Kvelertak - Nattesferd

Review

KVELERTAK aus Norwegen haben in der nun fast vollendeten ersten Dekade ihres Bestehens einen beispiellosen Aufstieg hingelegt und sich mit nur zwei Studioalben aus ihrer selbstgeschaffenen Genre-Nische in die Welt hinauskatapultiert. Ein bisschen erinnert diese Erfolgsgeschichte an jene von VOLBEAT aus dem benachbarten Dänemark – mit dem Unterschied dass Michael Poulsen die Death-Growls mit dem Ende des DOMINUS-Kapitels ad acta legte, und VOLBEAT mit seiner Elvis-Stimme in die Rotationslisten Mitteleuropas zu singen begann. KVELERTAK hingegen mögen soundtechnisch von Album zu Album ebenfalls melodischer geworden sein, die Single „1985“ deutete bereits an, dass diese Entwicklung auch auf „Nattesferd“ fortgeführt werden würde, auch 2016 gilt aber: man kreischt norwegisch.

„Nattesferd“ ist das erste Album, das KVELERTAK in der Heimat eingespielt haben, genauer gesagt in Oslo. Glaubt man Fronter Erlend Hjelvik ist es zudem das „bisher beste“ der Bandgeschichte. Ausfälle kann man sich vor dem Hintergrund einer solchen Ansage bei nur neun Songs kaum erlauben.

Ein eben solcher schien jedoch zunächst, glaubt man dem Social-Media-Feedback, für viele Fans „1985“ zu sein. Mit seinem zugegebenermaßen mutigen Ansatz, ein wenig innovatives 80er-Blues-Rock-Riff auf über sechs Minuten auszudehnen steht der Track auf „Nattesferd“ allerdings auch ziemlich allein. Exemplarisch ist allenfalls der Hang zum ausgedehnten Riffing. „Nattesferd“ ist nämlich nicht nur KVELERTAKs melodischstes Album bis dato, sondern auf seine Art auch fast ausufernd und mit Abstrichen „progressiv“.

Wie man diesen neu zugestandenen Spielraum auch effektiver und innovativer nutzen kann, zeigt schon der Opener „Dendrofil for Iggdrasil“: Ein melodisches Gitarrenthema mit Ohrwurmpotential, die Dynamik fördernde Instrumentalpassagen, Tempo, Rock ’n‘ Roll – sofort ist man drin im KVELERTAK-Kosmos, der in dieser Form einwandfrei auch auf fünf und mehr Minuten Songlänge funktioniert. Nach „1985“, das den Wind wie angesprochen ziemlich aus den Segeln nimmt, exerzieren KVELERTAK mit dem Titeltrack eine Lektion in Sachen Schweden-Rock ’n‘ Roll durch, irgendwo zwischen HELLACOPTERS und BLACK KEYS auf Speed, und wieder mit ordentlich Zeit. Bis Hjelvik mit dem Gesang einsetzt, vergehen fast zwei Minuten.

Das folgende „Svartmesse“ hätte wohl von allen Songs auf „Nattesferd“ wohl noch am ehesten auf eines der beiden Vorgängeralben gepasst. Der solide stampfende AC/DC-Black-Metal bietet auf Album Nummer drei allerdings auch nicht mehr wirklich viel Neues. „Bronsegud“ kommt noch schneller zum Punkt und wurzelt im Hardcore wie kein anderer Track auf „Nattesferd“. Mit jeder Menge Live-Potential versehen lockert die Nummer im Albumkontext ganz angenehm auf.

„Ondskapens Galakse“ ist eine episch-melodische Hard-Rock-Nummer, die man auf Grundlage der ultraeingängigen Melodieführung und der dauerhaft unterfütternden Akustik-Gitarren ohne den Schreigesang fast schon als kitschig bezeichnen könnte. Das anschließende „Berserkr“ macht seinem wohl international verständlichen Namen dank Blast Beats und aggressivem IRON-MAIDEN-Vibe alle Ehre. Aber auch hier kommt, dezent und dennoch unverkennbar, die Akustik-Gitarre zum Einsatz.

KVELERTAK beschließen „Nattesferd“ mit dem neunminütigen Halb-Instrumental „Heksebrann“ und dem doomigen „Nekrodamus“ und machen unmissverständlich klar, dass der hochenergetische Party-Black ’n‘ Roll des Debüts längst nur noch eine Facette des Bandsounds ist. So ausgiebig und eindeutig wie auf ihrem dritten Langspieler hat sich die Band bisher nicht bei BLUE ÖYSTER CULT und Konsorten bedient. Im Detail schlägt sich diese Entwicklung auf „Nattesferd“ sowohl in belanglosen („1985“) als auch in richtig guten Momenten („Heksebrann“) nieder. Ohne ihre immer noch weit überdurchschnittlichen Songwriting-Fähigkeiten würden KVELERTAK, denkt man sich den Schreigesang weg und eine GRAVEYARD-Röhre hinzu, auf ihrem aktuellsten Werk des Öfteren gefährlich nahe am globalen Retro-Rock-Durchschnitt vorbeischrammen. Die hier vollzogene Soundöffnung bietet viele spannende Möglichkeiten, aber auch Gefahren.

12.05.2016
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