FJØRT - Kontakt

Review

Wieder nachts schweißgebadet aus dem Schlaf aufgeschreckt. Chris von FJØRT ruft laut „Hallo?!“ in den kühlen dunklen Raum. Dieses alles in Frage stellende, Wunden aufreißende „Hallo?!“ hat schon bei „D’accord“ Urgängste geweckt, klang unangenehm nah. Aufrüttelnd. Und auf „Kontakt“ tut er es schon wieder. Es ist beängstigend, wie FJØRT dem Hörer am Hals kleben, sodass man beinahe heiß ihren Atem spüren kann. Beeindruckend, wie komprimiert sie die musikalischen und lyrischen Inhalte darbieten. Sodass nichts hinzuzufügen ist und sich mit einem Mal starke Gefühle breit machen. Das kann Demut sein, Scham, Freude, vernichtende Angst, Wut oder einfach nur alles zerfressende Trauer. Innerhalb weniger Sekunden stülpen die Aachener das Innerste nach außen, zwingen zum Blick durchs das musikalische Kaleidoskop, verlassen jeglichen gewohnten Pfad und reißen den Hörer mit in eine unberechenbare, intensive Welt.

FJØRT sind keine Band, die den einfachen Weg wählt.

FJØRT sind keine Band, die den einfachen Weg wählt und meistens ist es ja auch nicht einfach. Das war schon seit „Demontage“ und „D’Accord“ klar, spiegelt sich in Texten und visueller Umsetzung der drei Herren wieder. Auch der Einstieg in „Kontakt“ erfolgt nicht über die handelsübliche Schiene, denn „In Balance“ steigt langsam und bedrohlich ein. Wie träge Geschosse fliegen die Riff-Monolithen auf den Hörer zu, dieser hat lässig Zeit, sich zu ducken und weiß doch, dass das Folgende heftiger werden wird. Es geht weiterhin um persönliche Dinge bei FJØRT, gleichzeitig wird das Trio konkreter und vertont einiges, was viele Bands im letzten Jahr leider verpasst haben.

„Paroli“ befasst sich mit der Notwendigkeit eines Widerstandes, eines Zeichen gegen Fremdenhass oder noch besser für Menschlichkeit. „Belvedere“ liefert die Hymne zum Aufstehen, während helle Gitarrenklänge den melancholischen Sound zerfräsen, brüllt Chris uns die Durchhalteparolen ins Ohr. Es lohnt sich jeder Hieb, der fällt, und auch FJØRT tun keinen Hieb umsonst. Alles wirkt kalkuliert und bewusst an die zugeteilte Stelle gesetzt, jeder Hall erfüllt seine Wirkung und jede Betonung scheint absolut perfekt zu sein auf „Kontakt“, ohne auch nur einen Funken Leidenschaft einzubüßen.

Ist das genug für dich?

Es ergibt keinen Sinn, Sätze wie „Dein Gott bist du selbst“, „Frei zu sein, bedeutet Freiheit zu schenken …“, „… und das reicht für deinen Hass!“ aus dem Zusammenhang zu reißen, denn dann fehlt der Nachdruck und Zusammenhang. Eine unbändige und nicht vergleichbare Wut, die Chris in seine Muttersprache packt. Es fehlen dann auch die markerschütternden, von Emotionen getriebenen Trommelschläge, mit denen Frank alles untermauert und die absolut intuitiven Basslinien von David Frings, die den Kopf unter Hochspannung setzen und den Verstand ohne Rücksicht aus dem Tiefschlaf reißen.

Hakenschlagene Riffs, kreative Drums und frei fliegende Basslines finden letztendlich immer wieder zusammen und verschmelzen mit den Texten zu einer nachvollziehbaren Melange aus Core, Punk und Post-Rock, die die Band FJØRT repräsentieren und einzigartig machen. Einziges Manko gegenüber „D’Accord“ ist die Ruppigkeit der Lieder, nicht überall findet man auf Anhieb einen Anker, das war mit dem Vorgänger etwas einfacher. Doch FJØRT sind sowieso keine Band, deren Musik man bei einer lauschigen Gartenparty auflegt, um gute Stimmung zu verbreiten – Konzerte selbstverständlich ausgeschlossen.

FJØRT tun weh. „Kontakt“ tut weh

„Kontakt“ triumphiert Dank eines grandiosen Sounds, der jede einzelne Bassnote wie einen Steinschlag im heimischen Wohnzimmer einschlagen und jedes Riff ungehemmt in des Hörers Magengrube donnern lässt. FJØRT sind eine deutschsprachige Band, auf die die Musikwelt lange warten musste, und „Kontakt“ schon jetzt ein Anwärter auf das Album des Jahres. Abgesehen von diesen Plattitüden und Phrasen, auf die man mangels Worten zurückgreifen muss, ist „Kontakt“ ein Album, das Menschen maßgeblich in Denken und Handeln beeinflussen wird – eine größere Ehre gibt es nicht. FJØRT tun weh. „Kontakt“ tut weh. Aber wer hat gesagt, dass es einfach werden würde, und wer will bestreiten, dass alles was du liebst, dir auch gleichzeitig den größten Schmerz zufügen kann?

04.01.2016
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