push der neuen Platte im Rücken, fühlt es sich nochmal aufreibender an, wieder auf die Bühnen zu können. Leider sind die politischen Umstände im Moment so desaströs, dass wir selbst mit guten Merchverkäufen aktuell gerade auf null rauskommen. Der Sprit und die allgemein gestiegenen Kosten bei gleichbleibenden Gagen, machen uns und unseren Mitmusikern schon echt Sorgen! Das ist der Dämpfer bei den sonst so schönen Aussichten gerade.

Zum guten Schluss hätten wir eine spezielle Frage: eins unserer Redaktionsmitglieder ist wie Du in Chemnitz geboren und aufgewachsen. Wie hast Du das Aufwachsen in der Post-Wendezeit dort empfunden und welchen Einfluss hatte die Zeit in der Heimatstadt insgesamt auf das musikalische Schaffen? War es in einer eher kleinen und leicht verschlafenen Stadt problematisch, mit einem eher „untrendigen“ Musikgeschmack und einer sehr speziellen Vision einer Band und ihrem Sound, sich selbst zu verwirklichen beziehungsweise Anschluss an Gleichgesinnte zu finden?

Gute Frage, die mir so noch nie gestellt wurde. In Chemnitz hatte ich als Teenager das Glück, in der Old-School-Metalszene, die es damals noch gab, dabei gewesen zu sein. Da habe ich schnell Anschluss mit meinem Musikgeschmack und entsprechend auch viele Freunde gefunden, mit denen ich mich über Musik austauschen konnte. Dort gab es aber auch eine klare Hierarchie, was aus heutiger Sicht albern wirkt. Da gab es die älteren Metalheads, Mitte zwanzig, die die Urteilshoheit für sich beanspruchten, dann die Jüngeren und dann kamen wir Küken. Die hatten nichts zu melden. Zumindest kam das so bei mir an. Richtig ernst genommen wurde ich da nicht… nicht als Musikfan, aber gleich gar nicht als Musikerin.

Als es für mich dann Zeit wurde, zu studieren, wusste ich auch, dass ich bald mal eine Band gründen sollte, wenn ich meinen Traum erfüllen wollte, irgendwann mal eine Platte aufzunehmen. Das waren damals die bescheidenen Visionen. Da war auch schnell klar, dass ich in Chemnitz aus genannten Gründen gar nicht erst anfangen brauche, eine Band zusammenzustellen. Ich wollte in Dresden bei null beginnen und das habe ich getan. Jetzt kommt unser drittes Album.

Ich glaube die Idee beziehungsweise Vorstellung vom Musikerdasein ist in meiner Heimatstadt ganz verzerrt von dem, wie es wirklich ist. Meine Familie hat keinen blassen Schimmer, was Musik für mich bedeutet, was es bedeutet Musik zu machen. Mein Vater fragte mich mal, wer für uns eigentlich die Musik komponiert, ob das nicht unser Manager mache… da bin ich aus allen Wolken gefallen. Er konnte sich ums Verrecken nicht vorstellen, dass seine Tochter fünf Instrumente spielt und ihre eigene Musik schreibt. Auch meine Freunde von früher hatten anfänglich mit dem vergleichsweise krassen Trubel um WUCAN ein bisschen zu kämpfen, weil sie direkt dachten, dass ich automatisch zum Arschloch oder zur Diva werde. Ich behaupte mal, dass das nicht der Fall ist. In Chemnitz gibt es unheimlich talentierte Bands, gerade aus dem Metalbereich, die alle eine Chance verdient hätten.

Vielen Dank für eure Zeit. Die letzten Worte gehören euch.

Danke für das Interesse an unserer Musik.

25.05.2022

Ein Leben ohne Musik ist möglich, jedoch sinnlos

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