(Dolch) - Nacht

Review

Das Berliner Düster-Duo (DOLCH), durch die Live-Mannschaft mittlerweile vielleicht sogar permanent zur vollwertigen Band angewachsen, legt mit „Nacht“ den Mittelteil ihrer geplanten Trilogie aus Feuer, Nacht und Tod vor.  Und die bisherige Single (und auch EP) „Tonight“ vermag vielleicht schon den ein oder anderen samt Video überrascht zu haben: Sind das echt (DOLCH), die sonst sehr klandestin und eher lo-fi unterwegs waren? „Nacht“ stellt schnell klar, es sind immer noch (DOLCH), aber diesmal mit größerem künstlerischen Rahmen drum herum gezogen. Wenn auch auf eine andere Weise als „Feuer“ um 2019 herum. Es wird wesentlich intimer, weniger „metallisch“, aber immer noch dunkel, mystisch, und doch irgendwo mit einer neuen Patina überzogen.

(DOLCH) sind immer für eine Überraschung gut

Nach dem „einheizenden“ „Feuer“ ist „Nacht“ nun wieder überraschend zurückgefahren, kehrt eher zur ambientgetränkten Vergangenheit (der Demos „I+II“ und auch EP „III„) zurück: lange, schwelgerische Songs, wenige Noten, mehr Post-Punk denn Metal-Gefühle. „Lights Out“ leitet mit wispernden Verwünschungen und einlullenden Synthies wie eine flüchtige Nachtbekanntschaft ein, geht dann nahtlos in „Open“ über, was die ruhige, einschmeichelnde Schiene bis zu „Tonight“ beibehält. Hier hat jemand wohl viel TYPE O NEGATIVE und auch THE  CURE unter anderem konsumiert. Auch „Mercury“ lebt von seinem pumpenden Bass ehe der Song sich öffnet und ein wenig anzieht. Trip-Hop, Post Punk, Wave, Rock, ja, (DOLCH) sind schwerlich einzusortieren oder zu begrenzen auf „NACHT“. Von THE SISTER OF MERCY über ARCHIVE bis hin zu MASSIVE ATTACK-Vibes ist hier alles mit dabei. Allerdings wie aus einer wesentlich melancholischeren Sci-Fi-Noir Parallelwelt.

„Into The Night“ hat intime Swing-Vibes, es ist gerade Slow-Dance mit der Nachtbekanntschaft angesagt. „I Am OK (Hydroxytryptamin Baby Part II)“ und „House Of Glass (Hydroxytryptamin Baby Part III)“ lassen dann den Herzschlag spüren (das Kick-Drum-Pattern impliziert dabei eine leicht aufgeregte Person), unsere körpereigene Droge (Hydroxytryptamin ist einfach nur die chemische Bezeichnung für Serotonin) wird hier zum Leben erweckt, ist aber vielleicht ebenso einfach nur eine Illusion.

Teil 2 der Trilogie: Wanderung in der „Nacht“

Auch die zweite Hälfte weiß mit dem reduzierten „House Of Glass (Hydroxytryptamin Baby Part III)“, den düsteren, aber auch sinnlichen Elektro-Vibes von“Bird Of Prey“ und Marlboro-Commercial „Ghost“ zu begeistern. Auch das dunkel, aber bestimmt aufspielende „Coda“ gefällt mit der letzten rockiger aufspielenden Hälfte, aber auch den unterschiedlichen Stimmebenen mit teilweiser Harmonisierung im Track. Solche netten kleinen Einfälle sind gering vorhanden, machen aber so viel aus.  In allen Tracks geschieht (DOLCH)-typisch zwar nicht wahnsinnig viel… aber trotzdem löst die Monotonie zusammen mit der neu (wieder?-)gefundenen Experimentierfreude und der deutlichen ruhigeren Herangehensweise näher an Ambient eine unweigerliche Sogwirkung aus. Die grobe Ausrichtung von (DOLCH) wird nicht sonderlich verändert, aber innerhalb dieser Grenzen wird mutiger vorgegangen.

Wie in einer fremden Stadt auch die Straßen mit Fortschreiten des Abends von Kneipe zu Kneipe mehr zu einem einheitlichen Grau verschwimmen mögen, ist auch die Musik oftmals schwerlich auseinanderzusortieren, einzuordnen, Ankerpunkte auszumachen. Trotzdem bleibt die Erinnerung, wenn auch möglicherweise ziemlich falsch, mitsamt aller Emotionen für länger bestehen. So ist es auch beim Hören von „Nacht“, dass möglicherweise zum Akklimatisieren ein paar mehr Durchläufe braucht, aber Songs wie „Bird Of Prey“, „Coda“ oder „I Am OK“ bleiben im Kopf, versprochen. (DOLCH) spielen unbeirrt weiter ihren Stiefel durch und wenn sie dieses mal halt wieder mehr Lust auf reduzierte Songs und Atmosphäre haben, dann eben so anstatt dem eher „metallischeren“ Klang von „Feuer“.

Vorläufiger Höhepunkt

Trotzdem wirkt alles wesentlich ausgereifter, trotz oder vielleicht gerade auch wegen der neu gefundenen Simplizität und dem Zurückfahren der Stromgitarren. Was übermässig ausgereizt noch zur Geduldsprobe avancieren konnte (mein Hauptproblem mit der EP „III – Song Of Happiness… Word Of Praise“) passt hier perfekt. Das gefällt im Gesamtkonzept als urbanes Umherirren in der „Nacht“ dann sogar noch deutlich besser als „Feuer“. Nicht immer macht so eine Nacht Spaß, manchmal ist die Situation am Ende die Folgende: „Early Morning No Taxi“. Für den Heimweg zu Fuss würde sich „Nacht“ auf den Ohren für solche Situationen durchaus anbieten. Ob es in Zukunft beim „Tod“ dann sehnsuchtsvolle Erinnerungen zurück an verklärte Zeiten der „Nacht“ geben wird? Wer weiss…

 

04.02.2022
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