Gravenhorsts Graveyard
Summertime Blues im Frühling

Special

Eigentlich war es vorhersehbar, aber es hat mich dann doch getroffen: Zunächst waren es die internationalen Hochkaräter Glastonbury und Hellfest, am 10. März hat die Eventim AG ihre Festivals abgesagt, einen Tag darauf folgte das Full Force. Auf der Bund-Länder-Konferenz sollte eigentlich auch über Öffnungsperspektiven für die Kultur geredet werden, doch die hohen Inzidenzzahlen machten weitere Eindämmungen zum Thema. Somit haben wir schon einen Punkt erreicht, den normalerweise das Summer Breeze markiert: den Anfang vom Ende des Festivalsommers.

No hope for you

Auch die Hoffnung eines Festivalsommer light werden geringer: Im letzten Jahr habe ich es zwischen Mitte Juni und Anfang Oktober auf sechs Konzerte geschafft. Fast allen gemein war eine Sitzplatzpflicht, eine geringe Besucherzahl und abgesehen von VADER ausschließlich nationale Künstler. Es ist jedoch fraglich, ob selbst Konzerte mit Hygienekonzepten wieder stattfinden können. Damals haben niedrige Zahlen in Sicherheit gewiegt und es gab noch keine Mutationen von Covid-19.

Wir steuern also wieder auf einen Sommer der Enthaltsamkeit zu. Ein Sommer ohne auswendig mitgesungenen Klassikern von legendären Bands und grandiosen Newcomern, die aus dem nichts kommen. Ein Sommer ohne die ganzen Festivalfreundschaften, die man nur dort sieht. Ein Sommer ohne warmes Bier, das einen wegen des exzessiven Alkoholkonsums der vergangenen Wochen nicht weiter berauscht. Na gut, ich werde nicht alles vermissen.

Perspektivlosigkeit auf den Äckern

Aber trotzdem bin ich enttäuscht, wenn nur die Aussicht auf Wochenenden mit Livestreams im erdrückenden WG-Zimmer bleiben, bei dem das einzige Freiluft-Feeling durch das geöffnete Fenster entsteht. Die Trauer über das eigene Schicksal wird jedoch überwogen von Sorgen um die allgemeine der Live-Musik-Branche: Alle Festivals mussten jetzt zwei Jahre in Folge signifikante Einnahmeverluste hinnehmen. Was ist, wenn alle auf Festivals wollen, es aber keine Festivals mehr gibt? Es zieht auch an Branchenriesen nicht spurlos vorbei, wenn in einem ganzen Jahr kaum Einnahmen reinkommen.

Vereinzelt sind Initiativen von Festivals zu vernehmen, die aus gemeinsamen Erklärungen bestehen, dass sich die Politik doch bitte über Gedanken über eine Rettung der Branche machen möchte. Das ist jedoch blauäugig. Die Bundesliga durfte nur wieder anfangen, weil sie ein Hygienekonzept entwickelt und vorgelegt hat, welches nur noch abgenickt werden musste. Ein solches Konzept gibt es zwar schon, doch sind gerade kulturelle Veranstaltungen mit dem Stigma eines hohen Infektionsrisiko belastet. Dabei besteht in einem Theater mit Hygienekonzept ein geringeres Ansteckungsrisiko als in einem Großraumbüro.

Impfstoff ex machina?

Bleibt also noch die Hoffnung auf den Impfstoff. Zumindest für die reichen, westlichen Länder sieht es gut aus. Die USA und Großbritannien haben schon viele Erstimpfungen durchgeführt. Und auch in Deutschland erscheint es realistisch, dass bis Ende September jeder Bundesbürger ein Impfangebot bekommen soll. Man sollte aber nicht der Annahme verfallen und glauben, dass ein weiter Impffortschritt in Deutschland reicht. Die Festival-Line-Ups setzen sich aus Bands aus vielerlei Ländern zusammen: Kanada, Australien, Skandinavien. Zudem ist das Entstehen von Mutationen nicht absehbar.

In so einer dynamischen Lage ist es natürlich schwer, einen Blick in die Zukunft zu wagen. Doch es sieht düster aus. Dank einer entfesselten Pandemie, die sich durch einen halbherzigen Lockdown nicht beherrschen lässt und einer Politik, für die Kultur ganz hinten auf der Prioritätenliste rangiert. There ain’t no cure for the summertime blues. Zumindest noch in diesem Jahr.

23.03.2021

Redakteur mit Vorliebe für Hard Rock, Heavy Metal und Thrash Metal

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