End Of Green
"Das sind unsere Lieder, da können wir machen, was wir wollen."
Interview
Nach (fast) 30 Jahren, nehmen END OF GREEN ihr Debüt-Album neu auf und kombinieren die alten und neuen Aufnahmen auf dem Doppelalbum “Twinfinity“. Wir sprechen mit dem Gitarristen Sad Sir über die alten und neuen Aufnahmen, die Unverständlichkeit von Trends und darüber, ob früher alles besser war.
Es sind fast 30 Jahre seit dem Release eures Debüt-Albums “Infinity“ vergangen, jetzt gibt es die Neuaufnahme in Form von “Twinfinity“. Aber um von vorne zu beginnen: Mögt ihr “Infinity“ 30 Jahre später noch und habt ihr das Gefühl, dass es gut gealtert ist?
Ja – und ich darf das sagen, ich war bei den Aufnahmen damals ja noch nicht dabei. Als „wir“ “Infinity“ aufgenommen haben, war ich noch gar nicht mit in der Band, da war ich quasi ein Bandkumpel und wir kannten uns, weil ich in anderen Bands gespielt habe. Ich fand die Platte super und ich finde sie immer noch super.
Ich höre sie mir immer noch an, höre sie heute aber anders als ich sie 1996, 1997 angehört habe. Ich höre sie mit anderen Ohren, speziell nachdem ich ja dann nach der Platte dazukam, beziehungsweise während der zweiten Platte. Aber ich finde, es ist eine gut gealterte Platte. Was mich ein bisschen irritiert ist, dass sich bei den Dingen, über die wir da singen, nichts geändert hat.
Wenn du ein Lied von “Infinity“ hättest streichen können, welches wäre das gewesen?
Oh Gott, streichen? Also rückwirkend würde ich nichts streichen, aber eigentlich haben wir ein paar Lieder. “Tomorrow Not Today“ hat mir plötzlich besser gefallen als es mir früher gefallen hat. Das hätte ich früher vielleicht sogar gestrichen, aber jetzt nicht. Und “No More Pleasure“ hätte ich gestrichen, weil ich mir die ganzen Riffs nicht merken kann, es gibt so viele Riffs in dem Lied, das ist unfassbar. Wahrscheinlich hätte ich damals gesagt: „Nee, viel zu viel Arbeit“, aber mir fiel jetzt auf, dass mir ein paar Lieder mittlerweile besser gefallen als sie mir früher gefallen haben.
Auch schon von der alten Platte oder erst durch die Neuaufnahme?
Durch die Neuaufnahme habe ich die alte Aufnahme vorher wieder mehr angehört und dachte dann das ist eigentlich ganz schön gut, was wir da gemacht haben. “Seasons“ (“Seasons of Black“, Anm. d. Red.) fand ich zum Beispiel immer so okay, aber nie richtig super und mittlerweile denk ich: „Boah, das ist schon ganz schön gut“.
Es ist ein bisschen irre, vor allem mit dem Abstand und dazu kommt, dass ich damals tatsächlich nur ein Beobachter oder Zuhörer war und es dadurch komplett anders gehört hatte als die anderen. Die anderen sagen zum Beispiel “No More Pleasure“ ist das beste Lied und ich dachte mir nur wo kommen die ganzen Riffs her?! Im ganzen Lied wiederholt sich ja fast nichts.
Haben die anderen wilde Geschichten über die Aufnahme von “Infinity“ erzählt?
Ja, das ist über die ganzen Jahre immer mal wieder Thema, dass da das Budget – Kost und Logis, die Spesenrechnung eben –am ersten Abend aufgebraucht war, weil alle sich so gefreut haben, dass sie jetzt mal irgendwo in einem Gasthof schlafen und nebenan im Studio sind und dann einfach viel zu viel getrunken haben. (lacht) Da haben sie mit Nuclear Blast direkt den ersten Ärger gehabt, weil die Rechnung wohl tatsächlich relativ hoch war was die Getränke anging, aber das ist eben das Leben und wir waren ja auch alle ganz schön jung.
Das ist echt ein losgelassener Sauhaufen gewesen damals und ich höre noch viele Geschichten und für mich ist es lustig, weil ich mit meiner Band damals auch in dem Studio aufgenommen hatte mit dem gleichen Produzenten und so kannte man sich dann ein bisschen. Aber wenn ich die Geschichten von damals höre, bin ich manchmal auch ein bisschen froh, dass ich nicht dabei war.
“Infinity“ ist auf “Twinfinity“ in Gänze enthalten. Wieso habt ihr die Entscheidung getroffen, beide Aufnahmen zu kombinieren?
Bloße Re-Releases finde ich immer ein bisschen langweilig. Wir wären damit durchgekommen, glaube ich, weil es die Platte nie auf Vinyl gab, nur auf CD, aber wir dachten, da muss irgendwas hin. Es war ein Gedanke, dass wir immer mal einen Re-Release von der Platte machen wollten auf Vinyl und dann haben wir den wie so oft aber verworfen oder einfach nicht dran gedacht und gesagt jetzt machen wir was Neues. Dann hatten wir aber die Schnapsidee, die alten Lieder einfach mal neu aufzunehmen.
Wir spielen “Away“ zum Beispiel relativ oft live und das hat sich über die Jahre ein bisschen verändert und da dachten wir, wir spielen das im Studio kurz neu ein und gucken wie das klingt. Und dann dachten wir komm, wir probieren noch eins – und noch eins und dann dachten wir, wir nehmen die Platte einfach noch mal neu auf, so wie wir sie jetzt aufnehmen würden. Wir sind anfällig für Schnapsideen und für Gehirnfürzchen und da haben wir uns gedacht „das machen wir einfach“ und das haben wir gemacht. Erst Lied für Lied und dann noch eins und dann noch eins und dann dachten wir, jetzt können wir auch vollends alles aufnehmen.
Nachdem wir dann mit Reaper Entertainment ins Geschäft kamen, haben wir einfach gefragt, ob es denn möglich wären, dass wir beide Platten da drauf machen, eine mit “Infinity“ und eine mit der “Twinfinity“. „Ja klar, können wir machen.“ Super, dann machen wir das. Es ist auch super, weil ich selber einer bin, der immer ein bisschen skeptisch ist, wenn eine Platte neu eingespielt wird. Angenommen jemand hat unsere Platte in der Hand und sagt: „Die neuen Versionen finde ich aber doof“, dann zack – einfach die andere Platte rausholen, da ist exakt die alte Version drauf. Und wenn jemand die alte Version doof findet und sagt: „Klingt aber ein bisschen dünn der Sound damals“, dann zack – andere Seite, Neuaufnahme.
Es ist für jeden was dabei und da kann man auch nicht motzen. Fast überpragmatisch für unsere Verhältnisse, aber wir dachten, wir würden auch gern die alte Platte mal auf Vinyl haben und die neue sowieso, dann können wir das kombinieren.
Das heißt es hat sich auch eher organisch entwickelt und am Anfang stand nicht eine große klangliche und visuelle Vision für die Neuaufnahme?
Wir sind ganz miserabel was Visionen angeht. Wir sind was vieles angeht sehr, sehr impulsgetrieben – oder sagen wir mal schnapsideengetrieben. Wir machen was und wenn das dann einigermaßen gut ist, dann machen wir das auch gewissenhaft, aber dieses: „Komm, lass uns zum Jubiläum mal…“, nee. Jeder andere würde den Re-Release zum 30-jährigen Jubiläum machen, aber wir machen das eben zum 29-jährigen. (lacht)
Man muss aber auch sagen bei einer Platte, die 29 Jahre alt ist, sind die Lieder noch älter, die sind ja vorher schon entstanden. Dann kann man runde Zahlen auch wegwischen und so haben wir das jetzt einfach durchgezogen, aber tatsächlich ohne großes anfängliches Konzept. Das Konzept kam dann eher als wir gefragt haben, was eigentlich machbar ist, also Doppel-Vinyl und Doppel-CD, und dann wurde da ein Konzept draus. Aber der Anfang war einfach nur eine Schnapsidee von fünf Idioten, die gesagt haben: „Probieren wir mal“.
Welches ist denn dein Lieblingsformat der neuen Platte? Ist das die Vinyl?
Ja, ich habe wahnsinnig viel Vinyl zu Hause, aber auch wahnsinnig viele CDs. Ich bin bei CDs aber zu faul zu gucken, wo die ist, weil ich einen Riesenschrank habe. Dann gucke ich online, meistens auch bei Spotify oder ich hab die mp3s auf meinem Rechner in iTunes, und so finde ich das entspannter. Das schönere Musikhören ist für mich aber tatsächlich, die Platte aufzulegen.
An “Infinity“ kommt man schon ran, wenn man es möchte, aber nicht im Sinne der Überallverfügbarkeit auf Spotify und Co. Im Zuge von “Twinfinity“ wird sie das aber bestimmt sein oder?
Genau, dann kann man die auch in allen gängigen Streamingformaten abrufen, wenn man das mag. Ich persönlich mag’s eher auf Platte, aber das ist Geschmackssache und Platten sind auch wahnsinnig unpraktisch. Im Auto kann ich keine Platte hören, wenn ich im Auto gern Musik hören will, nehme ich selten meine Vinyl mit und lege die dann auf. Die Romantik von Vinyl, die habe ich, mag ich auch, aber praktischer ist natürlich ein Stream oder eine CD.
Das mit der Mystik der Rarität von Musik ist ja schon seit einer Weile vorbei…
Der Vinylmarkt ist mittlerweile sowieso sowas von irre. “Twinfinity“ gibt’s jetzt auch in mehreren Varianten mit verschiedenen Farben. Mir persönlich hat sich nie erschlossen, dass es Leuten gibt, die alle Farben haben wollen. (lacht) Also ich gehe in einen Plattenladen oder ich bestelle irgendwas und dann steht da schwarzes Vinyl. Ja, nehme ich. Wenn da grünes Vinyl steht und es kostet nicht allzu viel mehr, dann nehme ich‘s vielleicht auch, aber dass ich mir rotes, grünes und noch marbled Vinyl kaufe, das brauche ich nicht, da bin ich altmodisch was das angeht. Zumal, was will ich dann damit?
Ein Bekannter von mir hat sechs verschiedene ELECTRIC WIZARD Platten, sechsmal die gleiche Platte, aber in verschiedenen Farben. In Schwarz klingt sie genauso gut wie in Rot, oder? Und verkaufen wird er sie auch nie, also ist es auch keine Wertanlage. Ich verstehe das nicht mit diesem Vinylmarkt, diese Vinylsammlerei. Platten kaufe ich mir immer gern, aber mir ist dann echt Wurst, ob das grün, rot, gelb oder sonst was ist. Das einzige, das ich nicht mag, da ich selbst ab und zu als DJ tätig bin, sind durchsichtige Vinyls. Wenn man im Club auflegt, kann man nicht sehen, wo das Lied anfängt und das macht mir keinen Spaß, aber ansonsten gebe ich Vinyl immer den Vorzug.
Auf der Welt und in euren Leben hat sich in den letzten 30 Jahren sicherlich viel geändert. Haben die Songs auf “Infinity“ für dich immer noch dieselbe Bedeutung wie damals oder haben die Neuaufnahmen auch zu einer Art Neubewertung geführt?
Ich glaube, was man nicht machen darf, ist, dass man zum Beispiel die Gedanken, die damals in den Liedern vorherrschend waren, noch mal ändert oder hinterfragt oder den Zeiten anpasst, das hätte ich doof gefunden. Natürlich würde man heute viele Sachen anders oder gewählter ausdrücken, aber das war damals nicht der Punkt. Der Punkt war das sollte so raus und das musste so raus und deswegen bewerte ich das nicht neu.
Es ist nur einigermaßen erschreckend, mir das anzuhören und zu sagen: „Ach, haben wir da ein Lied gehabt, wie scheiße es ist, dass auf der Welt Kinder in Kriegen sterben? Oh, wow, haben wir wieder.“ Oder es hat nie aufgehört. Dass viele von den Problemen nach wie vor da sind, war dann eher ein Grund mehr, da nichts anzupacken oder zu verändern oder nicht schlauer wirken zu wollen, als man das damals war, sondern das einfach gerade noch mal so rauszugeben, weil es immer noch so ist. Man braucht nur die scheiß Tagesschau anmachen und dann könnte ich mich schon wieder hinlegen.
In den letzten 29 Jahren hat sich einiges getan. Ich sitze hier im Kinderzimmer und von daher habe ich natürlich mit einem sechsjährigen Sohn einen komplett anderen Blick auf die Welt oder auf die Zukunft. Besser ist es leider nicht. Wenn ich damals dachte die Welt ist schlecht und wie sie jetzt ist… Das hätten wir damals auch nicht sagen dürfen. Es geht immer schlimmer. Wenn sich etwas tatsächlich geändert hat, dann ist das der persönliche Umgang mit einer Welt, die komisch ist oder die besser sein sollte.
Vor 20, 29 Jahren hatte ich noch eine Scheiß-drauf-fuck-you-Einstellung. Ich schlag mal was kaputt, dann geht’s mir besser. Aber mit einem sechsjährigen Sohn will ich nichts kaputtschlagen, ich will, dass es gut wird. Und dann geht man es tatsächlich von einer anderen Seite an, das flaue Gefühl im Magen mit der Welt. Und dass es von meinem flauen Gefühl allein nicht besser wird, wissen wir, aber man tut was im Bereich des Möglichen ist für jeden, dass die Welt hier für jeden einigermaßen schön erlebbar wird.
Das hat sich glaube ich geändert, wir sind ein bisschen weniger nihilistisch als wir das früher waren, ein bisschen ausgependelter. Man geht auch besser mit Schicksalsschlägen um. Oder was heißt besser, abgeklärter vermutlich. Die Themen sind gleich geblieben, aber wie wir an die Sache herangehen, hat sich dann doch stark verändert. Es wäre ja traurig, wenn wir nach 20 Jahren immer noch so drauf wären. Es ist schon ganz okay, dass wir uns da ein bisschen verändert haben.
Spannend, dass du das sagst, das war nämlich auch genau der Eindruck, den ich von “Twinfinity“ hatte. Für mich persönlich klingt es nach weniger Scheißegal-Attitüde und mehr aufrichtigen Emotionen oder einem größeren Spektrum an Emotionen, das man auf der Platte hört.
Dankeschön! Ich glaube, dass man früher viele Probleme oder viele Sachverhalte einfach damit beendet hat: „So eine Scheiße. Ach, scheiß drauf“, aber man hat ja gesehen, was aus dem „scheiß drauf“ wurde, es ist ja nicht besser geworden. Mittlerweile geht man damit ein bisschen tiefer oder ein bisschen ernsthafter um. Ich kann mich ablenken so viel ich will, wenn ich morgen früh aufstehe, ist scheiß Donald Trump immer noch da, ist die scheiß AfD immer noch da, ist die scheiß CDU immer noch da. Da man ist dann realistisch genug, aber nicht so abgefuckt, dass es einem egal ist.
Früher konnten einem Dinge egal sein, weil man eigentlich auch ein bisschen wusste, dass es nie eintreten würden. In den 90ern gabs die Republikaner oder die NPD, scheißegal irgendwie, natürlich war ich gegen die, aber ich hatte nie ernsthaft in Erwägung gezogen, dass die in eine Regierungsverantwortung kommen könnten und das ist jetzt anders, da komme ich mit „scheiß drauf“ nicht mehr weiter. Da muss man ein bisschen aktiv oder aktiver oder wachsamer oder abgeklärter werden oder auch mal die Nachrichten einfach aus lassen und einfach mal nicht jeden Tag online durchscrollen und ständig die Hände überm Kopf zusammenschlagen und denken „ach du liebe Güte, wie dumm sind wir eigentlich“.
Obwohl die Stimmung eine andere ist, habt ihr die Songs sehr behutsam angefasst. Wo war eure Grenze, was Änderungen betrifft?
Michelle (Darkness, Sänger, Anm. d. Red.) ist im Prinzip vorausgegangen und hat das grobe Gerüst gemacht. Wir wollten nicht wirklich den Charakter verändern, sondern eher noch eine Melodie mit reinmachen. Es gibt Melodien, die wir live schon in den letzten Jahrzehnten immer gespielt haben und die konnten wir jetzt endlich auch aufnehmen. Es waren eher solche Veränderungen, aber dass man sagt lass uns aus “Left My Way“ eine Punkrocknummer machen oder so, das war nicht der Gedanke.
Wir wollten die Lieder in ihrer Grundform erhalten und einfach gucken, wie wir 29 Jahre später mit diesem Gerüst umgehen oder wie wir das ausfüllen, aber uns war klar, dass man was Eckiges nicht rund machen kann oder umgekehrt. Wir sind behutsam vorgegangen, aber in dem Rahmen haben wir glaube ich einiges ausgereizt mit Melodien – oder auch, dass wir den Takt halten. Wenn du dir “Infinity“ anhörst, haben wir da Temposchwankungen drin, das ist der Hammer.
Eigentlich sagt man ja, dass das Musik heutzutage fehlt, also dass Musik heutzutage viel zu klinisch, viel zu sehr auf den Punkt gespielt ist und die Dynamik verlorengegangen ist, aber wir hatten damals echt ganz schön viel Dynamik drin. Da ist ein Lied am Schluss 13 Beats schneller oder langsamer als wir es angefangen haben und sowas haben wir dann in ein einigermaßen vernünftiges Maß gegossen.
Fast alle Re-Recordings sind länger als die 1996-Aufnahmen, “Infinity“ sticht mit fast drei Minuten besonders heraus. Wie ist es dazu gekommen?
Wenn wir “Infinity“ live gespielt haben, war das Lied immer automatisch länger als auf Platte. Wir haben ein Faible für diese ausufernden Lieder. Die fangen langsam an, dann steigern sie sich langsam und dann hören wir nicht mehr auf. Auf Platte denkt man sich irgendwann jetzt hören wir mal lieber auf, aber live haben wir festgestellt, dass man eine Spannung noch weiter aufbauen kann. Und dann haben wir es einfach da gemacht, wo wir uns danach gefühlt haben und gedacht haben, das können wir bringen.
Eine Stoppuhr hatten wir nicht dabei, aber dann denkt man das fühlt sich gut an, spielt‘s noch mal, noch mal und noch mal und das macht auch echt Spaß. So würden wir es live spielen. Es kann live zum Beispiel bei uns durchaus vorkommen, dass wir uns allein durch Blickkontakt gegenseitig versichern: „Das Ding hört jetzt noch nicht auf! Wir machen das noch mal eine Runde“, obwohl es auf Platte schon längst fertig wäre.
Bei der Neuaufnahme konnten wir dann sagen drauf geschissen, dann ist es jetzt eben 8 Minuten lang und das machen wir jetzt einfach. Es ist ja unser Lied. (lacht) Das ist dann der Gedanke. Manchmal denkt man sich ja hoffentlich werden die knallharten Fans nicht böse, aber andererseits denk ich mir nö, das sind unsere Lieder, da können wir machen, was wir wollen. Wir gehen schon mit einer Sorgfalt ran, dass auch der Die-Hard-End-of-Green-Fan das nicht scheiße finden wird und sonst – einfach die andere Seite rausholen und sagen ach, Mensch, da ist die gute Version.
Was ist denn dein Lieblings Live-Song von dem Album?
Ich glaube “Left My Way“, aber den Song haben wir seit Jahren nicht mehr live gespielt und “Away“, das haben wir relativ oft gespielt und das macht immer Spaß. Der Song ist so direkt ins Gesicht, der ist echt toll, der brüllt einen an, aber “Left My Way“ ist cooler zum Spielen. Dieses Gefühl, dieser Groove gefällt mir sehr, sehr gut.
Ihr habt auch angedeutet, dass neues Material in der Pipeline steht. Mit “Twinfinity“ wird natürlich keine neue Tour draus, weil ihr die Songs sowieso schon so spielt, aber wie sieht es mit neuen Songs aus?
Gerade solche Konzerte gibt es ja relativ oft, bei denen Bands eine Tour machen, auf der sie am Abend eine Platte durchspielen, das mag ich nicht. Ich unterscheide immer sehr gern zwischen live und Platte. Eine Platte braucht eine eigene Dynamik oder eine eigene Dramaturgie und ein Konzert auch und die sind meiner Ansicht nach nicht deckungsgleich. Dann spiele ich lieber live eine Auswahl aus vielen Platten.
Wir haben in den letzten Jahren eigentlich nur doof rumgesessen und Corona über uns ergehen lassen. Wir haben aber natürlich auch weiterhin Musik gemacht und Musik geschrieben und haben jetzt schon einiges an Material zusammen und ich glaube, ich kann sogar sagen, dass im Herbst eine neue Platte kommen wird. Das ist der Plan. Nachdem wir sieben Jahre lang nichts gemacht haben, kommen in einem Jahr gleich zwei Platten.
Ich hoffe, dass wir dank Reaper Entertainment jetzt auch wieder ein bisschen mehr Stabilität und auch Bock auf Stabilität bekommen, weil es gerade irgendwie schön ist, mit denen zusammenzuarbeiten und wir auch das Gefühl haben, dass man uns da ernstnimmt, versteht und auch mit uns umzugehen weiß. Jetzt werden neue Lieder kommen, eine neue Platte, vielleicht noch eine neue Platte und wer weiß, vielleicht machen wir noch viel mehr Platten, die inhaltlich auch zusammenhängen.
Also gibt es vielleicht doch eine große Vision?
Ich würde es nicht Vision nennen, aber so einen leichten Plan, der hoffentlich auch in die Tat umgesetzt werden wird. Es ist immer ein bisschen schräg, wenn man sich was ganz, ganz, ganz Großes vornimmt, dann kommt immer irgendwas dazwischen. Aber der Plan ist, dass wir uns jetzt mal an den Plan halten.
Ihr kennt euch schon sehr lange, wie hat sich Art wie ihr in der Band zusammenarbeitet, im Laufe der Jahre verändert?
Wenn man mit drin steckt, ist es immer merkwürdig, da selbst raufzugucken. Auffällig ist, dass wir früher mehr gejammt haben, also dass wir uns eher im Proberaum betrunken haben, dann haben wir irgendwas gespielt und dann haben wir gesagt oh, das war aber ganz gut, das machen wir das nächste Mal wieder. Jetzt durch die moderne Heimelektronik geht’s dann eben auch, dass ich zu Hause was aufnehme, ich schick‘s an Michelle, der sagt warte mal, dann spielt er was drüber, schickt’s wieder her oder Michelle produziert ein komplettes Lied aus und sagt guck mal, fällt dir was ein oder komm doch bitte morgen mal vorbei und spiel was ein.
Ich glaube, wir haben uns der modernen Unterhaltungselektronik ganz gut hingegeben und machen, was ein bisschen schade ist, nicht mehr so viel im Proberaum. Jetzt gehen wir in den Proberaum, um Lieder einzuproben und nicht, um sie zu schreiben. Vieles schreibt sich erst mal zu Hause beziehungsweise mal zu dritt, mal zu viert, mal zu zweit, mal allein und dann wird’s zusammengetragen und dann wenn wir gucken, wie wir die Lieder auf eine Bühne kriegen, kommen wir wieder in die Situation wie es früher war. Aber dann passiert es zum Beispiel auch, dass ein Lied, das auf Platte so klingt, live ein bisschen anders klingt.
Wenn wir was ausprobieren, das ist wiederum schön und da macht’s dann Spaß im Proberaum, aber das Songwriting passiert nicht mehr so wirklich im Proberaum, das passiert zwischen E-Mails und Telefonieren. Wenn wir im Proberaum sind, wir treffen uns ja trotzdem da, dann spielt man sich gegenseitig irgendwelche Sachen vor und sagt wie findest du’s? So haben wir das Beste aus der alten und aus der neuen Welt.
Die Band besteht schon so lange, dass sich die Jubiläen nur so häufen. Wenn man sucht, kann man eins finden. Kommt da Nostalgie bei dir auf oder bist du eher Typ immer weiter?
Lieber weiter. Ich gucke gern nach hinten und denk das war cool, aber dann muss ich geradeaus weitermachen. Ich hab immer Angst, dass man irgendwann in diesem „Opa erzählt vom Krieg“ endet. Es ist unvermeidlich, man verklärt immer die Vergangenheit. Man denkt vieles, das früher war, war voll gut, früher war alles voll toll – früher war nicht alles toll, früher war ziemlich viel beschissen. Aber man hat immer nur das Tolle im Hinterkopf und dem sich ab und zu hinzugeben finde ich super, aber das kann ich nur mit gutem Gewissen machen, wenn ich weiß, dass da vorne noch eine Zukunft ist.
Ich möchte auch nicht, dass END OF GREEN immer klingen, wie sie 1996 geklungen haben. Wenn ich kein 2025, 2026 im Hinterkopf habe, dann ist es nur noch eine Nostalgieveranstaltung, das ist ganz schlimm. Es war nie richtig gut, es war aber auch nie richtig schlecht und hin und wieder nostalgische Momente sind schön, aber das darf sich nicht als Grundtenor einschleichen.
Hast du noch letzte Worte? Hoffnungen für “Twinfinity“?
Ich hoffe einfach, dass die Lieder irgendjemandem den Tag, die Nacht, den Morgen ein bisschen schöner machen, egal wann. Die Lebensqualität ein bisschen erhöhen und wenn es nicht das ist, dann vielleicht wenigstens ein paar Minuten ablenken von dem ganzen Quatsch, den man in der Tagesschau sieht. Deswegen machen wir das ja auch. Wir machen es auch für uns, wir wollen auch auf andere Gedanken kommen und ich glaube, die Zeiten sind ganz gut für Musik.
Ab und zu mal rausgehen, raus aus diesem Weltuntergang, der einem ständig im Genick sitzt und dann lieber den musikalischen Weltuntergang anhören. Metal, Punkrock, Hardcore oder sowas, da ist immer Weltuntergang und ich weiß es zu schätzen. Ich gebe mich lieber dem Weltuntergang hin und dann hab ich wieder Kraft für den echten Weltuntergang. Da hoffe ich, dass “Infinity“ oder “Twinfinity“, je nachdem, wer auf welche Seite Lust hat, was dazu beitragen kann, dass irgendjemand einen besseren Tag hat als gedacht.
