Raunchy - Vices.Virtues.Visions

Review

RAUNCHY haben es nicht einfach mit mir – und ich nicht mit ihnen. „Komm, die Band magst du schon seit knapp zehn Jahren, das kann nur gut werden!“ Nachdem der langjährige und liebgewonnene schreiende Teil am Mikro Kasper Thomsen (THE ARCANE ORDER) für das neue Album durch Mike Semesky (ehemaliges Mitglied von THE HAARP MACHINE) ersetzt wurde und der erste Song namens „Truth Taker“ nicht nach vollkommenem Klogriff klang, hatte ich Hoffnung – vielleicht etwas zu viel Hoffnung. „Du hast bis jetzt noch jedes ihrer Album gemocht, das wird bestimmt ne super Scheibe, auf RAUNCHY ist Verlass!“ Zumal Jeppe Christensen, die unverkennbare Cleanstimme, und Mastermind Jesper Tilsted ja glücklicherweise immer noch mit im Boot sind. „Das kann nur gut werden!“ tönt es mir noch in den Ohren.

Die Dänen gehören schon zu den „alten Hasen“. Haben sie sich seit „Velvet Noise“ im Jahr 2002 spürbar verändert, sind sie trotz unverkennbar eigener Note seit jeher dafür bekannt, sich jeglicher Art von Genre wild zu bedienen – mit Erfolg. Die letzten beiden Alben ließen zwar Stimmen laut werden, es handele sich immer mehr um Pop mit metallischen Abstechern (verständlicherweise auch hier nachzulesen), aber ich kann nicht behaupten, dass mir nicht gefallen hätte, was ich vernahm. „Vices.Virtues.Visions.“ startet auch äußerst vielversprechend mit dem typischen RAUNCHY-Paket: „Eyes Of A Storm“ könnte ein „Dim The Lights And Run“-Bruder sein – er klingt natürlich ganz anders, hat aber den gleichen Aufbau und man erfährt die Portion Fernweh, Gerödel und die Mischung aus Melodie, Growls und Cleangesang, die man erwartet. Nach mehreren Durchläufen verzeiht man Kaspers Wegfall schon beinahe, wenngleich sich die Frage stellt, wieso niemand darauf aufmerksam gemacht hat, dass man die neue Stimme kaum hört? (Traut man sich dann nicht, das zu sagen?) Was da die Leads begleitet, ist gegenüber dem Rest zu leise, zu schwach, zu verwaschen und vor Allem zu stark gedoppelt! Diese Herangehensweise trägt im Wesentlichen eher gegenteilig dazu bei, dem Stimmwechsel wohlwollend gegenüber zu stehen.

Aber sei es drum, das Album bereitet ganz andere Sorgen: Es gibt auf beinahe jedem Album einen Song, den man einfach nicht mag, welchen man einmal halb anhört und ab dann nur noch überspringt, als wäre er einfach nicht da. Da ich als RAUNCHY-Fan jedoch meine Erfahrung bestmöglich teilen will, sollte ich das natürlich vermeiden. Das führte dazu, dass sich der fünfte Song namens „Castaway“ zu meinem persönlichen RAUNCHY-Erzfeind entpuppt hat. „Das kann nur gut werden?“ – Fehlanzeige. Vielmehr ein: „Was habt ihr euch dabei nur gedacht?“ Dieser Song klingt, als hätte man ein fünfjähriges Kind mit einem Synthie allein gelassen. Und dieser Song ist auch der Grund dafür, warum die zweite Hälfte des Albums erheblich weniger ertönen durfte als die erste. Meine Belastungsgrenze ist mit „Castaway“ einfach erreicht und was danach folgt, ist nervenaufreibend. Nehmen wir „I, Avarice“ als Beispiel: Hier sind die Übergänge innerhalb des Tracks dermaßen holprig und leer, dass man nicht meinen sollte, dass es sich schon um das siebte Album dieser Band handelt. „Luxuria“ klingt, als hätten sich VOLBEAT die falschen Gitarren geschnappt und den Sänger vergessen. „Frozen Earth“ macht es dann zum Ende der Platte glücklicherweise wieder besser, aber nachdem der letzte Ton verstummt ist, zieht man Bilanz. Was bietet „Vices.Virtues.Visions.“ nun eigentlich? Kurzum: Bei den Stakkato-Riffs wurde etwas gespart und die neue Stimme am Mikro verleiht dem Sound einen etwas seicht-unspektakulären Tech-Metal-Pop-Sound, aber wer „Wasteland Discoteque“ und „A Discord Electric“ etwas abgewinnen kann, der sollte sich die Zeit nehmen und RAUNCHY eine Chance geben.

Das Gesamt-Fazit muss ich jedoch in zwei unabhängige Teile aufteilen:

Als Musik-Fan ist „Vices.Virtues.Visions“ nach mehreren Anläufen nicht so schlecht wie zunächst angenommen und entwickelt im Hinblick auf Abwechslungsreichtum und Zusammenspiel sogar unverkennbare Stärken, die das Potential von „A Discord Electric“ beispielsweise übersteigen. Auch der Ohrwurm-Faktor ist enorm und man hat im Prinzip ein gutes Scheibchen in der Hand, welches zwar etwas Anlaufzeit braucht, aber dann durchaus begeistert. Aber als langjähriger RAUNCHY-Fan bin ich etwas enttäuscht. Das mag daran liegen, dass ich den Stimmenwechsel auf diese Art nicht verzeihen kann, oder ein paar der Richtungen im neuen Sound für mich einfach nicht zu meinem RAUNCHY-Bild passen. „Confusion Bay“-Zeiten sind jedenfalls nicht mehr zu erahnen, aber gefühltermaßen haben die Jungs etwas von dem, was ich bei ihren Songs immer empfunden habe, verloren. Eine trotzige Stimme in mir flüstert sogar, dass das Nebenprojekt von Jeppe und Jesper (VEGA NOVA) mit dem Longplayer „Lovesongs For The Dead“ mit zusätzlichen Stromgitarren ein besseres RAUNCHY-Album abgeliefert hätte, als es mit „Vices.Virtues.Visions.“ nun vor mir liegt. „Das kann nur gut werden!“ – Naja.

06.11.2014

The world is indeed comic, but the joke is on mankind.

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