Panzerballett - Übercode Œuvre
Review
Seit das Münchner PANZERBALLETT anno 2005 seine selbstbetitlte Uraufführung feierte, schien es das erklärte Ziel des Maestros Jan Zehrfeld zu sein, die Grenzen seiner Kompositionen immer weiter auszuloten. War die Formation eine Zeit lang mehr durch ihre „Verkrassungen“ von Pop-, Klassik-, Jazz- und anderen Standards durch die Äther der Feuilletons gegeistert, d. h. die Verwurstung bekannter Stücke in progressiven, polyrhythmischen und polyphonen Jazz-Metal mit Besetzung bestehend aus Gitarren, Bass, Saxofon und Schlagzeug, so schienen die Ambitionen von Zehrfeld im Laufe der Zeit immer größer zu werden, hin zum Punkt, dass seine Adaptionen, aber auch die von ihm oder seinem Umfeld stammendenden Originalkompositionen zu regelrechten Studienobjekten werden sollten.
Die Münchner Jazz-Metal-Entität schlägt endlich wieder zu!
Und doch, trotz der Hirn zermarternden Natur der Musik hierhinter, bereitet das Durchdringen der Materie von PANZERBALLETT jedes Mal aufs neue eine echte Katharsis, entweder aufgrund der schieren Herausforderung oder weil Zehrfeld es einfach schafft, seine Kompositionen trotz allem hinreichend zugänglich zu halten. Und gerade letzteres ist ein echter Drahtseilakt angesichts der zum Teil wahnwitzigen Komplexität und Verschachtelung des Dargebotenen. Zentrale Mittel, um dies zu erreichen, sind u. a. Zehrfelds Vorliebe für n-tupel und die diffizilen Harmoniekonstrukte, die musiktheoretisch einer klaren Logik folgen, für die man aber auf Empfängerseite auch schon ein gewisses, akademisches Interesse an der Materie zeigen muss.
Anno 2025 bekommen wir nun endlich neues Material in Form von „Übercode Œuvre“ aufgetischt, mit dem Jan Zehrfeld ähnlich wie beim Vorgänger „Planet Z“ wieder eine ganze Reihe an Session-Musiker an den Instrumenten herum rotieren ließ, auch wenn das dieses Mal nicht der zentrale Aufhänger der Promotionskampagne gewesen ist. Dennoch wechseln sich beispielsweise hinter dem Drumkit namhafte Schlagwerker wie Virgil Donati oder Marco Minnemann neben anderen ab, beides Wiederholungstäter im Gefüge dieser Jazz-Metal-Entität, während auf der Verkrassung zu „Ode an die Freude“ die Stimmen von Andromeda Anarchia (u. a. FOLTERKAMMER) und Conny Kreitmeier zu hören sind.
Dabei beginnen PANZERBALLETT ihr Album stilecht mit einer MESHUGGAH-Verkrassung …
Mit „Breaking Brain“ und „Planet Z“ wurden die Grenzen des Machbaren schon hinreichend ausgelotet. Dem steht „Übercode Œuvre“ in nichts nach, es wird teilweise richtig abgefahren, aber gleichzeitig wirkt das neue PANZERBALLETT-Album seltsamerweise auch ein bisschen zugänglicher und greifbarer. Zehrfeld, der sich einmal mehr als Meister krummer, aber irgendwie doch funkiger und markiger Rhythmen erweist, hat mit einem neuen Konvolut an Verkrassungen, Eigen- und Fremdkompositionen den Nagel auf den Kopf getroffen und vielleicht so etwas wie den Goldenen Schnitt zwischen Komplexität und Zugänglichkeit eingefangen. Und als wolle er von Beginn an klar machen, dass er es ernst meint, beginnt „Übercode Œuvre“ auch noch mit einer MESHUGGAH-Verkrassung.
Wer sich jetzt fragt, wie man deren Bandklassiker „Bleed“ noch krasser gestalten kann, der gebe sich den ikonischen, an sich recht statischen Rhythmus des Originals in stetig variierenden n-tupeln dargestellt, die die Illusion erzeugen, als würde der Song ständig verlangsamen und beschleunigen, obwohl das Tempo sich im Grunde kaum ändert. Hinzu kommt neben einer prominenteren Melodieführung noch der ikonische, musikalische Witz des Münchner Maestros in Form von Referenzen u. a. an „Mahna Mahna“ und die Wilhelm Tell-Ouvertüre und heraus kommt eine PANZERBALLETT-Verkrassung wie aus dem Bilderbuch, die den MESHUGGAH-Track plötzlich in etwas vollkommen Eigenständiges, vollkommen Anderes transformiert. Wäre mal interessant, Tomas Haakes Reaktion hierauf zu sehen.
… und geben hiernach mit einem abwechslungsreichen Programm Vollgas
Hieran schließt sich ein herausforderndes Highlight nach dem anderen an. Unter den Verkrassungen befindet sich eine großartige Prog Metal-Adaption des Gewitter-Themas des Sommer-Satzes aus Vivaldis Vier Jahreszeiten, dessen Umsetzung an die Klassik-Adaptionen von Ralf Hubert denken lässt und den bandtypischen Hang zur Funkigkeit und Jazziness selbstredend ebenfalls mitnimmt. Auch der AVERAGE WHITE BAND-Klassiker „Pick Up The Pieces“ wurde einmal kräftig durch den Zehrfunk-Wolf gedreht und wäre als solcher möglicherweise auch auf „Tank Goodness“ gut aufgehoben gewesen. Richtig eklektisch und abgefahren präsentiert sich das PANZERBALLETT dann aber bei der Verkrassung von Beethovens „Ode an die Freude“, die Zehrfeld teilweise komplett auf links gedreht hat und so fast in Richtung IGORRR-Weirdness vorstoßen lässt.
Daneben stehen die originaleren Stücke, beispielsweise „Seven Steps To Hell“, eine von Nélida Béjar komponierte, hypernervöse Studie in Septupeln, die trotz ihres rhythmischen Fokus‘ auf die Zahl 7 erstaunlicherweise unfassbar gut in Mark und Bein geht. „Andromeda“ dagegen ist wahrscheinlich das nächstbeste, was Jan Zehrfeld als Love Song komponiert bekommt. Die Komplexität ist natürlich nach wie vor gegeben aber tatsächlich offenbart sich „Andromeda“ als geradezu uncharakteristisch harmonisch und zugänglich, weshalb dieser Track praktisch auch den oben erwähnten, Goldenen Schnitt zwischen Zugänglichkeit und Komplexität bestens repräsentiert.
Im Vorfeld gab es sogar Lob von niemand geringerem als Steve Vai
Und dann sind da noch zwei weitere, interessante und etwas „ältere“ Stücke in Form von „Alien Hip Hop“ und „The Devil’s Staircase“. Erstgenanntes ist eine ältere Komposition, die von Virgil Donati stammt und hier auf „Übercode Œuvre“ in ihrer mittlerweile fünften Version vertreten ist. Es handelt sich hier um eine wilde Fusion-Komposition, die bereits u. a. bei Donatis vormaliger Band PLANET X umgesetzt worden ist und als solche ohne Ende groovt. Und dann ist da noch „The Devil’s Staircase“, eine Toccata aus dem zweiten Etüden-Buch von György Ligeti, die als exemplarisch schwer zu spielen gilt und für deren Umsetzung Jan Zehrfeld sogar Lob von niemand geringerem als Steve Vai einheimsen durfte.
Das alles ist schon ziemlich großartig, aber was „Übercode Œuvre“ im Allgmeinen noch einmal so sehr hervor hebt, ist dass bei aller Komplexität, bei aller Technik und bei allem Perfektionismus immer noch ein menschlicher Kern hervorzuhören ist. Hier wirkt absolut nichts zu Tode getriggert oder quantisiert, was gleich doppelt beeindruckend ist angesichts der doch (semi-)kurativen Natur der Veröffentlichung, die trotz ihrer Beschaffenheit doch wie eine richtige Studioaufnahme klingt. Dass dabei alles wunderbar leichtfüßig klingt mit reichlich Freiraum zur Entfaltung der Instrumente ist Ehrensache, zumal das der allgemeinen Hörbarkeit ungemein zuträglich ist, gerade wenn es wie in „The Devil’s Staircase“ mal richtig abgefahren zugeht.
Damit dürften PANZERBALLETT auf dem Zenit angekommen sein
Da bleibt nicht viel mehr, als sich ehrfürchtig vor der Leistung, die Jan Zehrfeld und Co. hier vollbracht haben, niederzuwerfen. Die Band fiebert ja schon eine ganze Weile auf die Veröffentlichung von „Übercode Œuvre“ hin, aber in gehörter Form erweist sich dies als mehr als gerechtfertigt. Das PANZERBALLETT hält einerseits den eigenen Standard in Sachen Komplexität hoch, überschreitet teilweise die Grenzen des Machbaren („The Devil’s Staircase“), aber nie die des Hörbaren. Es bleibt immer ein Groove, der sich komplett natürlich anfühlt bei aller Polyrhythmik und allen Verschachtelungen. Nach erfolgtem Durchlauf der Platte lässt sich folglich mit Freude feststellen: Die Münchner haben’s geschafft. Hirn ist endgültig kaputt. Aber glücklich.
Panzerballett - Übercode Œuvre
| Band | |
|---|---|
| Wertung | |
| User-Wertung | |
| Stile | Avantgarde, Experimental, Jazz, Progressive Metal |
| Anzahl Songs | 10 |
| Spieldauer | 56:11 |
| Release | 25.04.2025 |
| Label | Hostile City |
| Trackliste | 1. Bleed 2. Seven Steps To Hell 3. The Four Seasons - Summer 4. Alien Hip Hop 5. Andromeda 6. Ode To Joy (Vocal) 7. Pick Up The Pieces 8. The Devil's Staircase 9. Ode To Joy (Instrumental) 10. Andromedaron |
