Odroerir - Lasst Euch Sagen Aus Alten Tagen...

Review

Mittelalter… Bei dem Begriff denkt der vorbelastete Kuttenträger wohl zunächst an hupende Schalmeien, an grinsefest umherdudelnde Faxenmacher, an rapunzelhaarige Bühnen-Kriemhilden, welche eigentlich allezeit zum singen oder zum fiedeln verflucht sind; dem historisch weniger Sattelfesten kommt vielleicht noch ein prügelnder Gallier in den Sinn. Und natürlich: der heidnisch-orthodoxe Freigeist wird spätestens an dieser Stelle das Stichwort „germanische Mythologie“ einwerfen. Nach dem Genuss von „Lasst Euch sagen aus alten Tagen…“ jedoch muss man seinen Assoziations-Fundus in diesem Zusammenhang um Vokabeln wie „Thüringen“, „Menosgada“ oder „Staffelberg“ eilends erweitern. Denn obschon auch die erstgenannte Beikost auf dieser Debüt-CD mehr oder weniger Anwendung findet, liegt der Schwerpunkt dieser Interpretation von Mittelaltermusik erfrischend abseits jener mittlerweile stark frequentierten Pfade, die einst von Bands wie In Extremo oder Subway To Sally angelegt wurden. Dies mag nicht zuletzt Verdienst einer, im Gegensatz zur Konkurrenz, hier chronologisch etwas früher gelagerten Konzeptbasis sein, die streng genommen auch die Berechtigung der Definition „Mittelaltermusik“ hier in Frage stellt: Die fünf Thüringer huldigen auf ihrem Debüt lyrisch ihrer Herkunft und ihren Vorfahren zu Zeiten des großen germanischen Völkertums, also noch gute 1200 Jahre vor Inquisition und Daumenschrauben. Im Laufe von acht Titeln bringt mal ein grimmiger Krieger in Erzählerform Kunde von alten Tagen, an anderer Stelle bekommt man aus feurig aggressivem Drachenschlund wilde Schlachten zwischen Chatten und Hermunduren geschildert. Meistenteils jedoch weichen diese Sangesformen den leidlich pathetischen männlichen Cleanvocals, die zwar stellenweise eine heiße Kartoffel im Rachen des Protagonisten argwöhnen lassen, aber im Allgemeinen sehr charakteristisch und eigenständig dem Gesamtbild Wiedererkennungswert verleihen. Hin und wieder sorgen auch einige vokale Intonationsschwächen für Verunreinigung, aber gerade die vielseitigen Chorvarianten und der unaufdringliche weibliche Beistand am Mikro lassen an der Seriosität des Produktes wenig Zweifel. Neben fegenden, jedoch stets euphonischen Gitarrenstürmen halten immer wieder wunderschöne akkustische Lagerfeuer-Passagen („Brudermord“, „Dolmar“) Einzug in das Geschehen, in welche sich die darstellende Dramatik des Chorals vortrefflich einwindet. Wie eingangs im (nach heutigen Hörgewohnheiten) gnadenlos schrägen Schalmeien-Irrsinn „Präludium“ schon einmal angedeutet, lebt man schließlich in „Zur Taverne“ auch den metseligen medivalen Frohsinn trefflich aus. – Wer über einige musikalische Unausgewogenheiten unverkrampft hinweg sehen kann, den vermag dieser fundierte und emotional intensive Einblick in die Thüringer Vorvergangenheit in den Bann prämedivaler Sagenhaftigkeit zu ziehen. (Link)

23.03.2002
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