Leprous - Aphelion

Review

Eigentlich wollten LEPROUS mit ihrem breit diskutierten Pop-Türöffner „Pitfalls“ ausführlichst touren und auch die Herzen der Zweifelnden durch beeindruckende musikalische Klasse und perfekte Live-Shows bekehren. Eigentlich. Stattdessen hatten die Norweger, wie so viele Bands, während der Pandemie unverhofft viel Zeit, neue Ideen zu sammeln und Songskizzen zu erarbeiten. Aus ein paar Einfällen wurden EP-Pläne, kurz darauf verworfen zugunsten des Langformats. Und so dürfen wir uns weniger als zwei Jahre nach „Pitfalls“ über ein neues LEPROUS-Album mit dem Titel „Aphelion“ freuen. Und Grund zur Freude bietet Album Nummer sieben mehr als genug.

Ein Song-Album, aufgenommen in drei Studios

„Aphelion“  bezeichnet den Punkt in der Umlaufbahn eines Weltraum-Objektes, an dem es sich am weitesten von der Sonne entfernt und ist damit natürlich eine ideale Metapher für den Kampf mit den psychischen Dämonen, den Sänger und Haupt-Songwriter Einar Solberg bereits auf „Pitfalls“ ausführlich künstlerisch verarbeitete und der auch diesmal wieder großen textlichen Raum einnimmt. Doch auch die Pandemie und die Erkenntnis, dass sich auch am finsterstes Punkt Wege auftun, stellt für Solberg eine Bedeutungsebene dar, aus der sich durchaus Hoffnung schöpfen lässt.

Laut Solberg war der Entstehungsprozess von „Aphelion“ ein eher zerfahrener: Das Album entstand Song für Song, Parts wurden angefügt und ausgetauscht, aufgenommen wurde in nicht weniger als drei Studios. Die Band spricht daher von einem Song-Album, weniger konzeptionell ausgerichtet als der Vorgänger.

„Aphelion“ ist insofern ein „Song-Album“, als dass es fast ausschließlich phantastische Songs enthält, die auch für sich alleine stehen können. Die zweite gute Nachricht: Das Album wirkt trotzdem nicht wie Flickenwerk, sondern ist eine eindrucksvolle Reise durch das gesamte LEPROUS-Spektrum, die „Pitfalls“ in allen Punkten übertrifft.

„Aphelion“ ist das beste Album, das LEPROUS zum jetzigen Zeitpunkt in ihrer Entwicklung machen konnten

Das liegt vor allem daran, dass Solbergs herausragende, aber bisweilen auch herausfordernde Stimme wieder mehr Kontrastpunkte zur Seite gestellt bekommt. Das zeigt sich schon im spektakulären, durchaus an aktuelle OPETH erinnernden Opener „Running Low“ und zieht sich durch das gesamte Album, bis der Rausschmeißer „Nighttime Disguise“ zuletzt ein so lange nicht gehörtes Ausrufezeichen in Sachen Härte, Dynamik und ergreifendem Bombast setzt.

„Aphelion“ ist dabei aber keineswegs Old-School-Fan-Service für die Fraktion „mehr Gitarren, mehr krumme Takte“. Nach wie vor spielt das Klavier eine tragende Rolle, wird Solbergs Stimme oftmals lediglich minimalistisch gerahmt – durch plätschernde Tastentöne, Streicher, Bläser oder wummernde Synthies („Have You Ever?“). „The Shadow Side“ ist über weite Strecken ein schwülstiger, aber wunderschöner Pop-Song, „Castaway Angels“ eine Akustik-Ballade.

Aber irgendwie passt auch in den Pop-Momenten diesmal alles. Die Kompositionen wirken vielschichtiger, ohne dass sich einzelne Instrumente aufdrängen würden. Ganz zum Ende ziehen LEPROUS dann alle ihre zahlreichen Register auf einmal und gerade das macht „Nighttime Disguise“ nach dem zarten „Castaway Angels“ zu dem urgewaltigen Meisterwerk, das es ist. Unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte haben LEPROUS auf „Aphelion“ ihr Äquilibrium gefunden und das beste Album gemacht, dass sie zum jetzigen Zeitpunkt in ihrer Entwicklung als Band hätten machen können.

20.08.2021
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