Pain of Salvation - Scarsick

Review

Lange habe ich gewartet, um endlich das neue Album von den schwedischen Prog-Göttern PAIN OF SALVATION hören zu dürfen. Nach dem, wie ich finde, famosen „BE“-Longplayer waren die Erwartungen vergleichsweise riesig. Was würde die Band um den Ausnahme-Sänger Daniel Gildenlöw wohl veröffentlichen? Gut, nun weiß ich es…

Die CD lief bei mir in Dauer-Rotation. Wieder und wieder ließ ich das als Konzept entwickelte Album durch meine Gehörgänge rauschen. Unzählbare Male lief die Filter-Gitarre des Openers durch meine Boxen. Immer wieder ein neuer Versuch. Warum Versuch? Nach dem ersten Durchlauf war ich unglaublich enttäuscht und konnte einfach nicht glauben, dass eine meiner Lieblingsbands, wenn nicht DIE Lieblingsband, solch einen Weg eingeschlagen hat. Ich habe keinen stilistischen „BE“-Nachfolger erwartet, das wäre auch zu billig bei einer Band wie POS, jedoch deutlich mehr Tiefe und musikalischen Anspruch, dem sie sich mit jeder neuen Scheibe hingegeben hatten. Dies gilt sowohl für die Musik, als auch für die Lyrics. Die intimsten und herzerweichendsten Texte von „Remedy Lane“ sind Vergangenheit und wurden durch die dauernde Wiederholung des ach so aggressiven Wortes „Fuck“ ersetzt. Dass Herr Gildenlöw, wie viele andere Europäer auch, schon immer in anti-amerikanischen Tendenzen verhangen war, ist mir bewusst. Spätestens seit seinem (wenn auch konsequenten) Ausstieg bei den FLOWER KINGS, als er für eine US-Tour um seinen Fingerabdruck gebeten wurde, war klar, dass er von den USA nicht viel hält. Dass er allerdings ein ganzes Album mit Antiamerikanismus füllen würde, war nicht absehbar. Diese ganzen Aversionen, vorgetragen mal als Rap, mal als Shouts und mal als ironische Flüstereien, treffen auf halbfertige Pop-Rock-Songs. Zu sehr ins textliche Detail möchte ich nicht gehen, da sich nur beim Hören nicht alle Passagen erschließen. Ich bin auf das komplette Booklet gespannt. Es stellt sich mir die Frage, ob die Texte der Musik im Nachhinein ein höheres Aggressionslevel verleihen sollten, oder die
Musik bewusst so kommerziell-belanglos einen ironischen Gegenpart bilden sollte. Was aber sollen die Fans bei den Konzerten machen? Feuerzeuge schwenken und gleichzeitig Anti-Globalisierungs-Transparente hochhalten? Mit Extasy im Kopf zu „Disco Queen“ abtanzen oder mit dem Fan nebenan schunkeln? Ich kann die skeptischen Kopfschüttler jedenfalls verstehen.

Die besseren Songs, bzw. deren Parts sind recht schnell aufgezählt. Der Opener und Titeltrack ist durchaus hörbar und hat mit seinem scharfen Anfangsriff Potential, auch wenn der Gesangseinsatz zuerst einmal überraschend kommt. Gildenlöw stellt gleich am Anfang der Platte klar, dass er den Sprechgesang als Stilmittel für die härtere Gangart liebgewonnen hat. Im Refrain, falls es denn der Refrain sein soll, wird das Arrangement soft und „tralalesk“. Ein stilistisches Merkmal, welches noch öfter bei der CD auffällt. Spätestens am Ende des Songs aber leiert eben dieser und man wünscht den nächsten und hoffentlich besseren herbei. Bei „Spitfall“ steht der Rap sogar noch zentraler im Mittelpunkt, da ohne Intro gleich losgelegt wird. Die Steigerung von Drum & Bass und Syntie-Elementen in der Strophe führt über eine – zugegeben wunderschöne – Cleanbridge in den Spitfall-Refrain. Gesanglich klingt der komplette Song nach einer Anklage, einem Verzweifelten Vorwurf. Musikalisch klingt er nach einer Mischung aus Nu-Metal und typischen POS-Elementen.
„Cribcaged“ beginnt dann endlich einmal mit normalem Gesang. Leider glaube ich das Strophenthema schon tausende Male gehört zu haben. Die Piano-Vocal-Unisono Linie erinnert mich an KINO und auch im kommerziellen Airplay begegnet man diesen Wendungen fast täglich. Nichtsdestotrotz, man freut sich zu hören, wie Daniel seine unbestritten schöne und variable Stimme zum Einsatz kommen und mein Frauenherz dahinschmelzen lässt. Ein passabler Schmuse-Poptrack mit dem häufigstem „Fuck the…“-Einsatz. EMINEM ist dagegen ein Softie. Oder weiß er seine Emotionen einfach besser zu artikulieren?
„America“ ist ein Rocker, der gut abgeht. Er ist freaky arrangiert, der Mittelteil des Liedes erinnert mich allerdings irgendwie an ein Thema des Musicals „West Side Story“. Bei einer genialen Band wie POS dürfte das kein Zufall sein. Ob der Track mir aber gefällt, weiß ich nicht so recht.
Bei „Disco Queen“ bin ich mir da sicher. Diese Dance-Verarsche gefällt mir definitiv nicht. Die Hookline im Refrain nervt mit synthetischen Bässen, welche ich mit dem Untergang der Techno/Rave-Welle in den Neunzigern für immer besiegt geglaubt hatte. Ich kann mir vorstellen, dass diese Nummer auf einer Party für Stimmung sorgen kann, aber als ironische Meisterleistung kann ich sie nicht ernst nehmen.
„Kingdom Of Loss“ knüpft am ehesten an die früheren Werke der Schweden an. Schöne Gesangslinien, unterstützt durch Unisono Linien der Gitarren und der Keyboards, gehen unter die Haut. Erstmals stellt sich ein wirkliches Gefühl der Tiefe ein. Der Track wird durch einen weiteren guten abgelöst. Ein cooles und im positiven Sinne vertracktes Riff bildet das Hauptthema. Die Vocals variieren interessant und zeigen, dass mehr geht. Das Riffing des nächsten Liedes klingt wie eine Variation des eben genannten. Sowieso habe ich den Eindruck, dass, wenn denn einmal echte Gitarrenriffs vorhanden sind, diese immer ein ähnliches Grundfeeling haben.
Besonders bei „Idiocracy“ wäre ein Booklet hilfreich, da der Songtitel vielversprechend daherkommt. Die Macht der Idiotie. Was wohl Herr Gildenlöw damit meint?
Nun gut, mit dem vorletzten Song „Flame To The Moth“ kann die mittlerweile zum Quartett geschrumpfte Gruppe die Energie, die im letzten Teil der CD aufgebaut wurde, halten. Sehr variabel spielen sie sich durch unterschiedliche Klangebenen und der Sänger weiß mit ausgefallenen Vocals zu begeistern.
Der End-Track „Enter Rain“ blieb mir schon nach dem ersten Hördurchgang länger im Ohr hängen. Der Refrain hat durchaus Power und strahlt viel Gefühl aus. Desweiteren wären die gelungenen Variationen zu erwähnen. Ohne Gesang wäre der Song aber auch nur Durchschnitt, was ich allerdings auf das ganze Album beziehen könnte. Eventuell wäre das gesamte Album ohne die Leistungen des Frontmannes sogar nur unterdurchschnittlich zu bewerten.

Bei PAIN OF SALVATIONs vorherigen Alben gab es mit jedem Hördurchgang Neues zu entdecken. Tiefere Ebenen, die sich erst nach einiger Zeit offenbarten. Diese Liebe zum Songwriting und Arrangement vermisse ich leider auf „Scarsick“. Das Album wächst nicht. Es steigert sich nur der Nervfaktor und auch die Enttäuschung über eine nicht den hohen Erwartungen entsprechenden Platte. Sicherlich kann man es sich trotzdem schönhören, aber schönhören kann man sich alles. Einem Newcomer würde man diese Kritikpunkte vielleicht noch verzeihen, bei einer Überband wie POS kann ich aber nur von einem künstlerischen Schritt zurück sprechen. Es ist fraglich, warum sie diesen Weg gegangen sind, genau zu diesem Zeitpunkt, zu welchem sie sich als Europas Sperrspitze des Progressive-Rocks hätten etablieren können. Fragen, die hoffentlich mein kommendes Interview mit Daniel beantworten kann…

30.01.2007
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