Celtic Frost
Jugendliche Entschlossenheit und der Drang, sich zu beweisen

Interview

Auf CELTIC FROST lastet ein tonnenschweres Vermächtnis. Die Schweizer Band, die einst mit HELLHAMMER die erste Welle des Black Metals prägte, schuf mit ihrem einzigartigen, schwer zu kategorisierenden Stil in den Achtzigern drei bahnbrechende, bis heute höchst einflussreiche Meilensteine des düsteren Heavy Metals. Nachdem der Backkatalog wie bei den meisten früheren Bands auf Noise Records jahrelang schändlicherweise brachlag, entschlossen sich BMG Rights Management in Folge der Reissues von 2017 nun, die klassischen Alben der Band, als “Morbid Tales”, “To Mega Therion” und “Into The Pandemonium” samt aller damals erschienenen EPs in einer umfangreichen, wertigen Box namens “Danse Macabre” herauszubringen.

Obwohl der stets bescheidene Hauptsongwriter Tom Gabriel Warrior sympathischerweise gar anzweifelt, ob seine frühere Band eines eigenen Boxsets überhaupt würdig sind, nehmen wir die Gelegenheit mit Freuden wahr, uns mit dem eloquenten 59-Jährigen über die Historie von CELTIC FROST zu unterhalten. Anscheinend nahmen diese Gelegenheit auch unsere jeweiligen Haustiere wahr, denn während bei Tom im Hintergrund deutlich eine Katze auf sich aufmerksam macht, wird dies auf der anderen Seite emsig miauend durch meine Katze beantwortet.

Er schrieb mit HELLHAMMER, CELTIC FROST und inzwischen TRIPTYKON Heavy-Metal-Geschichte und ist aus dem Klassiker-Kanon nicht wegzudenken. Vorhang auf für Tom Gabriel Warrior.

“Ich sitze nicht zu Hause rum und denke: ‘Wow, ich bin so ein Pionier!’”

Guten Morgen Tom, es ist eine Freude, dich zu hören. Bevor wir uns über das neue CELTIC-FROST-Boxset “Danse Macabre” unterhalten, wollte ich dich fragen, wie es dir zur Zeit geht und woran du im Moment so arbeitest, da vermutlich nicht alle unsere Leser:innen regelmäßig deinen äußerst informativen Blog verfolgen.

Es geht mir mäßig, da ich mir bei unserem letzten Konzert in Wien vor ein paar Tagen offenbar eine Erkältung aufgelesen habe. Und was tue ich gerade? Wir sind mitten in einem Umzug unseres Lager- und Proberaums in Zürich und es ist sehr viel Equipment. Ich bin froh, wenn ich das hinter mir habe.

Nachdem ihr vor fünf Jahren den Backkatalog von CELTIC FROST nochmals aufgearbeitet und der Masse zugänglich gemacht habt und vor einer Weile auch das Tape-Boxset “The Sign Of The Usurper” erschienen ist, wollte ich fragen, ob es für die Box einen bestimmten Anlass gibt.

Du siehst das falsch. Aufgrund der Verträge, die Martin [Eric Ain, langjähriger Bassist und Kreativpartner von Tom Warrior bei CELTIC FROST – Anm. d. Red.] und ich 1984 mit Noise Records unterschrieben haben, haben wir keinerlei Rechte an unserer früheren Musik. Nach der Schließung von Noise Records sind die Rechte durch verschiedene Firmen gegangen und liegen jetzt bei der BMG in London, die diese Ideen hat und diese Entschlüsse fasst.

Wir schauen zu, wir können nichts beeinflussen und haben keinerlei Entscheidungsgewalt, ob wir eine Box oder eine Re-Issue-Kampagne machen, denn die Rechte gehören uns nicht, dank Noise Records’ fairem Vorgehen in den Achtziger Jahren. 2017 haben sich BMG entschlossen, die Re-Issues zu machen; vor einem Jahr kontaktierten sie mich mit dem Vorhaben einer Box. Wie bei der Tape-Box habe ich an sich nichts damit zu tun. Der Unterschied zu den damaligen Noise Records ist, dass BMG effektiv eine professionelle Firma ist in London, die nicht gegen die Künstler arbeiten, sondern mit ihnen. Jedes Mal, wenn sie so einen Plan haben, kontaktieren sie mich und fragen mich, ob ich mitarbeiten möchte. Das müssen sie nicht und ich rechne es ihnen hoch an.

Noise Records haben das niemals gemacht, die haben immer gegen uns gearbeitet. Bei dieser Box hingegen war ich als Art Director involviert, habe am Konzept mitgearbeitet und gebe jetzt natürlich auch Interviews dazu. Denn es geht um meine Musik, die ich geschrieben habe. Weshalb das jetzt alles geschieht, das müsstest du schon BMG fragen.

Okay. Nichtsdestotrotz ist es sehr erfreulich, dass du da wieder mit ins Boot geholt wurdest, denn die Einheit von Musik und Visuellem war bei euch stets wichtig. Ich nehme an, es ist wieder ein sehr rundes Package, was euren bisherigen Ansprüchen an Gesamtbilder gerecht wird. Ich muss leider zugeben, dass meine Box noch nicht geliefert wurde, daher kann ich das Thema jetzt gar nicht so richtig aufgreifen.

Die Box sieht fantastisch aus. Ich habe eben mein Exemplar erhalten. Ich bin sehr happy damit und rechne es wie gesagt BMG hoch an, dass sie auf jede einzelne meiner Ideen reagiert und sie angenommen haben. Das war eine sehr angenehme und professionelle Zusammenarbeit.

Als die Band noch existierte, war das absurderweise genau das Gegenteil. Ich bin sehr glücklich, dass BMG uns überhaupt für Boxset-würdig halten. Ich bin ja auch Vinylsammler und habe die ganzen Boxsets von BLACK SABBATH und so weiter. Ich habe immer gedacht: “Wenn du mal so eine Box kriegst, ist das ein Ritterschlag.” Ich freue mich, dass wir dessen würdig sind und es ist auch etwas Spezielles, nach 41 Jahren so eine Box zu Hause stehen zu haben.

Ich schlage mal einen Anlass dafür vor: Als ich mich im Zuge der Vorbereitung auf das Interview mit allen alten Alben nochmals auseinandergesetzt habe, ist mir aufgefallen, wie zeitlos CELTIC FROST immer noch sind. Vieles, was ihr gemacht habt, war seiner Zeit voraus und hat folgende Generationen von Extreme-Metal-Musiker:innen nachhaltig geprägt. Bist du dir dessen bewusst oder fällt dir das nur auf, wenn du drauf angesprochen wirst oder es in anderer Musik wahrnimmst?

Das Letztere. Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht zu Hause rumsitze und denke, “Wow! Ich war so ein Pionier!” Ich sehe meine Musik immer selbstkritisch und das ist meiner Meinung nach auch sehr wichtig. Ich versuche auch heute noch, mich stetig zu verbessern. Auch das finde ich extrem wichtig. Und ich werde mit dem Einfluss von CELTIC FROST konstant konfrontiert, wenn ich wie jetzt Interviews mache oder mich im Anschluss an ein Konzert mit den Leuten unterhalte. Das ist eine extreme Ehre und ich nehme das nicht als gegeben hin.

Im Gegenteil: ich habe sogar Mühe, damit umzugehen, weil ich uns immer sehr realistisch sah. Ich wusste, wo unsere Schwächen sind; ich wusste, wo unsere Stärken sind. Unsere Musik war sehr ehrlich und vor allem zu Beginn ein persönlicher Aufschrei, bedingt durch unsere Leben, das damalige Umfeld und dieser konstanten Angst vor einem Atomkrieg. Das war so persönlich, dass wir in keinster Weise je gedacht hätte, wir würden jemanden beeinflussen. Wir hatten auch keine Ahnung, ob die Musik nach 40 Jahren noch hörbar ist. Das stellt sich eben raus oder nicht.

Um mal anzuknüpfen: in deinem Buch “Only Death Is Real” erzählst du, wie dich seinerzeit die Radikalität von VENOM nachhaltig beeindruckte und dein musikalisches Verständnis umgekrempelt habe. Mir ging es mit CELTIC FROST ähnlich. Ich habe “Morbid Tales” über 20 Jahre nach seiner Veröffentlichung als 14-Jähriger gehört und es hat meine musikalische Welt verändert, wohingegen ich die Radikalität von VENOM aufgrund des Alters schon gar nicht mehr nachvollziehen konnte.

Ist das etwas, was deine Kreativität heute noch so leitet wie früher?

Gut, das ist schwierig zu beurteilen. Das Wort Radikalität wird in unserer Szene auch benutzt, um sich cool zu machen, um Platten zu bewerben. Ich denke, ich habe mir einen Fanatismus, eine Radikalität auf persönlicher Ebene bewahrt. Das war für uns damals der Schlüssel und wir wollten das nicht verlieren.

Ich bin in den Siebziger Jahren aufgewachsen, war Die-Hard-Fan von Hard Rock, UFO, NAZARETH, BLUE ÖYSTER CULT und so weiter. Ich war immer enttäuscht, als all diese Bands in den Achtzigern immer kommerzieller wurden, bis hin zur Hausfrauenmusik. Übrigens liefen auch Prog-Bands wie GENESIS oder ROXY MUSIC, die in den Siebzigern total abenteuerlich waren, in den Achtzigern auf einmal im Aufzug.

Tom Warrior heute auf der Bühne mit TRIPTYKON. Foto: Larissa Reiter (metal.de)

Wir haben uns immer geschworen, das darf uns nicht passieren und haben nicht verstanden, warum all diese Bands so lasch wurden. Wenn ich jetzt mit TRIPTYKON auf der Bühne stehe und es kommen junge Fans zu mir, die noch gar nicht geboren wurden, als ich angefangen hatte und sagen: “Wow, das war so unglaublich heavy!”, dann zeigt mir das, dass es uns gelungen ist, das zu bewahren. Aber wie gesagt, das ist meine Selbstwahrnehmung. Wir waren natürlich damals getrieben von Radikalität, weil wir in unserem Privatleben nichts zu verlieren hatten. Das war schon ziemlich heftig damals.

CELTIC FROST: From zero to hero. Oder: Von HELLHAMMER zu “Morbid Tales”

In der Box ist ein Tape namens “Grave Hill Bunker Tapes.” Ich war erstaunt, dass es Aufnahmen von deiner ersten Band GRAVE HILL gibt.

Von GRAVE HILL? Nein. Da gab es ein Rehearsal-Tape mit zwei Songs, das ist schon vor Jahrzehnten verschollen. Die Box enthält ein Rehearsal-Tape mit Aufnahmen, die wir gemacht haben, als wir im Sommer 1984 an “Morbid Tales” gearbeitet haben.

Wir haben damals alle Proben aufgenommen, um die Songs zu Hause weiterzubearbeiten oder die Texte dazu zu schreiben. Viele Kassetten sind gestohlen wurden oder wir haben sie Crew-Mitgliedern gegeben. Nur ein Tape hat meines Wissens nach überlebt, aber diese Songs waren auch schon auf den 2017er-Reissues enthalten. Glücklicherweise sind das gute Aufnahmen, obwohl sie mit einem Mikrofon auf dem Kassettenrekorder gemacht wurden.

Da bin ich wohl einem Missverständnis aufgesessen. Ich habe in der Produktbeschreibung “Grave Hill Bunker Tapes” gelesen und dachte, das bezieht sich auf deine erste Band. Aber genauer hingesehen, stimmt das Jahr 1984 dann natürlich nicht.

Der “Grave-Hill-Bunker” war lange unser Proberaum. Ein Atomschutzbunker aus dem Kalten Krieg, der so hieß, weil wir ihn ursprünglich mit GRAVE HILL bezogen haben. Später haben dann HELLHAMMER darin geprobt und danach CELTIC FROST.

GRAVE HILL sind entzwei gegangen, nachdem du als 17-Jähriger infolge einer London-Reise die erste VENOM-Single “In League With Satan” begeistert anschlepptest, was deine Kollegen nicht so ganz mitverfolgen konnten, was wiederum zu HAMMERHEAD bzw. HELLHAMMER führte. Hast du zu Mitstreitern aus der GRAVE-HILL-Zeit Kontakt halten können?

Ich bin noch sehr gut befreundet mit dem Schlagzeuger von GRAVE HILL [Alois Wendelin – Anm. d. Red.]. Seine Schwester ist in der Stadt, wo ich lebe, Lokalpolitikerin. Der Bassist [Alfredo “Stonehead” Pappalardo – Anm. d. Red.] ist leider später verstorben und der Sänger [Philip Veraguth – Anm. d. Red.] seit langem verschollen.

Aber ich bin auch mit den HELLHAMMER-Mitgliedern noch sehr gut befreundet, wie auch mit dem allerersten Schlagzeuger von CELTIC FROST, Isaac Darso. Wann immer es mir persönlich auch möglich ist, halte ich diese Freundschaften über die Zeit in der Band hinaus, denn wir haben alle zusammen etwas geschaffen, das für uns bis zu einem gewissen Grad lebensverändernd war.

Stichwort lebensverändernd. Kommen wir noch mal auf “Morbid Tales” zurück, eurer ersten großen Veröffentlichung unter dem Namen CELTIC FROST. Musikalisch wie visuell stellt die Platte einen Riesenschritt im Vergleich zu HELLHAMMER und eine Blaupause für die Ästhetik Black und Death Metal dar. Wie hat sich das für euch angefühlt, als ihr nach HELLHAMMER diese Aufnahme endlich in den Händen hattet?

Es war schon ein ganz wichtiger Schritt für uns. Man darf nicht vergessen, dass HELLHAMMER damals sehr verschrien waren. Wir haben nur schlechte Kritiken kassiert und auch die Plattenfirma fand die HELLHAMMER-EP ganz furchtbar. Die meisten Leute aus der Metal-Szene fanden die EP [“Apocalyptic Raids”, 1984 – Anm. d. Red.] furchtbar. Als wir mit CELTIC FROST begonnen haben, mussten wir diese negative Aura abstreifen und uns war klar, wir mussten ein gutes Produkt abliefern, wenn wir nicht die Chance aufs Musiker-Dasein verlieren wollten.

Wir haben den ganzen Sommer 1984 wirklich gearbeitet wie Maniacs, um ein Album wie “Morbid Tales” zu schreiben. Wir waren jeden Tag am Proben, während die meisten Bands der lokalen Szene ein bis zwei Mal die Woche anzutreffen waren. Als wir im Herbst 1984 mit “Morbid Tales” in der Tasche aus dem Studio kamen, war es ein befreiendes, enthusiastisches Gefühl. Wir waren uns auch nicht sicher, ob wir uns im Adrenalinrausch täuschen.

Wir fuhren nach Hause von West-Berlin und haben es unseren Freunden vorgespielt. Zum Teil waren unsere Freunde Die-Hard-Fans, die alles gesammelt haben, auch Demos und obskure Singles. Als die sagten, das klinge fantastisch, wussten wir, wir sind wahrscheinlich auf dem richtigen Weg. Ein wichtiges und extrem berauschendes Gefühl.

Wenn man sich die Scheibe heute anhört, fällt vor allem auf, dass sie auch nach fast 40 Jahren noch einen extrem druckvollen und lebendigen Sound hat. Ich habe zum Thema Horst Müller Unterschiedliches gehört bzw. gelesen und möchte es möglichst diskret angehen. Daher wollte ich nur fragen, ob das eher euch zu verantworten ist oder ob ihr mit Horst einfach ein perfektes Team wart?

Horst Müller war 1984 absolut auf der Höhe seines Könnens. Es ist klar, dass wir diesen Sound ohne ihn nicht erreicht hätten. Das Endprodukt ist natürlich schon eine Zusammenarbeit. Wir kamen mit einer klaren Idee ins Studio. Wir wussten wie wir klingen wollten, wir wussten, was CELTIC FROST ist. Aber, ob wir das ohne ihn hätten realisieren können …

Müller hat verstanden, was wir wollten und hat es geschafft, das eins zu eins lebendig, wie du richtig sagst, einzufangen. Dafür werden wir bis an unser Lebensende dankbar sein. Er war wichtig und er war eine extrem interessante Persönlichkeit, von der wir unheimlich viel gelernt haben. Das hat sich etwas später dann ein bisschen geändert und die Gründe dafür sind für mich schwer nachzuvollziehen.

Er hat sich persönlich stark verändert, als wir für das zweite Album nach West-Berlin fuhren. Das hörte man damals auch von anderen Bands. Es gab eine Band, die hatten ein Album bei ihm angefangen und mussten es dann canceln und neu anfangen. Ich habe mir sagen lassen, dass Horst Müller gewissen Substanzen nicht abgeneigt war. Ohne definitives Wissen will ich ihm aber nichts unterstellen. Wir fanden es schade, denn wir haben den Mann vergöttert und wenn er auf diesem Level geblieben wäre, würde ich heute noch mit ihm arbeiten wollen.

War eure Vorbelastung mit HELLHAMMER der Grund, weshalb “Morbid Tales” in den USA als Album und in Europa als EP erschienen ist? So nach dem Motto: “In Europa müssen wir erst mal testen”?

Nein, das war unsere allererste Erfahrung mit den abstrusen Entscheidungen der damaligen Noise Records. Wir haben ja einen Vertrag zwischen HELLHAMMER und Noise Records gemacht und dann gefühlt, dass wir aus HELLHAMMER raus müssen. Wie hinlänglich bekannt, haben wir uns in einer Nacht hingesetzt und ein Skizzenbuch mit einem Konzept, quasi eine Karriere bis ins kleinste Detail, gefüllt und dieses an Noise Records geschickt mit der Bitte, den Vertrag nicht aufzulösen.

Noise haben das akzeptiert aber aus irgendwelchen Gründen vermutlich kalte Füße bekommen. Der Chef von Noise Records [Karl Ulrich Walterbach – Anm. d. Verf.] hat dann gesagt, wir machen ein Mini-Album mit sechs Stücken drauf, quasi als Testballon. Was daran für eine Plattenfirma sicherer sein soll, erschließt sich mir nicht, denn die Herstellungskosten sind die gleichen. Wir hatten ja auch acht Songs aufgenommen, was damals die Albumlänge war.

Metal Blade, die der US-Partner von Noise in den Achtzigern waren, fanden das Album stark und haben es sofort vollständig herausgebracht. Die Platte war dann auch erfolgreich und so zogen Noise Records in Europa nach. Eine typische Noise-Absurdität aus dieser Zeit, verglichen mit den späteren Absurditäten jedoch wirklich harmlos.

Aus den übrigen beiden Stücken der “Morbid Tales”-Session wurde dann ja auch teilweise die “Emperor’s Return”-EP im August 1985. Das Artwork sticht unter all’ euren Artworks definitiv heraus. War das auch eine typische Noise-Aktion?

Martin und ich hatten ein Meeting im Büro von Noise-Chef Karl Ulrich Walterbach. An der Wand hing dieses Gemälde von Phil Lawvere. Wir waren zu der Zeit Die-Hard-Fans von H. P. Lovecraft, Robert E. Howard und dieser ganzen okkulten Fantasy-Literatur. Wir fanden, dieses Gemölde passt in die Welt dieser Schriftsteller und fragten, ob dieses Gemälde zu haben sei. Walterbach teilte uns mit, er habe Phil Lawvere die Rechte am Bild abgekauft und es wäre tatsächlich zu haben. Für uns war es natürlich kein Album-Cover, aber es taugte für eine EP.

Wir mussten damals schnell neues Material liefern, weil Noise ungeduldig wurden. “Morbid Tales” war erfolgreich und wir sollten unseren neuen, amerikanischen Schlagzeuger Reed St. Mark vorstellen. Daraus wurde “Emperor’s Return”, weil wir eigentlich noch gar nicht so weit waren. Das Cover haben wir schon selbst ausgewählt. Es ist schon anders als die anderen CELTIC-FROST-Cover, aber ich finde es immer noch geil. Obwohl es voller Testosteron von Jugendlichen ist, die knapp die Pubertät überwunden haben.

“Wir waren Nobodys. Wir waren international verlacht. Wir wollten uns mit CELTIC FROST beweisen.”

Mit “To Mega Therion” folgte ein weiteres enorm wichtiges Album. Für die Nutzung des Giger-Gemäldes lag die Erlaubnis ja bereits zu HELLHAMMER-Zeiten vor, oder betraf das ein anderes Bild von ihm?

Genau, “Satan I” und im Inneren des Gatefolds “Victory III” von H. R. Giger. Als Martin und ich uns im Sommer 1983 kennenlernten, entdeckten wir, dass wir beide Riesen-Fans von Gigers Kunst sind. Gigers “Necronomicon” war für uns die Bibel der Kunst, wir haben das Buch wörtlich jeden Tag von vorn bis hinten durchgeblättert und über die Bilder darin diskutiert. Wir dachten damals schon, wenn wir jemals einen Plattenvertrag kriegen, wäre es schon cool, mit Giger zusammenzuarbeiten.

Unbeschwert und jugendlich frech haben wir Giger einen Brief geschrieben. Er war im Telefonbuch zu finden. Wir hätten nicht gedacht, dass Giger sich jemals melden würde; wir waren ja Nobodys. Er hat uns tatsächlich geantwortet, es entstand eine erste vorsichtige Freundschaft und er ließ uns die Bilder nutzen. Wir waren erstaunt, dass das geklappt hat und voller Ehrgefühl. Wir haben dann bis zum zweiten Album gewartet, bis wir das Gefühl hatten, unsere Fähigkeiten sind einigermaßen gut genug, um diesem Bild gerecht zu werden.

Der Sprung in Sachen Handwerk und Songwriting ist auch im Vergleich zu “Morbid Tales” noch mal beachtlich. Was ist passiert, dass dieser Fortschritt so stattfand? Was hat euch angetrieben?

Wir waren junge Typen voller Adrenalin und Testosteron. Wir wollten gehört werden. Wir waren mit HELLHAMMER in der Schweiz und nach der EP auch international verlacht. Graduell fanden wir das ungerechtfertigt und wollten uns beweisen. Diese Suche nach Wahrnehmung hat aus uns herausgeschrieben.

Wir waren ja auch Fans von dem, was in der Metal-Szene passierte. Zuerst von der NWOBHM und dann Mitte der Achtziger von den amerikanischen und kanadischen Bands, EXCITER, EXODUS und so weiter. Das war eine Pionierzeit, wir wollten dabei sein und die Szene mitgestalten. Diesen Aufbruchsgeist hört man bis heute, weil die Energie darauf totehrlich ist.

Wie kam es zum Covern des Songs “In The Chapel, In The Moonlight” auf der EP “The Collector’s Celtic Frost”, geschrieben von Billy Hill?

Damals hatten SLAYER ihre “Haunting The Chapel”, die wir sehr gut fanden. Und wir kannten diesen Song von DEAN MARTIN, “In The Chapel, In The Moonlight”, geschrieben von Billy Hill und wir mussten immer lachen, weil es sich anhörte wie ein SLAYER-Song. Wir kamen zwar immer ziemlich ernst rüber, aber wir hatten auch Humor. So sagten wir: Wir covern das, dann klingt es wie ein todernster, brachialer Metalsong, dabei ist es ein Cover von DEAN MARTIN. Obwohl der Titel sich wie ein SLAYER-Song anhört.

Es ist eine Momentaufnahme. Wir wussten, dass das nicht auf ein Album gehört. Die Plattenfirma sagte, “Lasst uns das als 12“-Single rausbringen” und das war auch richtig so. Junge Leute, die auch mal kindische Witze machen …

Bei “Into The Pandemonium” war die Entwicklung nochmals ziemlich groß. Ich glaube, ich habe mal in einem Interview mit dir gelesen, dass gewisse Ideen schon zu Zeiten von “To Mega Therion” bestanden, aber aus diversen Gründen nicht umgesetzt werden konnten. Beim Durchhören empfand ich es nochmals als Album mit der vielleicht größten Langzeitwirkung. Es ist enorm vorwärts gedacht und beinhaltet viele für seine Zeit neue Elemente, die wiederum heutzutage auch als Standards im düsteren Metal gelten. Auch hier war es nicht ganz einfach die Platte zu machen.

Dass wir hier etwas Besonderes machen, war zu der Zeit allen klar, außer der Plattenfirma. Wie du richtig sagst, sind all’ diese Elemente heute etabliert in unserer Szene. Das zeigt auch, wie unfähig Noise Records waren, vorauszudenken, strategisch zu denken. Eigentlich ist das essentiell für eine Plattenfirma, die oben mitmischen will.

Noise Records waren buchstäblich gegen diese Platte. Die haben uns im Studio angerufen und gesagt “Macht etwas wie EXODUS oder SLAYER!” Wir mochten diese Musik, aber wir wollten diese Härte mit mehr verbinden. Wir wollten schauen, ob man das mit den ganzen anderen Einflüssen, die wir definitiv hatten, verbinden kann; also klassische Musik, Jazz, New Wave und so weiter. Martin und ich waren fanatische Hörer von CHRISTIAN DEATH, BAUHAUS und die frühen SISTERS OF MERCY. Das war damals alles noch kein Klischee, sondern für die jeweilige Szene bahnbrechend.

Wir waren extrem neugierig darauf, wie es klingt, wenn man Metal mit dieser Musik kombiniert. Die Plattenfirma war dagegen und drohte uns sogar mit dem Abbruch der Aufnahmen. Das machte das Herstellen des Albums unglaublich schwierig. Wir waren noch keine jahrzehntelang erprobten Musiker. Es war eine Grenzerfahrung; wir machten eigentlich Dinge, für die wir noch nicht gut genug waren. Dass die Plattenfirma mit ihren ganzen Telefonaten und Einschüchterungsversuchen gegen uns arbeitete, hat die Platte noch schwieriger gemacht. Ich denke, das Album lebt nicht zuletzt dadurch, dass man unsere Entschlossenheit und unsere Ideale anhören kann. Der Idealismus darauf ist hundert Prozent echt und wir mussten den auch verteidigen. Für jede kleine Entscheidung, jeden Gastmsuiker, jedes kleine Arrangement mussten wir kämpfen. Das ist heute fast undenkbar. Dadurch ist die Platte sehr echt.

Kannst du dir die Platte heute ungetrübt anhören, ohne dass dein Stolz darüber geschmälert ist oder schwingen die unangenehmen Erinnerungen da immer mit?

Ich würde nicht Stolz sagen. Für mich ist das Album persönlich und künstlerisch sehr wichtig, es hat uns den Horizont und die Augen geöffnet. Es hat alle späteren Alben, wie “Monotheist” [CF-Comeback von 2006 – Anm. d. Red.] oder die TRIPTYKON-Alben massiv beeinflusst, daher ist es ein ganz wichtiges Album.

Aber ja, ich kann es mir ungestört anhören. Ich weiß natürlich bei einigen Stellen, was da hinter den Kulissen passiert ist. Dadurch ist es etwas unperfekt. Aber ich höre “Into The Pandemonium” trotzdem gern an, weil wir irgendwie auch gesiegt haben, wenn man so sagen will. Trotz allen, teilweise monströsen Widrigkeiten haben wir die Platte gemacht, haben drei Monate Studiozeit überstanden. Klar hat das Album Makel, aber es ist im Großen und Ganzen genau, was wir machen wollten. Ich höre unsere jugendliche Entschlossenheit und diese hat vieles andere überwunden.

An dieser Stelle wollte ich eigentlich noch ein paar Worte über Toms langjährigen und viel zu früh verstorbenen Kreativpartner Martin Eric Ain wechseln. Leider warf Zoom uns aus unerfindlichen Gründen aus dem Gespräch, das Tom so kurz vor Ende des Slots verständlicherweise auch nicht wieder aufnahm. Obwohl wir über alles Wichtige sprechen konnten, bedauere ich zutiefst, euch diesen Part vorenthalten zu müssen.

Nichtsdestotrotz mein Dank an Tom Gabriel Warrior für das angenehme und sehr informative Gespräch beim Frühstückskaffee sowie die jeweiligen Promoterinnen von All Noir in Deutschland und BMG in London, die diese Erfüllung eines Jugendtraums möglich machten.

Quelle: Tom Gabriel Warrior
28.10.2022

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

Exit mobile version