Protest The Hero - Scurrilous

Review

Dass sich musikalisches Talent in Kanada nicht nur auf Nickelback und Justin Bieber beschränkt, bewiesen bereits vor sechs Jahren PROTEST THE HERO aus Ontario, deren Debütalbum seinerzeit als eines der innovativsten und frischesten Metal-Alben der Neuzeit gefeiert wurde. Die Musik der Jungspunde (die Musiker waren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung gerade mal um die 19 Jahre alt) hatte zudem einen sehr kontroversen Charakter, nicht in Bezug auf Inhalt, aber bezüglich des Wahnsinns, de einem entgegen blies. Eine typische Love it or hate it-Band also, was mit dem Zweitwerk „Fortress“ im Grunde nur unterstrichen wurde.

Mit „Scurrilous“ steht nun der neue abendfüllende Longplayer der Band in den Startlöchern – und spätestens jetzt ist klar: PROTEST THE HERO sind keine Eintagsfliege, die jetzt beginnt, sich in irgendeiner Form dem Mainstream anzubiedern. Der Innovationsgrad mag vielleicht nicht mehr GANZ so hoch sein wie noch zu Zeiten des Erstlings, ganz einfach auch, weil man weiß, was die Band zu leisten vermag, vollkommen herausragend und einzigartig ist die Musik aber immer noch, ein Prädikat, dass man heute viel zu selten mit reinem Gewissen aussprechen darf. Für mich hat die Bande den größten Kritikpunkt auch noch ausgemerzt und dem Gesang, der auf den ersten beiden Alben immer etwas weit jenseits der Schmerzgrenze anzusiedeln war den an den Nerven zehrenden Höhenkoller entzogen. Rody Walker pflegt zwar immer noch einen sehr höhenlastigen Gesangsstil, weiß aber endlich so mit seinem Organ umzugehen, dass auch dieser Kritikpunkt nun keinen Bestand mehr hat. Bei der stilistischen Einordnung geht man noch immer bei jedem Versuch baden, denn PROTEST THE HERO spielen keinen Mathcore, keinen Postrock, keinen Heavy Metal und keinen Progressive Metal – sehr wohl aber von Allem ein bisschen. So sehr man sich auch als Rezensent immer so sehr Bands wünscht, die einen für unüberwindbare Hindernisse beim Beschreiben der Musik stellen, so wenig wird euch die Aussage zufrieden stellen, dass ihr Sound auf „Scurrilous“ anders, aber unverkennbar klingt. Ich gebe mich also nicht der Illusion hin, dass diese Rezension der Klasse dieser Scheibe gerecht werden könnte und beschränke mich darauf, denjenigen, die zum ersten Mal mit der Band in Kontakt treten (was im Übrigen jeder tun sollte) Geduld anzuraten. Hinter dem chaotischen, hyperaktiven Gefrickel arbeiten sich unauffällig grenzgeniale melodische Kompositionen ihren Weg ins Langzeitgedächtnis, die energische, hochtechnische und zuweilen mathematische Instrumentierung entpuppt sich bei genauem Hinhören als archtitektonisches Seelenfutter, dass sich treibend und ekstatisch in den hintersten Winkel des Blutkreislaufs bohrt. Ich weiß nicht, was es ist, aber das Konstrukt offenbart schon nach dem dritten Durchlauf ein unüberwindbares Suchtgefühl, immer und immer wieder will man ihm lauschen, diesem orgienartigen Orkan. Sei es, um sich zu vergewissern, dass diese fünf Kanadier wirklich so bekloppt und geisteskrank sind, oder weil man sehnsüchtig darauf wartet, welche Erkenntnis der nächste Durchgang ans Tageslicht fördert, welches Detail dafür sorgt, dass man nach und nach die Intention der Band nachzuvolziehen scheint. „Sex Tapes“ erinnert in seiner Machart an SYSTEM OF A DOWN, PROTEST THE HERO lassen aber keinen Bandvergleich zu, der ihre seltsame, skurille Kunst auf den Punkt bringt.

„Scurrilous“ ist vermutlich kein Feuerwerk der Emotionen, es wird szenebezogen genauso vom Hass vereinnahmt wie von Liebe geschwängert werden, aber es ist ein hochexplosives Geschoss, dass Spaß, Lebensfreude und diverse andere positive Dinge auf eine allerhöchstens von dieser Band gekannte Art transportiert. „Scurrilous“ wirkt trotz seiner ohrenscheinlichen Zerfahrenheit zielgerichtet und zukunftsorientiert, es beseitigt jeglichen Zweifel darüber, ob im Metal schon alles gesagt wurde, es zerpflügt Weltanschauungen und hinterlässt Spuren.

Eines ist sicher: Man weißt nichts über Musik, so lange man PROTEST THE HERO nicht gehört hat.

14.03.2011
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