Gotthard - Domino Effect

Review

Eines gleich vorweg: wer den bärenstarken Vorgänger „Lipservice“ im Regal stehen hat und ebenso wie ich von der unglaublichen Energie und Hitdichte des Albums begeistert war (und immer noch ist), darf den nun erscheinenden Nachfolger „Domino Effect“ ohne schlechtes Gewissen und weitere Umstände direkt in die heimische Plattensammlung katapultieren. „Domino Effect“ ist eine hundertprozentig lupenreine Fortsetzung des GOTTHARD-Erfolgsrezepts: schnörkel- und zeitlose Rocksongs im mächtigen Soundgewand gepaart mit grenzenloser Suchtgefahr! Lasst die Massen ihren Pop- und Rap-Schwachsinn zelebrieren, das hier ist DIE Sommerplatte für Freunde des Hard Rocks!

Die Schweizer lassen nichts anbrennen. Erneut erwartet uns eine großartige, druckvolle und meisterhaft aufgeräumte Produktion, die jederzeit internationales Format beweist. Erneut gibt es Songs, die sich abwechselnd kurz-, mittel- und langfristig in unterschiedlichen Kombinationen in der Hirnrinde festfressen. Erneut verspürt man das unstillbare Verlangen, seinen Allerwertesten in ein Cabrio zu schwingen, die Anlage voll aufzudrehen und mit gemütlichen 200 km/h durch die Stadt zu cruisen.

Alles beim Alten also? Nicht ganz. Innerhalb ihres ureigenen Stils nehmen GOTTHARD ja ab und zu gerne kleine Kurskorrekturen vor. So fand man mit „Lipservice“ und dem Wechsel zu Nuclear Blast größtenteils zur ursprünglichen Härte zurück. Auf „Domino Effect“ bleiben GOTTHARD diesem Stil zwar treu, klingen insgesamt aber etwas melancholischer und dramatischer. Natürlich ist man meilenweit davon entfernt, dem Publikum weinerliches Emogesäusel aufzutischen; das hier ist definitiv die falsche Band, um reiche weiße Kids zum Selbstmord zu treiben. Man hat aber die dunkleren Seiten der bandeigenen Lieblingsthemen Liebe und Freundschaft herausgearbeitet, und je nach Stimmungslage haben die Songs durchaus emotionale Durchschlagskraft, und das meistens, ohne allzu kitschig zu wirken.

Aber keine Bange: im Allgemeinen ringt auch diese Platte selbst dem miesepetrigsten Schwarzseher ein zufriedenes, hoffnungsvolles Lächeln ab. Tränen gibt es hier allenfalls aus Freude über die alle Zweifel zerstreuende instrumentale Leistung – dank einer der tightesten Rhythmusgruppen Europas, der einfallsreichen Gitarrenarbeit, die durch kraftvolle Riffs und hörenswerte Soli besticht, und natürlich auch dank Sänger Steve Lee, der immer noch einer der besten seines Fachs ist und sich auch hier keinerlei Blöße gibt. Auch schön, dass die Band nicht einfach ihre Songs runterrotzt, sondern detailverliebte Arrangements mit blubbernden Hammondorgeln, dezenten, niemals billigen Synthie-Effekten und sparsamen Orchestrierungen auffährt, die auch zur Langlebigkeit des Albums beitragen: es gibt bei aller Eingängigkeit viel zu entdecken.

Am wichtigsten ist aber, dass das Eingemachte – sprich: das Songwriting – stets im grünen Bereich verbleibt. Mal eben 14 Songs rauszuhauen, von denen jeder auf seine Art einen Volltreffer darstellt, ist schlichtweg eine Meisterleistung. Mit dem Opener „Master Of Illusion“, dem Titeltrack „Domino Effect“, dem Oberohrwurm „Letter To A Friend“ und dem alle schlechte Laune zersprengenden „Come Alive“ liegen meine persönlichen Lieblinge zwar fest, aber hier kann im Prinzip jeder Track dem anderen das Wasser reichen. Eins ist natürlich klar: GOTTHARD sind nicht die Neuerfinder der Rockmusik und verzichten auf grundlegende Innovationen. Und einen wirklich handfesten Kritikpunkt gibt es auch, denn bei dem Titel des Albums hätte man sich wahrlich ein spannenderes Cover pinseln lassen können. Aber solche Kleinigkeiten können nicht die Erkenntnis verhindern, dass wir es schlicht und ergreifend mit dem bisher besten Stück Hard Rock des bisherigen Jahres zu tun haben.

23.04.2007
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