Agent Fresco - Destrier

Review

Arnór Dan Arnarson ist ein Prophet der zeitgenössischen Rockmusik. Einer jener Musiker, denen alles geglaubt und alles verziehen wird. Einer, der wirklich etwas zu sagen hat. Wut, Angst, Verzweiflung, aber auch Hoffnung, Euphorie und Tatendrang – nur wenige Sänger auf dem Planeten sind imstande, diese Gemütszustände auf eine derart bemerkenswerte und überwältigende Art und Weise zu vertonen. Das meisterhafte Debüt „A Long Time Listening„, auf welchem Arnason die Krebserkrankung und den Tod seines Vaters mit eindringlichen Worten und packenden Melodien Revue passieren lässt, war das erste Manifest der kindlich-naiven, brillanten Kunst des dänischen Frontmanns, der nun mit seinen ehemaligen isländischen Studienkumpels unter dem Banner AGENT FRESCO mit „Destrier“ das nächste Meisterwerk folgen lässt.

Manifestierte sich der Zauber des Erstlings insbesondere in seiner Kongruenz, zeigt sich „Destrier“ fünf Jahre später hörbar variabler – obwohl die Kompositionen erneut einem konzeptuellen Leitthema untergeordnet sind: dem wogenden Kampf der Emotionen. Wut, Enttäuschung und Zerstörung gegen Zuversicht, Hoffnung und Lebensmut. Laut eigener Aussage verarbeitet Arnarson dabei unter anderem einen Überfall, dessen Opfer er vor drei Jahren wurde sowie den Ausgang der anschließenden Gerichtsverhandlung. Im Studio erlitt Arnarson während der Gesangsaufnahmen Panikattacken – der Kampf, über den er schrieb und sang, er tobte offensichtlich auch in ihm selbst.

Wahrscheinlich klingt der Däne deswegen auf „Destrier“ gelegentlich nicht nur verzweifelt, sondern mitunter auch gallig und verbittert – eine Klangfarbe seiner Stimme, die sich auf dem Debüt noch nicht den Weg an die Oberfläche gebahnt hatte. Aber auch in rein technischer Hinsicht hat der Mann eine Gesangsleistung aufs Band gezaubert, angesichts derer sich die meisten Vokalisten beschämt in eine dunkle Ecke verkriechen dürften. Was Arnarson beispielsweise in Stücken wie dem nachdenklich-düsteren „Bemoan“ (einer der besten Songs des Jahres, wenn nicht aller Zeiten) und dem elektronisch angehauchten „Pyre“ abzieht, ist einfach nur atemberaubend.

Die Band – wie nun mit ausschweifenden Worten geschehen – ausschließlich auf ihren Fronter zu reduzieren, wäre allerdings töricht. Denn ohne die imposanten Klangmauern, die Hrafnkell Örn Guðjónsson (Drums, Piano), Vignir Rafn Hilmarsson (Bass) und Þórarinn Guðnason (Gitarre, Piano, Synthies) ein ums andere Mal um das ausdrucksstarke Organ ihres Anführers errichten, wäre alles nur halb so magisch: Das Fundament bilden erneut experimentelle, sphärische Rockklänge, welche AGENT FRESCO um Nuancen aus den Bereichen Metal, Jazz und Ambient erweitern. So gesellen sich zu kernigen, eindringlichen Riffs („Howls“, „See Hell“) immer wieder perlende Pianoläufe wie im herausragenden „Dark Water“, vertrackte Rhythmen und Mathcore-Rebellentum („Angst“ – so hart klangen AGENT FRESCO noch nie) sowie unwiderstehlich isländische Soundtrack-Eruptionen wie im packend-epischen Opener „Let Them See Us“ und dem verträumten „Death Rattle“. Das akkurat groovende und vieschichtige „Wait For Me“ sowie das mit betörend eingängigem Refrain ausgestattete „The Autumn Red“ sind weitere Höhepunkte der Tracklist. Im Titelstück wiederum überrascht der Vierer zwischen getragenen Passagen mit Noise-Anleihen und wuchtig-vertracktem Gelärme. Der überwiegend instrumentale Schluss- und Longtrack „Mono No Aware“ zitiert dann noch einmal diverse Passagen der Platte – und markiert den trefflichen Abschluss der etwas mehr als 50 Minuten.

AGENT FRESCO schwingen sich mit „Destrier“ zu den Helden der modernen Romantik auf und liefern ein Album ab, das zu den emotionalsten Tondokumenten der vergangenen Jahre gezählt werden muss. Dabei agieren die Isländer und ihr dänisches Sprachrohr im Vergleich zum Debüt noch abwechslungsreicher und packender – nicht zuletzt, weil sie ihren Sound um weitere, neue Facetten bereichert haben. Wer sich im Klangkosmos zwischen SIGUR RÓS und LEPROUS wohlfühlt, wird diese Scheibe mit hoher Wahrscheinlichkeit lieben. „Destrier“ ist schlichtweg atemberaubend schön – und ein heißer Kandidat für das Album des Jahres.

31.07.2015
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