Desolation - Desoriented

Review

Fast sieben Jahre sind vergangen, seitdem die Hannoveraner DESOLATION das letzte Mal von sich hören ließen, die eine oder andere Liveshow mal ausgeschlossen. Und nun melden sie sich mit einem Paukenschlag zurück: „Desoriented“ heißt das neue und dritte Album der Band, ein Wortspiel aus „disoriented“ und dem Bandnamen, wobei dieses Werk keinesfalls orientierungslos klingt – auch, wenn von Zeit zu Zeit zumindest vordergründig Chaos herrscht.

Sie mag am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig klingen, diese Mischung aus dominanten Keyboards und ebenso dominantem Gesang sowie überwiegend zurückhaltend agierender Saitenfraktion; diese Mischung aus Melodic-Death- und -Black-Metal-Einflüssen der frühen Neunziger, die dafür sorgt, dass „Desoriented“ trotz seines modernen Feelings einen gewissen Anachronismus innehat. Man darf eben nicht vergessen, dass diese Band schon 1994 gegründet wurde, dem Jahr, in dem Alben wie „De Mysteriis Dom. Sathanas“ (bei DESOLATION wenig hörbar), „Transilvanian Hunger“ (schon etwas besser herauszuhören) oder „For All Tid“ (definitiv ein großer Einfluss, würde ich schätzen) veröffentlicht wurden, auch wenn es erst 1999 das erste Album gab, und auch, wenn „Desoriented“ der Flair der Neunzigeralben zu einem gewissen Grad fehlt. Trotzdem, wer an die frühen DIMMU-BORGIR-Alben denkt und in Gedanken ein paar Einflüsse aus den frühen Tagen des skandinavischen Melodic Death Metals hinzu addiert, der hat kein ganz verkehrtes Bild davon, wie DESOLATION anno 2013 klingen, wenn auch mit deutlich modernerem Sound und einer deutlich in eine andere Richtung schlagende Atmosphäre. (Das geht übrigens soweit, dass ich manches Keyboard-Riff aus dem Titeltrack als „Stormblåst“-Zitat ausgeben würde – da es DESOLATION aber eigentlich gar nicht nötig haben zu klauen, verbuchen wir das mal als Hommage.)

Doch genug der Vergleiche, denn „Desoriented“ kann durchaus auf eigenen Beinen stehen. So sorgen die perfekte, zurückhaltende und sich nur in wenigen Höhepunkten vom Gesamtklang emanzipierende Gitarrenarbeit, das sich immer wieder Atmosphäre-stiftend ausbreitende Keyboard und nicht zuletzt der sehr intensive Gesang der beiden Sänger dafür, dass DESOLATION auf ihrem Drittwerk einen grandiosen Moment nach dem anderen bieten und immer, wenn man sich gerade wieder zurücklehnt, noch einen draufsetzen, noch eingängiger, noch radikaler, noch krasser sein wollen – und das am besten alles gleichzeitig. Wer das nicht glauben mag, soll sich „L’auberge d’Esolation“ anhören und staunen.

Es ist schon erstaunlich, wie es DESOLATION auf „Desoriented“ schaffen, größtenteils altbekannte Elemente so zusammenzusetzen, dass dabei (nicht zuletzt dank der urbanen Stimmung und des lyrischen Konzepts rund um die titelgebende Orientierungslosigkeit in unserer heutigen Welt) etwas herauskommt, was zumindest ich auf diese Weise noch nicht gehört habe. Aufgrund diverser potenzieller Schwierigkeiten – wie bereits erwähnt wirkt das Album beim ersten Durchlauf im Großen und Ganzen noch eher gewöhnungsbedürftig und auch chaotisch, mir persönlich hat darüber hinaus die urbane Stimmung zunächst Schwierigkeiten bereitet – mag es sein, dass „Desoriented“ nicht jedermanns Geschmack trifft, aber zumindest sollten sich DESOLATION mit diesem Werk zwei bis drei Durchläufe bei jedem Freund extremen Metals mit Neunziger-Vorliebe verdient haben. Nicht zuletzt, weil die Neunziger eben omnipräsent sind, ohne jedoch bloß wiedergekäut zu werden.

„Desoriented“ ist ein vielschichtiges, kaltes, urbanes, eingängiges Black-/Death-Metal-Album, das trotz all seiner Neunziger-Anleihen ins Jahr 2013 passt wie die Faust auf’s Auge und wohl auch nur in diesem Jahrtausend so hätte entstehen können, wie es letztlich entstanden ist. Und es ist ein Album, das mal eben zehn einzigartige, unverwechselbare Songs mit jeder Menge Hitpotenzial vereint. Alleine dafür haben sich DESOLATION Respekt verdient.

Hier findet ihr das komplette Album im Stream sowie ein kurzes Interview mit Sänger Johannes!

16.09.2013
Exit mobile version