Igorrr - Amen
Review
„Genie und Wahnsinn“ – ein Prädikat, das dem Franzosen Gautier Serre gerne nachgesagt wird. Kein Wunder, knetet der Herr Serre unter dem Alter Ego IGORRR seit auch schon fast 20 Jahren professionell die Hirne seiner Hörerschaft regelmäßig mit seinem eklektischen Mix aus (Extrem-)Metal, Klassik, Folk, Electronica und allem, was ihm sonst noch so vor die Flinte laufen mag, kräftig durch. Es heißt, er sei synästhetisch veranlagt, womit sich natürlich sofort die Devin Townsend-Assoziation machen lässt. Während letztgenannter aber – speziell auf dem Spätwerk – vornehmlich versucht, DEN bombastischen Moment schlechthin einzufangen, befindet sich Serre klanglich definitiv noch in seiner STRAPPING YOUNG LAD-Phase – und wenn es nach dem Verfasser geht, könnte es gerade so weiter gehen.
Mehr Zugänglichkeit im IGORRR-Universum?
Mit seinem Metalblade-Einstand „Savage Sinusoid“ platzte die Marke des Franzosen förmlich ins Bewusstsein der Öffentlichkeit und wuchs gefühlt über Nacht von einem Geheimtipp für Avantgarde-Trüffelschweine zu einem der Vorzeige-Eklektiker der Metal-Szene schlechthin. Die volle Packung Dadaismus in musikalischer Form vermochte unvorbereitete Ohren auf dem falschen Fuße zu erwischen, sollte aber nachhaltiges Interesse erzeugen, sicher auch dank der stilsichereren, bei aller Eklektik doch extrem straffen und in sich logischen Inszenierung, in Rahmen derer Serre sein eins als Solo-Unterfangenen gestartetes Projekt in so etwas wie eine Band umwandeln sollte. „Spirituality And Distortion“ lieferte den klassischen Double Down und zementierte diese Marke noch fester im öffentlichen Bewusstsein.
Jetzt kommt „Amen“ und vermutlich halten sich konservative Metalheads bereits an ihren Kutten fest in Erwartung des nächsten dadaistischen Allerleis, im Rahmen dessen wieder ein knatschbuntes Bouquet aufs Parkett gelegt wird. Doch „Amen“ scheint genau das nicht zu tun. Naja, es passiert unweigerlich immer mal wieder, wenn „ADHD“ mit zerhackstückt klingenden Glitch Hop-Beats á la IGLOOGHOST daher kommt oder eine Blockflöte auf „Mustard Mucous“ leicht schepp neben der Spur her quakt. Ein bisschen Dada ist geblieben, aber „Amen“ scheint einer deutlich kohärenteren Struktur zu unterliegen. Zum einen scheint das Lineup der Band hinter Serre erstmals nicht nur aus Session-Musikern zu bestehen, zum anderen präsentieren sich die hier gegenständlichen Klänge deutlich konsistenter, als man das von Serre erwarten würde.
„Amen“ wirkt gedrängter und fokussierter
Denn gerade nach einer fünfjährigen Albumpause würde man vermutlich befürchten, dass ein eklektischer Geist wie Serre die Sinne seiner Hörerschaft erst recht ins Kreuzfeuer nimmt, aber das ist nicht Fall. Das neue Album „Amen“ ist gedrängter und fokussierter ausgelegt und kommt als solches vergleichsweise gediegen herüber, während die Beimischung von Elementen der Klassik oftmals etwas Sakrales oder Beschwörerisches in den Sound einbringen und sich wie vollkommen selbstverständlich in den Sound einfügen. An anderer Stelle werden diverse Folk-Elemente eingesetzt, die wiederum so übergangslos im Sound Platz finden, dass sie wie das natürlichste auf der Welt wirken.
Wer an dieser Stelle befürchtet, dass Serre möglicherweise weich geworden ist, kann jedoch aufatmen. Denn zwar ist der Dada-Faktor auf „Amen“ nicht mehr allzu hoch, doch durchschlagskräftig und kreativ in Szene gesetzt ist die Platte allemal. Es wirkt anno 2025 nur deutlich geschmeidiger und runder, man könnte auch sagen: IGORRR gehen von MR. BUNGLE langsam in FAITH NO MORE über. Tatsächlich kann man das Argument aufstellen, dass die Franzosen anno 2025 – zumindest was den Songwriting-Ansatz angeht – deutlich näher am geschmeidigen Crossover denn der eklektischen Avantgarde stehen. Das erlaubt zahlreiche Passagen zum zünftigen Headbangen wie gleich im Opener „Daemoni“, dessen breitbeinige Midtempo-Grooves wenig Zeit verschwenden, um richtig dick aufzutragen.
Die Bereinigung ist gelungen
Eine erhöhte Songorientierung scheint Einzug gehalten zu haben, sodass „Amen“ und letztlich IGORRR gleich viel seriöser herüberkommen. Das und die ultrafette, jedoch transparente und jederzeit klare Produktion tragen ihren Anteil dazu bei, dass sich das französische Projekt anno 2025 möglicherweise zugänglicher denn je präsentiert, ohne die Eklektik gänzlich zu vernachlässigen. Sie ist nur mehr den Songs untergeordnet und nicht länger anders herum. Das sorgt unweigerlich dafür, dass der ein oder andere Anhänger der ersten Stunde dem Zirkusspektakel früherer Tage hinterhertrauen wird. Das bleibt natürlich nicht aus, ist aber immer ein Risiko, wenn eine Band einen derartigen Bereinigungsschritt wagt. Für Band und Hörerschaft gleichermaßen ist „Amen“ aber ein Gewinn.
Igorrr - Amen
| Band | |
|---|---|
| Wertung | |
| User-Wertung | |
| Stile | Avantgarde, Crossover, Death Metal, Gothic Metal, Progressive Metal |
| Anzahl Songs | 12 |
| Spieldauer | 44:53 |
| Release | 19.09.2025 |
| Label | Metalblade |
| Trackliste | 1. Daemoni 2. Headbutt 3. Limbo 4. Blastbeat Falafel 5. ADHD 6. 2020 7. Mustard Mucous 8. Inestis 9. Ancient Sun 10. Pure Disproportionate Black And White Nihilism 11. Étude N°120 12. Silence |
