Voices - London

Review

Sehr geehrte Damen und Herren, der diesjährige Preis für das irreführendste Album-Intro geht an… *Trommelwirbel*… VOICES mit „Suicide Note“, dem Auftakt ihres zweiten Albums „London“.

Die VOICES-Musiker werden es nicht wirklich gern hören, aber ich habe in dem Moment, in dem mit „Music For The Recently Bereived“ der erste richtige Song „London“s mit Blastbeats und Tremolo-Gitarren einsetzte, sehr gelacht: „Suicide Note“ hatte mich nämlich mit seinen akustischen Gitarren, dem klaren Gesang und dem nicht zu leugnenden Wave-Touch mal so richtig auf das sprichwörtliche Glatteis geführt – was natürlich auch daran liegt, dass ich gänzlich unvoreingenommen an „London“ herangetreten bin. Der durchaus als legitimer AKERCOCKE-Nachfolger anzusehende Vierer frönt – wie sich recht schnell herausstellt – keineswegs den eingangs beschriebenen episch-melancholischen Klängen: VOICES sind brutaler, der transportierte Schmerz geht weit über bloße Melancholie hinaus. Vor allem aber sind VOICES sehr viel schwieriger greifbar als es die bisher geschilderten Eindrücke nahe legen – ob sie nun „Suicide Note“ oder „Music For The Recently Bereived“ betreffen.

Was bedeutet „schwieriger greifbar“ jetzt genau? VOICES‘ Musik zieht einen enormen Teil ihrer Wirkung aus den Kontrasten, für die ein schnöder schwarz/weiß-Vergleich beinahe zu schwach ist: Da treffen getragene, langsam gespielte, gar nicht sooo verzerrte Gitarrenmotive auf Blastbeats; da trifft klarer Gesang beider Geschlechter auf extrem fieses Geschrei; Da treffen doomige Passagen auf Black-Metal-Geholze, stumpfes Geschredde auf ausgeklügelte Licks; da treffen gesprochene Passagen in bester Doku-Manier auf in jeder Hinsicht extremen Metal. „London“ ist ein auf den ersten Blick undurchsichtiges, hässliches Gebräu, das aus atmosphärischer Hinsicht wenig Licht und sehr viel Schatten projiziert.

Das Wörtchen „projiziert“ steht da übrigens nicht ohne Grund: Tatsächlich wirkt „London“ auf mich wie eine Projektion – die Eindrücke sind surreal, irgendwie distanziert, keineswegs jedoch unecht oder gekünstelt. Das Album zeichnet ein Bild von London, das gleichzeitig Bildnis bleibt und Bühne für die Geschichte wird, die VOICES erzählen. Das ist eine Balance, die nicht so einfach zu finden ist! Zu meiner Hochachtung für die musikalische und technische Seite des VOICES-Zweitlings gesellt sich damit auch der tiefe Respekt vor dem thematischen Ansatz und seiner Umsetzung: Wer auf anspruchsvollen Extrem-Metal steht und zudem eine Schwäche für cineastische Ansätze darin hat, sollte sich „London“ anhören.

02.11.2014
Exit mobile version