Kardashev - Liminal Rite

Review

KARDASHEV machen es einem wahrlich nicht leicht. Bekannter als die Band selbst ist wahrscheinlich Sänger Mark Garrett, der vielen vielleicht durch seinen Youtoub-Channel KardavoxAcademy ein Begriff ist, wo er alle Elle lang Metal-Sänger und -Sängerinnen analysiert und auf sie reagiert. Zwar sind KARDASHEV durchaus eine „Band“, die allerdings im „herkömmlichen Sinne“, also Label im Rücken, Touren und so weiter, herzlich wenig von den etablierten Wegen hält. Stattdessen verlegt und organisiert KARDASHEV sich selber, hat spendenwillige Fans, die sie als „Enlisted Travelers“ bezeichnen und dafür Perks in Form von Entscheidungen fürs Songwriting, frühe Einblicke ins Album und vieles mehr bieten. Anders gesagt: KARDASHEV haben im Gegensatz zu so einigen Kollegen verstanden, wie dieses Neuland gewinnbringend für sich selbst genutzt werden kann und was funktioniert und was nicht.

KARDASHEV machen es einem nicht leicht

Vollkommen abseits dieses Konzepts und dem „Funktionieren“ in Zeiten des Internets sind KARDASHEV auch eine Band, die sehr transparent im Entstehungsprozess der Alben ist. Auf ihrer Webseite ist haarklein Inspiration, verwendete Hardware, Lyrics bis hin zum Entstehungsprozess der Cover von Alben, EPs und Co. aufgeführt, durch die sich Interessierte wühlen können, wenn sie möchten. Der Name bezieht sich nebenbei bemerkt auf den russischen Astrophysiker Nikolai Semjonowitsch Kardaschow, der 2019 verstarb und unter anderem eine Entwicklungs-Skala für ausserirdische Zivilisationen entwickelt hat.

Auf „Liminal Rite“, ihrem kommenden zweiten vollständigen Album nach der EP „The Baring Of Shadows“ von 2020, leitet das sehr atmosphärische Intro „The Approaching Of Atonement“ ein, wo der alte Herr auf dem Cover als Erzähler in die Geschichte einführt. Danach gibt es mit dem 8-Minüter „Silvered Shadows“ erst einmal ordentlich Backenfutter. Ein leichter Einstieg geht definitiv anders.

„Liminal Rite“ bietet tollen „Deathgaze“…

Denn bereits in diesem Song befinden sich Ideen und Wechsel, mit denen andere Bands Probleme haben, ihr gesamtes Album zu füllen. Es gibt die starke Death-Metal-Breitseite, aber auch elegische Leads, intime Passagen mit viel Ghost-Note-Einsatz (und alle Regler für Hall auf 11 gedreht), die zusammen glücklicherweise nicht irgendwie überfrachtet wirken, sondern wunderbar funktionieren. Diese hohe Instrumentalkunst begleitet Garrett mit seiner aussergewöhnlichen Stimme, die von gefühlvollen Klargesangspassagen (die er dieses mal sogar selber harmonisiert und nicht wie zuvor dafür meist Effekte benutzt hat) bis hin zu abgründigen Growls und fiesen Screams reicht, außerordentlich souverän dargebracht.

Auch Nachfolger „Apparitions In Candlelight“ bietet den „Deathgaze“, wie die Musiker ihre Kunst (scheinbar scherzhaft) selber nennen, erneut erfolgreich. Gefühlvolle Stellen wechseln sich mit brutalen Attacken ab, nicht nur musikalisch, sondern auch stimmlich. Das größte Problem bei solch einem Unterfangen auf Albenlänge ist es, nicht in gewissen Schemata verfangen zu bleiben, die sich ständig wiederholen, und spannend neu diese Dinge zu kombinieren.

… der aber noch zu langatmig geraten ist

Doch genau das passiert auf dem langen Album leider öfters, vor allem in der zweiten Albenhälfte. Die Abwechslung und der Überraschungseffekt, der noch auf der ersten Hälfte geboten wird, ermüdet so ein wenig. Denn Songs wie „Lavender Calligraphy“ oder auch „Compost Grave-Song“ haben bei aller Klasse dann doch wieder recht klassische Songstruktur und ziehen sich manchmal auch ein wenig über ihre Laufzeit, da sie im Grunde den alten Trick erneut ausspielen.

Besonders die abschließenden beiden Songs „A Vagabond’s Lament“ als Achtminüter und „Beyond The Passage Of Embers“ als Elfminüter haben sehr lange Intropassagen mit sphärischen Ambientsounds und dem mittlerweile für moderne Bands unabdingbar scheinendem Saxophon, die zwar außerordentlich stimmungsvoll, aber auch einfach zu lange geraten sind. Abgesehen vom erwartbaren Ausbruch passiert in den Songs da sonst nämlich nicht mehr richtig viel musikalisch gesprochen.

Zweiter kleiner Haken am Material, diesmal eher auf den Sound bezogen: Während das Hall-gesättigte Schlagzeug von Sean Lang in den ruhigeren Passagen gute Wirkung entfaltet, ist es vor allem in den ballernden Abschnitten auf Dauer auch arg ermüdend. Da kann aber der gute Herr auf dem Hocker nichts für, das ist schlicht eine wenig unvorteilhafte Produktionsentscheidung gewesen. Trotzdem stößt auch das über Dauer des Albums, mit fast einer Stunde Material nicht gerade kurz geraten, ein wenig sauer auf.

KARDASHEV haben interessante Ansätze und bewegen sich im gefühlvollen Stimmungsfeld, das auch andere moderne Death-Metal-Bands wie RIVERS OF NIHIL, BLACK CROWN INITIATE, FALLUJAH und weitere bereits ausgelotet haben. Diese Klasse haben KARDASHEV leider noch nicht ganz erreicht, da sich hier doch mehr Länge und Durchschnittsware über Albenlänge angesammelt hat als nötig gewesen wäre. Davon abgesehen bietet aber vor allem Garrett mit seiner abwechslungsreichen und reichhaltigen Stimme ein angenehmes Alleinstellungsmerkmal im Genre und auch die Musik selbst ist sicher nicht von schlechten Eltern und auch verdammt eigenständig. Allen Liebhabern atmosphärischerer Klänge ohne Scheuklappen sei also ein Reinhören trotzdem dringendstens angeraten.

02.06.2022
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