Antrisch - Expedition II: Die Passage

Review

Mit “Expedition II: Die Passage“ wagen die 2020 gegründeten ANTRISCH ihren ersten Langspieler. Wie der Name schon vermuten lässt, folgt er auf die 2021 erschienene EP “Expedition I: Dissonanzgrad“ und beschäftigt sich inhaltlich mit der letzten Forschungsreise des Polarforschers Sir John Franklin, der sich 1845 auf den Weg machte, um erstmals die Nordwestpassage vollständig zu durchsegeln. Kleiner Spoiler: Kein Expeditionsteilnehmer wurde je wieder lebendig gesehen.

Expedition ins neunzehnte Jahrhundert

Diese düstere und verhängnisvolle Atmosphäre versuchen ANTRISCH auf ihrem Album zu reproduzieren und runden das Gesamtkonzept mit passendem Coverartwork, Kostümierung und einem körnigen Schwarz-Weiß-Filter über ihren Bandfotos ab. Auch musikalisch machen die Würzburger sich verschiedene atmosphärische Elemente zunutze. Der Aufmacher des Albums “I. FESTGEFROREN – Packeisfalle“ beginnt mit den Geräuschen eines knarzenden Mastes und leisem Wellenrauschen. Ansonsten herrscht absolute, beklemmende Stille bevor die erste Gitarre und flüsternde Erzählung einsetzen, die erst in einen theatralischen Chor und dann in ein brutales Instrumental eskalieren.

Nicht nur im Opener, sondern über das ganze Album hinweg experimentieren ANTRISCH immer wieder mit Soundeffekten und verschiedenen musikalischen Elementen, um Atmosphäre aufzubauen und zu halten. Die Gesangsrange reicht von flüstern über Schreie bis hin zu wütendem Geknurre, ist dabei aber immer gut verständlich und harmonisch. Diese Detailfülle auf hohem Niveau ist vor allem vor dem Hintergrund, dass die Würzburger ihr Album komplett in Eigenregie aufgenommen und veröffentlicht haben, beeindruckend und bemerkenswert.

Höhepunkt der Atmosphäre und auch der Geschichte ist der letzte Track des Albums “68° 15’ N 98° 45° W – 68° 34° N 98° 56‘ W“. Der Titel beschreibt die Koordinaten, an denen die beiden Expeditionsschiffe HMS Erebus und HMS Terror nach ihrem Verschwinden endlich gefunden wurden – fast 170 Jahre nach ihrem Verschwinden. Da hier niemand mehr am Leben war, der die Geschichte hätte weitererzählen können, ist es nur stimmig, dass dieser Song ein reines Instrumental ist. Hier merkt man, dass die beklemmende Atmosphäre auch so beim Hörer ankommt, was ohne theatralischen Erzähler vielleicht sogar noch etwas natürlicher und wirkungsvoller gelingt.

Was wollen ANTRISCH als nächstes erzählen?

ANTRISCH haben ein beeindruckendes Langspielerdebüt hingelegt – vor allem vor dem Hintergrund, dass dies in eigenständiger Produktion stattgefunden hat. Die Atmosphäre ist intensiv und beklemmend, das Konzept ganzheitlich gedacht und durch den Einsatz verschiedener Elemente gibt es immer wieder Abwechslung und Spannung. Für die Zukunft müssen die Würzburger nur aufpassen, dass ihre Freude an Konzeptdetails nicht die Grenze des Pathetischen und Theatralischen überschreitet, der sie sich auf “Expedition II: Die Passage“ schon auf Haaresbreite annähern.

Außerdem stellt sich die Frage, mit welchen Themen ANTRISCH sich in Zukunft beschäftigen wollen, da die Geschichte der Franklin-Expedition nun endgültig auserzählt ist. “Expedition II: Die Passage“ ist ein spannendes erstes Album, das zu hören sich auf jeden Fall lohnt. Ob ANTRISCH auch zukünftig noch relevant sein werden oder sich mit der starken inhaltlichen Spezialisierung auf etwas zu dünnes Eis begeben haben, wird wohl erst das nächste Album entscheiden.

Review von Louisa Esch

30.04.2023
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