Metallica - ...And Justice For All (Remastered)

Review

Wie kann man eine Gruppe junger (oder alter) enthusiastischer Metalheads stundenlang beschäftigen? Man wirft ein schüchternes „Welches Album ist eigentlich das Beste von METALLICA?“ in den Raum und verlässt diesen leise, still und heimlich. Auch nach Stunden wird noch für gute Unterhaltung gesorgt sein.

Sicherlich ist es so, dass METALLICA über einen eher überschaubaren Rahmen echter Klassikeralben blicken können. Aus ideologischen Gründen kommen hier ohnehin nur die ersten vier Alben in Betracht. Attention: wir reden jetzt von wirklich stilprägenden Alben und nicht ganz guten Veröffentlichungen wie „Hardwired… to Self-Destruct“ (2016).

Denn ja, „Kill ‚Em All“ (1983) ist noch zu sehr Frühwerk, „Ride The Lightning“ (1984) ist transitorisch und „Master Of Puppets“ (1986) als Opus Magnum am Ende doch etwas zu konventionell. Da erscheint „…And Justice For All“ fast schon als versteckter Diamant. Ausgefeilt, progressiv, melodisch und natürlich auch politisch und stark in der Aussage. Hat James Hetfield jemals auf einer Platte wieder so gut geklungen? War die Gitarrenarbeit, trotz aller Komplexität, jemals schneidender als hier? Hat man den Bass…okay, das ist eine andere Geschichte, auf die wir später noch zu sprechen kommen.

Es ist also mal wieder Zeit sich mit „…And Justice For All“ zu beschäftigen. Was könnte da ein schönerer Anlass sein, als das dreißigjährige Jubiläum des Erscheinens der Scheibe und eine umfassende Wiederveröffentlichung als Remastered-Edition seitens Blackened Recordings, dem METALLICA-Label. Besonderes Augenmerk soll dabei auf die umfassende Deluxe-Edition gelegt werden.

Das Herzstück – die Remastered-Edition 2018

Schon fünfzehn Jahre vor „St. Anger“ (2003) sorgte die Produktion von „…And Justice For All“ für kontroverse Diskussionen. Das Zitat zur „Produktion in der Streichholzschachtel“ war für den Autoren nicht mehr zurückzuverfolgen, trifft die Sache allerdings auf den Punkt. Dies soll an dieser Stelle keinesfalls allzu negativ klingen. Denn dadurch hat das Album, welches übrigens noch vollkommen analog aufgenommen wurde, eine wunderbar reduzierte Kompaktkeit, eine regelrechte Greifbarkeit, wie sie auf keinem anderen METALLICA-Album je wieder zu hören gewesen wäre.

Bei aller Liebe zur Produktion dieses absoluten Klassikers, welche ihre Daseinsberechtigung zweifelsohne besitzt, die Remastered-Edition hat viele hör- und spürbaren Vorteile, welche trotz Nostalgiebrille nicht beiseite geschoben werden können. Die Drums sind deutlich wuchtiger abgemischt worden, klingen dichter, was insbesondere bei den Tom-Läufen ersichtlich wird. Insgesamt klingt das Album weniger nach Schachtel und damit wärmer und mehr nach druckvollen modernen Produktionen.

Ist diese Version daher die bessere Variante von „…And Justice For All“? Vielleicht. Sie ist jedenfalls anders: moderner, wuchtiger, wärmer und weniger statisch. Die Geschichte um den Bass-Sound von Jason Newsted ist mittlerweile Musikgeschichte geworden und zum Unmut vieler Fans hebt die Remastered-Edition dieses Verbrechen an allen Dicksaitern weiterhin nicht auf. Aber mal ehrlich, dann wäre die Platte weniger Remaster und mehr Remix gewesen, oder?

Ach ja, und dann noch das Beste an „…And Justice For All“. Auf dem Album sind Songs. Und was für welche. Stücke für die Ewigkeit, unerreicht und nicht replizierbar. Alle Volltreffer aufzuzählen wäre die bloße Wiedergabe der Playlist. Besonders hervorzuheben sind dennoch „Blackened“, der Titeltrack, „One“ und natürlich „Harvester Of Sorrow“. Man müsste jedoch naiv sein, wenn man die Wichtigkeit eines Songs wie „Dyers Eve“ schmälern würde.

Erfahrt alles zum Deluxe-Box-Set auf der nächsten Seite.

Ein ganzes Pfund METALLICA – das Deluxe-Box-Set

Der Umfang dieses Box-Sets ist im ersten Augenblick erstmal überwältigend. Neben dem neu abgemischtem Album auf zwei 180-Gramm-Vinyl-Pressungen, einer One-Picture-Disc mit klassischem METALLICA-Artwork, wird auf drei Platten ein Gig aus dem Jahre 1989 in Seattle geliefert. Der Einfluss dieses Gigs auf die Grunge-Szene, Stichwort Distinktion, ist nicht überliefert. Dazu kommen elf CDs, welche wiederum das neu abgemischte Album, Interviews, Riffs, Jams und Demos, Rough Mixes und nochmal einen Haufen Live-Mitschnitte enthalten. Den musikalischen Abschluss bilden vier DVDs mit Live-Mitschnitten, Interviews und Camcorder-Backstage-Quatsch mit Lars.

Dazu gibt es noch reichlich nicht Hörbares: vier Patches, ein Kunstdruck, ein Backstagepass, kunstvolle Lyric-Sheets und ein umfassendes Booklet.

Insbesondere der Wert des sogenannten Booklets, welches eigentlich ein Buch ist, soll an dieser Stelle hervorgehoben werden. Alle wichtigen Zeitzeugen und helfenden Hände beim Entstehen des Albums kommen zu Wort. Angefangen von den Mischern, dem gefeuerten Producer Mike Clink über Grafikdesigner und Videoproduzenten. Dabei erfährt man eine Menge über den Prozess einer professionellen (Metal-)Aufnahme in den Späten Achtziger Jahren und auch über METALLICA als Band, welche sich zum diesem Zeitpunkt schon in einem Transformationsprozess befand, was beispielsweise an der charmanten Smoothie-Anekdote von Stephen Gorman deutlich wird:

„Instead, when the guarded door swung wide, I was amazed at the well-oiled professional demeanor they had. No degenerate scene to greet me…mugs of herbal tea, everybody in sauna robes, bowls of fresh fruit, with a „Hey, Steve, can we get you a smoothie?“ Their attitude was changing, moving to the next level, and I was in at the beginning of that.“

Zusätzlich enthält das Booklet massenweise (zum Teil unveröffentlichte) Bilder, Dokumente, Zeitschriftenausschnitte und vieles mehr. Man erfährt auch Nebensächliches, wie das beispielsweise die  Justitia auf dem Cover nach einem Vorbild vor dem Gerichtsgebäude in Frankfurt am Main (mit mehr Brust!) gestaltet wurde. Dieses „Booklet“ ist kein unwichtiges Nebenprodukt, sondern eine spannende und wichtige Dokumentation zu einem essentiellen Album der Heavy-Metal-Geschichte.

Auch die schwere 180-Gramm-Variante des Albums auf Vinyl (hergestellt im METALLICA-Presswerk!) zeigt die hochwertige Ausstattung der Box. Ob man nun das gesamte Bonusmaterial, welches überwiegend aus Live-Konzerten und Demoaufnahmen besteht, unbedingt im Schrank stehen haben muss, hängt vom Grad der Hingabe zu METALLICA ab. Aufgrund der hochwertigen Ausführung bekommen Die-Hard-Fans jedenfalls eine Die-Hard-Bedienung. Die Aufnahmequalität der meisten Live-Aufnahmen geht tatsächlich sogar in Ordnung, etwas störend ist die oftmals sehr hohe Geschwindigkeit der Songs, was Kirk Hammett im Unboxing-Video sogar unumwunden zugibt. Lars, hast du dein Metronom mal wieder im Tourbus liegen gelassen?

Wer nicht in die umfassende Box investieren möchte, kann allerdings auch auf anderen Wege an die Remastered-Edition des Albums kommen. In den physischen Versionen wird es eine Vinyl-Variante, eine Standard-CD, eine erweiterte Fassung mit drei CDs und eine Kassette (!) geben. Zudem werden digitale Download- und Streamangebote verfügbar sein. Eine Download-Karte ist im Übrigen auch den Deluxe-Boxen beigefügt.

Ein Überblick über das Deluxe-Box-Set

Welches Album von METALLICA ist das Beste? Erfahrt es auf der nächsten Seite.

Der Schwanengesang einer Bands namens METALLICA

Tja, wer hätte das gedacht. „…And Justice For All“ sollte das letzte METALLICA-Album werden, welches sich naht- und ösenlos als Klassiker des Heavy Metals bezeichnen lassen darf. Danach folgten hervorragende Alben an der Grenze des Rocks (Schwarzes Album, Load, Hardwired) und Verbrechen am Metal (danke, Deaf Forever), welche keiner besonderen Nennung und Erwähnung bedürfen und bis heute ungesühnt sind.

All dies schmälert in keinster Weise die überragende Qualität und den bis heute unangetasteten Stellenwert des Albums „…And Justice For All“. In Zeiten der nicht vollständigen Verfügbarkeit von Musik war das Video zu „One“ sicherlich für viele Musiker und Fans ein Erweckungserlebnis ohne Gegenbeispiel. Danke, METALLICA. Auch für euer bestes Album „…And Justice For All“.

05.11.2018

Stellv. Chefredakteur

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