Phantom Winter - Sundown Pleasures

Review

Gewarnt war man ja. Im Prinzip. Aber angesichts der bevorstehenden Entleinung von PHANTOM WINTERs zweiter Kreatur „Sundown Pleasures“ sei doch aus Gründen der Prävention in verantwortungsvoller Weise gefragt: Are you ready for some darkness? Nicht für die TURBONEGRO-Party-Darkness, eher schon für die von POISON IDEA – für die richtige Dunkelheit, die man fühlt durch und durch? Ja? Auch, wenn Portlands Famous außer der umweltbedingten Rücksichtslosigkeit musikalisch mal gar nichts mit „Sundown Pleasures“ zu tun haben? Wenn PHANTOM WINTER 2016 eher wie eine an der Realität aufgestachelte GODFLESH-Version von TRIPTYKON klingen, geboren, als Tom Warrior eine Geisterstunde lang auf das Cover von WINTERs „Into Darkness“ starrt und ihm weit vor dem Sonnenaufgang dämmert, dass der dunkle Lord als Metapher und auch sonst zu harmlos ist? In dieser Welt? In diesem „Leben“?

Und aus Gründen der Ästhetik sei gefragt, ob es denn unter Umständen in einer Plattenbesprechung nicht auch mit einem Hauch weniger heißer Luft ginge, gerade bei einem Werk, dessen Temperatur irgendwo im seelen-sibirischen Eisfach zu verorten ist?

„Sundown Pleasures“ ist kein Album, das einen kaltlässt

Antwort: nö. Über Musik schreiben ist ja bekanntlich wie zu Architektur tanzen – und wenn schon absurd tätig werden, dann auch richtig. Und das eisige „Sundown Pleasures“ ist eben kein Album, das einen kaltlässt.

Die ansatzlose Keif-Attacke zur Eröffnung des einleitenden Titelstücks beseitigt jede Illusion eines routiniert wegzukonsumierenden Stückes Kultur und gibt den rabiaten Startschuss zu einer fordernden Erfahrung im Zeichen des guten Geschmacks. Insgesamt noch etwas tiefer und dichter als mit seiner Vorgängerin „Cvlt“ durchpflügen PHANTOM WINTER den gefrorenen Sludge-Boden ihrer Kompositionen mit zwar ausgehärteten, aber mehr dem Post-Rock, eher: -Hardcore, denn dem Black Metal entrissenen Riff-Flächen, setzen (an-)klagende Melodie-Samen ein, die nach mehrmaligem Hören tatsächlich ihre abseitige Schönheit entfalten, und walzen insgesamt so brutal wie sonstwas durch die Botanik. Anderes ist wohl auch schwer möglich auf einem solch beängstigenden Doom-Noise-Motor.
Kein Song fällt ab, „Black Hole Scum“ (zur Sicherheit: bösartiger als SOUNDGARDEN mit NAPALM-DEATH-Krätze) und das lange „Black Space“ kündigen die Katastrophe zum Abschluss des Albums nicht nur an, sondern formulieren sie in atmosphärisch dichten, spannungsgeladenen Noise-Infernalien aus.
So etwas wie der panische Hit wiederum ist das eingängige „Bombing The Witches“, das – zumal in der Verbindung mit dem erstklassigen Video – galant an die Nieren geht.

Lyrisch geht es insgesamt wie gewohnt um menschliche Verfehlungen, um persönliche Kämpfe, insgesamt schon um Politik. Wiederholt integrierte Samples ergänzen das in erster Linie auf der emotionalen Ebene wirksame – und wirklich schlagend unaufgesetzte – Geschrei und Gekeife bzw. konturieren die jeweilige Aussage, wo angebracht. Störend wirkt dieser Ansatz nicht, er verleiht „Sundown Pleasures“ vielmehr wirkliche Ernsthaftigkeit und Durchschlagskraft in der (vermeintlichen) Nachbarschaft der großen Schar extrem-metallischer Auf-die-Brust-Trommler.

PHANTOM WINTER liefern eine nachhaltig effektive Waffe zur Alltagsbewältigung

„Sundown Pleasures“ ist ein garstiges Stück Kultur, ein schwerer wie scharfzackiger Brocken, dessen Wucht beim Erstkontakt beeindruckt, dessen erstaunliche Vielschichtigkeit ihre Faszination aber erst offenbart, dringt man durch die schwarzmetallene vokalische Oberfläche und tiefer in die nichtsdestoweniger durchgängig lichtlose Materie. Wer anfänglich nicht erschlagen wird, dem (und der) liefern PHANTOM WINTER eine nachhaltig effektive Waffe zur Alltagsbewältigung. (Oder einfach niveauvolle, geistreiche, im besten Fall aktivierende Unterhaltung für fortgeschrittene musikalische GrenzgängerInnen. Was eine Katharsis oder sowas ist, bleibt eh‘ nebulös – fangen wir gar nicht erst mit an…)

08.09.2016
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