Changeling
Die Grenzen des Machbaren – Das große Interview zum Debüt
Interview
Über die Vergangenheit des Gitarrenvirtuosen Tom “Fountainhead” Geldschläger kann an anderer Stelle zur Genüge gelesen werden, so auch zusammengefasst in unserer 10-Punkte-Review zum Debüt seines neuen Projektes CHANGELING. Wie es zu der Zusammenarbeit mit Morean (ALKALOID, ehemals DARK FORTRESS) und den weiteren Bandkollegen kam, welche Konzepte hinter dem detailverliebten Album “Changeling” liegen und warum es ganz allgemein ein Referenzalbum für die nächsten Generationen des progressiven Death/Extreme Metals darstellen wird, ergründeten wir gemeinsam mit einem extrem auskunftsfreudigen und stolzen, gleichsam sehr bescheidenen Tom Geldschläger.
Grüß dich, Tom! Schön, dass wir uns “treffen” können, um über dein neues Album zu sprechen. Wie geht es dir nun, da die Platte fertig gestellt ist und die Promo-Kampagne begonnen hat?
[grinst] Ich würde super gern sagen, dass jetzt alles entspannt und cool ist und ich die Früchte meiner Arbeit genießen kann. Leider ist das überhaupt nicht so, weil ich immer noch an der Platte arbeite. Der Atmos-Mix steht an, Playthroughs, diverse Video-Projekte … das heißt, für mich ist das ganze Ding noch lange nicht abgeschlossen und ich freue mich tierisch, dass das Ganze jetzt an die Öffentlichkeit geht und die ersten Reaktionen kommen. Aber ich habe eigentlich gar nicht die Ruhe, mich momentan damit auseinanderzusetzen und das zu genießen. Wahrscheinlich komme ich erst wirklich zur Ruhe, wenn das Album draußen ist bzw. wenn der Dolby-Atmos-Mix ein bis zwei Wochen nach Release erscheint. Dann kann ich mal durchatmen.
Und wie fallen die ersten Resonanzen aus? Hast du schon Feedback bekommen?
Ja klar. Das Album an sich ist ja fast schon anderthalb Jahre fertig. Ziemlich genau vor einem Jahr an meinem Geburtstag im März habe ich für diverse Freunde und Kollegen eine private Listening-Session gemacht. Egal, ob aus diesem privaten Umfeld, von der Presse oder als Reaktion auf die erste Single: ich weiß, dass ich auf jeden Fall etwas Spezielles anzubieten habe. Es soll nicht arrogant klingen, aber das wusste ich auch schon, während wir daran gearbeitet haben. Ebenso, wie ich wusste, dass es auch nicht jedermanns Ding sein wird. Das ist auch völlig okay.
Tom Geldschläger (Foto: Natalia Kempin)
„Ich gehe an die Grenzen des aktuell für mich Machbaren.“
Ich gehe mit dem Album ziemlich an die Grenze des für mich aktuell Machbaren. Wenn ich weiß, dass ich 120 Prozent gegeben habe, habe ich mein Ziel erreicht. Wie es von den Leuten aufgenommen wird, kann ich nicht beeinflussen. Aber dass ich sagen kann, ich habe 120 Prozent gegeben, habe ich erreicht.
Das wirft die Frage auf, wie lange du insgesamt mit der Platte beschäftigt warst.
Wenn sie rauskommt, sind wir bei fast fünf Jahren. Natürlich nicht fünf Jahre am Stück; wie gesagt, ist die Platte jetzt schon länger fertig. Reine Produktionszeit waren es irgendwas zwischen zwei und drei Jahren.
Ursprünglich hast du CHANGELING zusammen mit Gitarrist Christian Münzner gegründet. Musstest du wieder bei Null anfangen, als Christian zu OBSCURA zurückgekehrt ist oder gab es noch gar keine konkreten Songideen zu der Zeit?
Doch, drei Songs, die er beigesteuert hatte, sind auf “A Valediction” von OBSCURA gelandet, darunter zum Beispiel “Solaris”. Ich kann auf jeden Fall sagen, dass das Album ganz anders ausgefallen wäre, wenn wir zusammen daran gearbeitet hätten, da wir auch jeweils sehr unterschiedliche Stile haben, die koexistieren hätten müssen. Ich bin jedenfalls mit CHANGELING, wie es geworden ist, total glücklich. Vielleicht haben wir in der Zukunft noch mal unter anderen Voraussetzungen die Gelegenheit.
Dadurch ist “Changeling” vermutlich für dich ein viel persönlicheres Album geworden.
Ja, total. Es ist ja kein Geheimnis, dass ich nicht unbedingt für ein Straight-Forward-Death-Metal-Album stehen würde. Nicht, dass daran was Schlechtes wäre. Mir sind einfach andere Dinge wichtig. Ein Vorteil ist es für die Leute, die sich für die Arbeit von Christian und mir begeistern können, weil es dadurch mehr Output von allen Seiten gibt.
An welchem Punkt hast du Morean aka. Florian Magnus Maier für CHANGELING gewinnen können und hattest du ihn von Anfang an beim Songwriting im Kopf?
Jein. Ich konnte Flo ziemlich früh dafür gewinnen. Wir kennen uns seit 2017 persönlich. Vorher wussten wir um die Arbeit des Anderen, ich war schon lange ein Super-Fan von ihm. Selbst als es noch ein Projekt mit Chris war, stand fest, dass es eine ‘richtige’ Band mit Sänger, Bassist und Drummer werden sollte – anders als auf meinen bisherigen Solo-Alben, wo sich die Besetzung teilweise von Song zu Song ändert. Aber auch ich wollte in diesem Fall, dass es in jedem Song die gleiche Band ist, wobei sich die Orchestration von Stück zu Stück ändern kann.
Deswegen habe ich – wahrscheinlich schon 2020 oder ’21 – Flo angefragt und es dingfest gemacht. Ich hätte mir das auch nur noch mit ihm vorstellen können. Zum Glück hatte er Bock und war sofort Feuer und Flamme.
Wie kam dann der Kontakt zu Mike Heller und Arran McSporran zustande?
Mike habe ich kennengelernt, als ich mit DEFEATED SANITY auf Tour war. Während er bei MALIGNANCY spielte, haben wir uns so auf einem Festival in Holland kennengelernt und haben uns sofort gut verstanden. Auch wir wussten wir im Vorfeld ungefähr, was der jeweils andere macht und hatten uns schon gegenseitig spielen gesehen. Seitdem hatten wir Bock, was zusammen zu machen und so habe ich ihn einfach angeschrieben.
Man geht ja meistens zu den Leuten, die man kennt, zu denen man eine Connection hat, mit denen man sich sicher fühlt. Du guckst ja nicht auf Youtube zig Gitarrenvideos an und heuerst jemanden wegen seiner Klickzahlen an. Deswegen hatte ich für den Bass-Posten eigentlich jemandem im Kopf gehabt, mit dem ich schon auf Tour war; das hat aber leider terminlich nicht hingehauen. Dadurch bin ich auf Arran gekommen, den ich vorher nicht kannte. Unsere Wild Card, sozusagen. Ich sage immer wieder gerne, dass es eine der besten Entscheidungen war, die ich überhaupt getroffen habe, weil die Zusammenarbeit, das Ergebnis und das Miteinander fantastisch sind. Ich kann nur hoffen, dass das Album ihm auch zu etwas mehr Bekanntheitsgrad verhilft, weil er einer der besten Musiker ist, mit denen ich je arbeiten durfte.
Im Promotext war zu lesen, dass “Changeling” ein Konzeptalbum ist. Magst du darüber schon etwas verraten?
Ja klar. Es ist musikalisch und textlich ein Konzeptalbum. Es laufen verschiedene Konzepte gleichzeitig ab. Musikalisch ist es eine Reise von der Vergangenheit in die Zukunft und es gibt vier Kapitel, die in der Vinyl-Version auf je eine Seite passen. Das erste Kapitel, die Vergangenheit, ist die Beschäftigung mit technischem Death Metal, weil ich das seit “Akróasis” von OBSCURA selbst nicht mehr geschrieben habe. Kapitel eins ist technischer Death Metal mit allen Versatzstücken, die man so kennt. Da sind Zitate von mir selbst drin und Anklänge an meine Einflüsse in dem Stil – DEATH, CYNIC und MORBID ANGEL. Daher gibt es auch drei Gastsoli von Gitarristen, die in diesen Bands gespielt haben [wobei Bill Hudson nicht bei MORBID ANGEL, sondern bei deren Alumni I AM MORBID spielt – Anm. d. Red.].
„CHANGELING ist eine psychedelische Reise.“
Kapitel zwei, das auch unsere erste Single “Abyss” beinhaltet, geht in unerforschtere Gefilde. Wir bewegen uns noch im Technical Death Metal, aber die Machart geht ein ganzes Stück weiter. “Abyss” beispielsweise moduliert komplett um einen Viertelton. In Kapitel drei und vier kommen wir in der Zukunft an. Zumindest so, wie ich mir vorstelle, was man mit diesem Genre alles machen kann, was man, wie ich hoffe, in dieser Form noch nicht gemacht hat. Mir war es wichtig, eine Perspektive anzubieten, was noch nicht in diesem Stil gesagt wurde. Es gibt noch diverse Unterkonzepte darüber, wie das alles funktioniert, aber das ist die lose Klammer.
Textlich beschreibt das Ganze eine psychedelische Reise – wir sagen natürlich nicht, was diese verursacht hat [grinst]. Es geht dann in den Songs durch verschiedene Stadien des Trips – Euphorie, Paranoia, tiefste Ängste aus dem Unterbewusstsein. Im letzten Song “Anathema” kommt das Ganze in der Realität an, aber es ist eine neue Realität. Es ist aus Florians Sicht geschrieben; eine Art Manifest seiner Sicht auf die Dinge.
Abgefahren. Aber als Zusammenhang zwischen Text und Musik absolut nachvollziehbar. Stand der Bandname CHANGELING [dt. Wechselbalg – Anm. d. Red.] schon vorher oder ergab er sich aus dem Textkonzept?
Letzteres. Es gab den Songtitel, dann wurde es der Albumtitel. Eigentlich war es ja als Solo-Album von mir geplant, aber im Zuge des Deals mit Season Of Mist meinten sie, es wäre sinnvoller, es als Band zu vermarkten. Daher habe ich den Albumtitel zum Projektnamen befördert.
Fantastisch ist auch das Artwork von Aaron Pinto. Er hat bisher noch gar nicht viele Cover Artworks angefertigt, oder?
Da bin ich gar nicht auf dem Laufenden. Ich kenne ihn in erster Linie als Person, als Drummer von GUTSLIT. Wir haben uns auf Tour kennengelernt. Daher kannte ich zuerst seine T-Shirt- und Poster-Artworks und war total beeindruckt. Ursprünglich hatte ich sogar ein anderes Artwork und hatte ihn wegen eines Shirt-Artworks gefragt. Als er mir das schickte, war es perfekt für das Album und er war nett genug, es uns dafür verwenden zu lassen.
Hast du deinen Mitmusikern vorgegeben, was sie spielen sollen oder haben sie ihre Spuren selbst ausgearbeitet?
Zu 95 Prozent ist alles vorgegeben. Also, eigentlich zu hundert Prozent, weil ich bei meinen Alben alles immer ausproduziere und Demos mache. Das heißt, selbst die Gesangslinien habe ich mit meiner Stimme im Demo festgehalten, damit klar war ‘Hier passiert das und das’. Schlagzeug und Bass stehen ebenfalls komplett vorher. Aber wie diese Parts genau funktionieren, ändert sich im Verlauf der Produktion.
Natürlich hat Mike seine Parts zum Besseren verändert und Dinge anders gespielt, als ich sie vorher geplant hatte. Arran ist sehr nah an meinen Vorgaben geblieben, aber er hat alles viel besser gespielt. Mit Florian haben wir wahrscheinlich die größten Änderungen gemacht, weil er die Texte geschrieben hat und wir die Gesangslinien bei ihm in Holland auf die Texte angepasst und immer wieder getweakt und rumgetüftelt haben.
Der Flow des Albums wirkt tatsächlich so, als hättest du die Songs in der Reihenfolge geschrieben, wie sie in der Tracklist gelandet sind.
Es freut mich, dass du das so wahrnimmst, aber so ist es natürlich nicht gewesen. Aber ich wollte schon erreichen, dass man das Album als Story, als eine Reise wahrnimmt. Am Ende ist man an einem ganz anderen Platz als am Anfang. Das so auszutüfteln ist auch einer der Gründe, warum ich so lange an diesem Album gesessen habe. Wenn das rüber kommt, bin ich total happy damit.
Kommen wir noch mal zum musikalischen Konzept. Was du über die ersten drei Stücke gesagt hast, ist auf alle Fälle nachvollziehbar. Wenn man die “Akróasis” kennt, freut man sich, dass Tom Geldschläger nach acht, neun Jahren mal wieder Sachen macht, die er damals schon gemacht hat. Ich denke schon, dass einige Fans sehr darauf gewartet haben und sich darüber freuen.
Es hat halt lange gedauert, bis ich diesen Bereich wieder ‘anfassen’ konnte, weil die OBSCURA-Erfahrung so traumatisch war. Ich kann natürlich in keinster Weise vorplanen, wie Leute darauf reagieren. Aber ich kann von Anfang an eine bewusste Entscheidung treffen, ob ich die Leute, die mich von diesem Album kennen, mit ins Boot hole oder nicht und ob ich mit diesem Stil neue Sachen wage oder nicht. Ich habe mich quasi für den Mittelweg entschieden. Es war nicht immer einfach, aber wenn ich mir die bisherigen Reaktionen so anschaue, war es die richtige Entscheidung. Das Album funktioniert als Statement, die Vergangenheit ins Boot zu holen und Impulse für die Zukunft zu setzen – das war mir wichtig.
Auf „Changeling“ sind insgesamt über 50 Musiker zu hören
Großes Kompliment auch für “World What World”. Das Riff auf der Oud geht sofort ins Herz und es ist toll, dass du mit Andy LaRocque einen wahnsinnig unterschätzten Gitarrengott ins Boot geholt hast. Obwohl er auf dem Song für seine Verhältnisse ein wenig untypisch spielt.
Erstmal vielen Dank dafür. Für mich ist es auch super geil, ihn auf dem Album zu haben. Was sein Solo angeht, stehe ich etwas dazwischen, denn es ist genau das, was ich dort haben wollte und es erinnert mich auch an Sachen, die ich mit ihm verbinde. Er ist natürlich auch Profi genug, sich in den Song einzufinden und nicht einfach nur etwas abzuliefern, was er vor 20 Jahren schon gemacht hat. Ich bin auf alle Fälle total dankbar, dass ich so jemanden auf meinem Album haben kann. Das gilt natürlich für alle Gastsoli, aber Andy ist schon sehr speziell für mich. Gerade die DEATH-Alben “Human”, “Individual Thought Patterns” und “Symbolic” haben mich überhaupt erst mit diesem Stil in Berührung gebracht.
Stichwort Gastmusiker: Du hast über 50 Gäste auf dem Album zusammenbringen können. Waren das jeweils schon vorher Freunde und Bekannte von dir oder hast du auch einige ins Blaue hinein kontaktiert?
Beides. Ich habe über die letzten Jahre als Produzent und Orchestrator für andere Bands gearbeitet. Dadurch habe ich über die Jahre einen Pool von Musikern aufgebaut, die ich kenne und mit denen ich schon gearbeitet habe. Diesen Pool habe ich angezapft, in der Zusammenarbeit hat sich daraus aber auch ergeben, dass andere Leute hinzugekommen sind. “Anathema” habe ich z. B. nicht selbst orchestriert, sondern der großartige Felix Gayed gemacht, weil ich das Gefühl hatte, es selbst nicht in der Qualität hinzubekommen. Über ihn bin ich dann wiederum an den Kirchenorganisten Stefan Prost geraten.
Hast du denn persönlich einen Lieblingssong und ein Lieblingssolo auf dem Album?
Ich habe diese Frage schon in anderen Interviews gestellt bekommen und winde mich ein bisschen. Ich wiederhole einfach mal, was ich beim letzten Mal gesagt habe: Mit bestimmten Sachen bin ich noch zufriedener als mit anderen [lacht]. Ich bin dann einfach noch ein halbes Prozent näher an der ursprünglichen Idee hinter dem Song. Deswegen sind für mich der Titelsong und “Abyss” meine Highlights, weil sie dieser Vorstellung ganz genau entsprechen.
“Abyss” ist mit acht Minuten nicht nur ein sehr interessanter Song, sondern auch eine denkbar unkonventionelle erste Single. Gleichzeitig liebt man dafür auch Musiker wie dich und Florian. War das ein Statement?
Ja, darum ging es. Man kann es sich sicherlich leichter machen, als einen achtminütigen, mikrotonalen Song mit Fretless-Gitarrensolo auszukoppeln, aber manchmal gibt es ganz praktische Gründe. Ich habe kein Millionen-Budget und die Videos habe ich noch aufgenommen, bevor Season Of Mist das Album veröffentlichen wollten. Das heißt, das ganze Budget musste ich zusammentragen. Wie macht man denn zu überlangen Songs wie “Abdication” oder “Anathema” ein Video? Deswegen habe ich mit verschiedenen Leuten Konzepte erstellt und “Abyss” war der Song, zu dem wir am einfachsten visuell was sagen konnten.
Deswegen ist es gleichermaßen ein Statement. Mir ist es wichtig, dass ich mit Selbstvertrauen rausgehe und sage ‘Ich erfülle erst mal nicht die Erwartungen’. Die zweite Single “Falling In Circles” ist dann wieder das genaue Gegenteil.
“Abyss” ist zwar kein einfacher Song, aber relativ gut greifbar. Das nachfolgende “Abdication” muss man sich wirklich über mehrere Durchläufe erarbeiten. Das Intro klingt nach Soundtrack, aber auch nach japanischer Folklore. Welche Einflüsse verarbeitest du da?
Ich bin riesiger Fan von Joe Hisaishi, dem Soundtrack-Komponisten der meisten Studio-Ghibli-Filme. Ich verehre und höre ihn schon, seit ich Teenager bin. Da kommen zwei ganz spezielle Einflüsse zusammen. In der Orchestration Hisaishi und seine Soundtracks und gleichzeitig ist es ein Tribut und ein bewusst gewähltes Zitat von KING CRIMSON in den Achtziger Jahren. Die Technik der cleanen Gitarren ist ein klares Zitat von Songs wie “Frame By Frame”. Die Kombination dieser beiden Elemente macht die erste Hälfte des Songs aus.
Der letzte Song “Anathema” stellt das Publikum vor noch größere Herausforderungen [und belohnt es gleichsam, wie wir nachträglich ergänzen müssen – Anm. d. Red.]. Das ist dann wohl der Song, den du schon ein paar Mal als Fortsetzung des OBSCURA-Songs “Weltseele” angekündigt hast.
Genau, das war die grundlegende Idee. Auch hier war die Frage, wie ich das mache, wenn ich die Idee von einem 15-minütigen Death-Metal-Longtrack mit Orchester wieder aufgreife. Einfach nur um’s zu machen die gleiche Formel wiederholen oder will ich versuchen, eine ganz andere Struktur zu finden, die vielleicht auch vor den Kopf stößt und ein paar Durchläufe braucht?
So war es aber damals auch. Ich weiß noch, als “Akróasis” rauskam, haben die Leute grundsätzlich erst mal negativ auf “Weltseele” reagiert. Über Tage, Wochen, Monate hat sich das verändert, als sich die Fans langsam reingehört haben. Vielleicht klingt es arrogant für manche Leute, aber mir ging es schon immer darum, Stücke zu schreiben, die es vorher noch nicht gab. Etwas ‘nachzustellen’ kann mir professionell total Spaß machen, aber wenn mein Name draufsteht, möchte ich, dass du etwas kriegst, was du von anderen Leuten nicht bekommst.
So arrogant ist das gar nicht. Man kann es auch als Voraussetzung verstehen, unter der wertvolle Kunst entstehen kann. Ging es dir nur darum, noch mal ein bombastisches Death-Metal-Epos zu schreiben? Mit der Ankündigung als “Weltseele 2” wird ja fast automatisch eine Verbindung zu deiner OBSCURA-Vergangenheit hergestellt.
Du musst auch dafür die Timeline sehen. Als ich angefangen habe, den Song zu schreiben, war es noch nicht so, dass die Leute sich in gleichem Maße wie heute fragen, wer bei OBSCURA was geschrieben hat. Ich musste sehr lange darum kämpfen, von den Leuten wahrgenommen zu werden als jemand, der überhaupt Musik auf “Akróasis” geschrieben hat. Wenn ich eine Fortsetzung zu “Weltseele” schreibe, kann mir das keiner nehmen, denn es kann kein anderer in diesem Kontext. Kann ja gerne mal jemand versuchen, es mir dieses Mal wieder wegzunehmen. Das wird nicht funktionieren.
Plant ihr Live-Auftritte mit CHANGELING und wenn ja, in welchem Setting?
Zunächst brauchen wir noch eine Booking-Agentur. Ich habe fest vor, es auf die Bühne zu bringen. Als Solo-Künstler habe ich schon zwei Songs von CHANGELING auf meiner Tour in Indien vorletztes Jahr gespielt. Dem steht nichts im Wege.
„Wir hätten gerne eine Booking-Agentur!“
Ich würde mich mega freuen, wenn sich eine Booking-Agentur findet, weil ich komplett ausgelastet bin mit der Musik. In Puncto Booking brauche ich definitiv Hilfe, aber sobald das der Fall ist, kann es los gehen. Ob es eine zweite Gitarre erfordert, werde ich herausfinden müssen.
Lassen sich die Songs denn mit einem Instrument durchspielen oder wechselst du innerhalb des Songs im Studio zwischen Fretless und bundierter Gitarre?
Ja, da habe ich mir selbst eine Falle gestellt. Es ist super geil, beim Komponieren mit verschiedenen Möglichkeiten zu experimentieren, aber man macht es sich damit nicht einfacher. Ich bräuchte theoretisch eine Double-Neck-Gitarre. Aber solange das Storytelling und das Feeling rüberkommt, habe ich kein Problem damit, beispielsweise einen bundierten Song, der ein Fretless-Solo hat, auf der bundierten Gitarre durchzuspielen.
Du hast dich ja auch um den Sound auf “Changeling” selbst gekümmert. Der hört sich nicht nur fantastisch, sondern auch nach vielen schlaflosen Nächten an.
[lacht] Voll! Ich habe fast zwei Monate nur diese Platte gemischt. Das mache ich so nicht noch mal. Ich war im ‘cabin fever’ und bin wirklich die Wände hochgegangen. Wenn ich ein zweites Album mache, plane ich zum Wohle meiner geistigen Gesundheit einiges anders. Zum Glück kann ich durch Erfahrungen beim Songwriting einige Dinge vorplanen, wie sie dann im Mix passieren, sonst wäre ich unter dem Mix zusammengebrochen. “Abdication” hat mit 450 die meisten Spuren! Es ist am Ende sehr räumlich geworden, aber mir ging es darum, eine Geschichte ästhetisch zu präsentieren und nicht aktuellen Szene-Standards gerecht zu werden.
Wird es weitere Musik unter dem Namen CHANGELING geben?
Ja, der Deal mit Season Of Mist sieht vor, dass da noch mehr kommen kann. Ich hatte nach 20 Jahren im Musikbusiness noch die wirklich die Gelegenheit, dass ich ein Follow-Up schreiben muss, weil selbst meine Solo-Alben ganz unterschiedliche Konzepte haben. Darauf habe ich jetzt aber total Bock. Da ist noch einiges an Potential, was ich gern nutzen würde.
Tom, vielen Dank für das Interview. Alles Gute mit CHANGELING wünschen wir dir!
Ich hoffe, dass das Album eine Kehrtwende einleitet, nachdem kaum in der Metal-Presse besprochen wurde, was ich die letzten Jahre gemacht habe und CHANGELING von allen Leuten wahrgenommen wird, die sich für diesen Stil interessieren und die “Akróasis” mochten. Mich würde es froh machen, wenn ich den Leuten die für mich bestmögliche Klangerfahrung liefern kann. Ich bin sehr stolz und weiß auch, dass alle anderen Musiker auf dem Album sehr stolz darauf sind.
