Helfró - Tálgröf

Review

Zumindest in den Kreisen Hessen und Rheinhessen hält zum Zeitpunkt des Verfassens etwas Einzug, was heutzutage selbst von erfahrenen Wetterdiensten als Unwetter tituliert wird und für Verkehrschaos noch und nöcher sorgt, die älteren Generationen jedoch noch als stinknormalen Winter kannten und besonders zur Weihnachtszeit, zumindest wenn im familiären Umfeld observiert, hoch schätzten. Will sagen: Ja man, endlich schneit’s mal wieder! Für Schwarzwurzelnasen ist das der ideale Anlass, sich die Nieten anzulegen, Corpsepaint aufzutragen und sich im verschneiten Taunus (oder einen anderen Wald der Wahl) zu verirren. Den brandaktuellen Soundtrack zur frostigen Begleitung liefern HELFRÓ aus Island, die sich natürlich die richtige Jahreszeit für die Veröffentlichung ihres Zweitlings „Tálgröf“ ausgesucht haben.

Die furiosen Zwei schlagen wieder mit eiskalter Raserei zu!

Auf dem Fuße eines furiosen, selbstbetitelten Debüts folgend ist die Erwartung an dieses neue Album natürlich immens, zumal das isländische Duo bestehend aus Ragnar Sverrisson und Simon Thorolfsson auf ihrem Debüt ein amtliches Statement voller rasender Kälte, aber auch bespickt mit subtilen aber erhabenen Melodien kreiert haben. Im Wesentlichen: Wer isländischen Black Metal im Fahrwasser von MISÞYRMING schätzt, ist hier bestens aufgehoben. Und das gilt auch weiterhin für das neue Album „Tálgröf“, bei dem es klanglich jedoch einige Feinjustierungen gegeben hat. Zuvorderst auffällig: Die Band hat die Straffheit im Sound noch einmal etwas erhöht, was zu einigen strammen Grooves á la „Guðlegt Réttlæti“ führt. Die Produktion der Platte ist da mitgezogen und kommt anno 2023 mit ordentlich Druck und Kante daher. Dennoch bleibt die Kälte im Sound der Isländer deutlich spürbar.

Und damit gilt einmal mehr, was unsereins schon zu Vorgänger schrieb: „Sind sie zu stark, bist du zu schwach“, so zumindest lässt sich der Sound der Isländer auch heuer treffend zusammenfassen. Denn auch auf „Tálgröf“ regiert die abrasive Kälte, die immer wieder an passenden Stellen durch Synthesizer stimmungsvoll untermalt wird, im Kern jedoch bevorzugt biestig unterwegs ist. Das manifestiert sich direkt im eröffnenden „Jarteikn“, das mit ziemlich agilen Riffs eröffnet und so möglicherweise als ein Querverweis auf den Tech-Death-Hintergrund von Sverrisson (spezifisch OPHIDIAN I) verstanden werden kann. Im Gegensatz zum Vorgänger kommt hier kaum noch Klargesang zum Einsatz. Aber angesichts des Furors, den HELFRÓ einmal mehr an den Tag legen und der seine Hörer regelrecht durchs Album peitscht, vermisst man das kaum.

Dabei haben HELFRÓ den Grad an Straffheit erhöht …

Aber der Sound ist aufgrund der enormen Aggressivität ohnehin recht sperrig, selbst mit Klargesang, von daher wäre das bestenfalls nur eine nette Dreingabe gewesen. Dessen Abwesenheit fällt aber wie erwähnt nicht so sehr ins Gewicht, da die Isländer auch so jede Menge memorabler Momente heraufbeschwören. Das können Passagen sein, die sich aufgrund ihrer rasenden Natur und damit einhergehend der praktisch beiläufig beschworenen Urgenz der Hörerschaft aufzwingen, man höre nur „Þögnin Ytra, Kyrrðin Innra“. Das können aber auch die mit Synthesizer untermalten Parts sein, die heuer gerne mal etwas mehr klassischen Symphonic Black Metal Einzug halten lassen. Als Beispiel sei hier mal „Fangelsaður Í Tilvist Að Eilífu“ genannt, das mit einem solchen Symphonic-Black-Part eröffnet und im weiteren Verlauf immer wieder dorthin zurückkehrt. Diese Neigung ist nichts Neues im Sound des Duos, wird aber auf „Tálgröf“ gewinnbringend vertieft.

Als letztes sei noch der abwechslungsreiche Gesang hervorgehoben, den sich Sverisson und Thorolfsson teilen. Dieser variiert zwischen heiseren Shrieks und Death-Metal-tauglichen Growls, die besonders im Einklang schmackhaft fies daherkommen, siehe „Sindur“ oder „Traðkandi Blómin í Eigin Hjartagarði“. Dass die Band diesmal auf Klargesang verzichtet hat, fällt nicht zuletzt auch aufgrund der guten Dynamik der beiden und natürlich den viszeralen Darbietungen nicht weiter auf. Die Songs erzwingen diese aber auch nicht, sondern sind eben auf den gutturalen Gesang ausgerichtet, sodass sich dieses vermeintliche Manko letztlich im Schnee verläuft. Selbst in den symphonischen Parts, die das Tempo etwas rausnehmen und die Atmosphäre für sich sprechen lassen, werden hymnische Parts á la „Ávöxtur Af Rotnu Tré“ nicht wirklich benötigt.

… und die symphonischen Parts vertieft!

Im Grunde gibt es wenig zu Meckern hier, vielleicht mal ein hässlicher Fadeout hier und da („Traðkandi Blómin í Eigin Hjartagarði“ z. B.), aber sonst haben HELFRÓ einen würdigen Nachfolger zu ihrem selbstbetitelten Debüt geliefert, der dessen Fundament an den richtigen Stellen ausgebaut und eben auch Mut zur Entfernung von Ballast gezeigt hat. Genau so soll sich der Zweitling einer vielversprechenden Band anhören. Dass das Album im Dezember erscheint und damit wahrscheinlich nicht mehr so viel Beachtung finden wird, ist schade. Aber dennoch hätte sich das Duo keine bessere Jahreszeit für diese kalte Raserei aussuchen können. Wobei: „Tálgröf“ hat das Zeug, zum Klassiker zu mutieren, wenn es erstmal den Langzeittest besteht. Und Black Metal, vor allem solcher aus Island, kennt ja ohnehin keine Jahreszeiten …

28.11.2023

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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