Menhir - Hildebrandslied

Review

Manche Bands haben wirklich Nerven. Sechs Jahre für ein Album. Sechs Jahre für ein Album von 42 Minuten Spielzeit. Und: sechs Jahre Wartezeit, endlose Studioaufenthalte, keine Information, und auf einmal ist das Teil erhältlich – keine Promo, keine Infos, keine MP3s. Dillentantismus oder Offlinemarketing ganz im Sinne der Naturverbundenheit? Keine Ahnung, hören wir mal rein.

„Das alte Lied des Windes“, kitschiger Titel wie eh und je. Der Song stammt unverkennbar von MENHIR – fiedelige Leadgitarren, melodisches Pagan-Metal-Riff, zukleisternde Streicherkeyboards, überlauter, fast chorartiger Cleangesang Heiko Gerulls, der offenbar fleißig geübt hat. Im weiteren Verlauf des Stücks begegnen uns scheinbar endlose Sologitarren, die über die Spannbreite einer Oktave allerdings kaum hinauskommen und nach über zwei Minuten am Stück auch schlicht nerven. Standardkost.
Dann „Des Kriegers Gesicht (Ulfhednar)“, was mag das für eine Visage sein? Prinzipiell dasselbe Profil wie eben gerade noch – der Drumbeat ist der gleiche, das Gitarrenmuster ist das gleiche, der Gesang… tatsächlich, fast kein Unterschied. Die langsamsten Parts des Stückes erinnern ein wenig an die stampfenden FALKENBACH-Passagen, auch wegen der permanenten und penetranten Streichteppiche. Hier ist auch das erste Mal – übrigens ganz selten auf der Platte – keifender Gesang zu hören. Der ist mittlerweile so eierlos, dass MENHIR in der Tat gut daran tun, sich auf die cleane Version zu beschränken.

Und jetzt, was ist das? Falsche Songreihenfolge? Nein, das „Intro“ ist diesmal wirklich Track drei und leitet das Titelstück ein, das schon vor Jahren großspurig als „Vertonung des altehrwürdigen Hildebrandsliedes“ angekündigt war. Abgesehen davon, dass das Lied absolut eintönig, aber immerhin nett schwelgerisch klingt und absolut KEINEN Höhepunkt oder gar einen am Text orientierten Spannungsbogen hat, kommt die Umsetzung des althochdeutschen Textes einer totalen Katastrophe gleich.
Natürlich kann nicht jeder studierter Altgermanist sein, aber diesen Text, der so voller Kraft und sprachlicher Schönheit ist, gnadenlos in den stumpf heidenmetallischen Rhythmus des Songs zu pressen, das ist nichts weiter als die Vergewaltigung eines Sprachdenkmals. Es wird ja so gerne davon gesprochen, wie viel Ahnung MENHIR von den Inhalten ihrer Musik haben, als Initiatoren einer Reenactmentgruppe und dergleichen – der völlig am Satzrhythmus vorbeischrammende Gesangsvortrag, der weder vor Interpunktion noch vor Silben oder Sinnabsätzen Respekt hat, spricht da allerdings eine ganz andere Sprache. Da werden Wiederholungen mitten im Satz eingebaut, die überhaupt keinen mitten im Satz eingebaut, die überhaupt keinen Sinn haben (seht Ihr…), Schlachtensamples mitten in friedlichen Dialogen eingesetzt (schon schlecht, wenn man nicht weiß wann der Kampf losgeht…) und die gesamte Aussprache verhunzt, dass sich meinem Mediävistik-Prof die Zehennägel von hinten aufrollen würden. Es handelt sich, zur Erinnerung, um ein DEUTSCHES Textdokument, nicht um Italienisch, Englisch oder irgendeine wunderbar kitschige und heidnische Fantasiesprache. Althochdeutsch ist dem heutigen „Plattdeutsch“ in der Aussprache recht nahe, Heiko intoniert allerdings einen unverständlichen Wortwust, der eher an Esperanto erinnert denn an eine alte deutsche Sprachstufe. Kurzum: MENHIRs „Hildebrandslied“-Version ist sogar noch um Welten schlechter als die unfassbar lachhafte IN EXTREMO-Interpretation der Merseburger Zaubersprüche. Das Schlimmste ist, dass die heidnischen Horden, die ja oft genug schon mit modernem Standarddeutsch Schwierigkeiten haben, das Lied trotzdem wie bescheuert abfeiern werden (geschieht aktuell auch schon, wenn man sich diverse Foren und Gästebücher durchschaut). Da ist von „klasse altertümlichem Text“ die Rede, ich lache mich tot. Was solls, historische Korrektheit hat noch niemanden in diesem Genre gekümmert, warum sollte das jetzt anders sein. Schade und peinlich und ich fürchte, typisch für Deutschland.

Immerhin ist die Musik auf „Hildebrandslied“ nicht schlechter als auf allen anderen MENHIR-Alben, die verstärkt verwendeten Akustikpassagen sind sogar angenehm und erinnern an „Buchonia“, nur in weit besserer Klangqualität. Die Produktion ist übrigens, bis auf die viel zu leisen und dumpfen Rhythmusgitarren, hörbar und vor allem in den Midtempopassagen druckvoll. Für das schwarzmetallisch beeinflusste „Dein Ahn“ gilt das allerdings nicht, hier gehen alle Instrumente in einem seltsamen Soundbrei unterhalb des Kreischgesangs und des peinlichen Rocksolos unter. Dazu ein nochmals wundervoller Text, der sich (mein Lieblingsthema!) mit dem gar wunderbar naturverbundenen Leben der Altvorderen beschäftigt, das voller Brotbacken, Blockhäuser, Mühlsteine, Saaten und Kinderwiegen gewesen ist. Wunderschön! Spektakulärer Blödsinn, wenn Ihr mich fragt, der aber natürlich voll in die Kerbe der naiven Pagan-Metal-Vorstellungen der Szene schlägt. Das Album schließt mit „Weit in die Ferne“, das mit den altbekannten Doublebasspassagen, Streichern und epischen Melodien „bezaubert“. Nichts, das man nicht schon oft genug gehört hätte, auf diesem Album, auf anderen MENHIR-Alben und bei anderen Bands.

Ich glaube, dass an MENHIR in den letzten Jahren einiges vorübergegangen ist. Sechs Jahre sind eine lange Zeit, in der Nachwuchskapellen wie WOLFCHANT zwei Alben veröffentlicht haben, die nicht viel schlechter sind als „Hildebrandslied“, und in der andere Bands ihren Stil weiterentwickelt haben. Von Entwicklung ist bei MENHIR aber, bis auf den Gesang, nicht viel zu merken: immer derselbe Stiefel mit Doublebasspassage, Strophe, Leadgitarre, Strophe, Leadgitarre, Doublebasspassage usw. Genau das ist es aber sicherlich, was die ohnehin vollkommen rückwärtsgewandte Pagan-Metal-Szene so liebt. Mich kotzt dieses ganze unreflektierte Abfeiern enorm an, und die Platte langweilt und nervt mich zu Tode. Für alle Fans dieser Musik heißt das also: KAUFEN! Kommt außerdem in einem schicken A5-Buch, das noch besser als sonst vom Inhalt ablenkt.

18.05.2007
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