Enslaved
"Vergesst es und hört euch diesen abgefahrenen deutschen Scheiß an!"

Interview

Über die vielen Jahre der Existenz ist in der Bandgeschichte von ENSLAVED einiges passiert – sowohl musikalisch, als auch hinter den Instrumenten. Mit „Heimdal“ veröffentlichen die Norweger dieser Tage bereits ihr sechzehntes Album und offenbaren einmal mehr nicht einmal den Ansatz von Stillstand. Über die Herkunft der nordischen Ideen, dem Album an sich sowie dem stetigen Entwicklungsdrang der Band haben wir mit Schlagzeuger Iver Sandøy gesprochen.

Schönen guten Abend Iver, ich hoffe Dir geht es gut! Langsam aber sicher rückt der Release von „Heimdal“ näher. Habt ihr bereits ein paar Reaktionen aufnehmen können? Ich gehe davon aus, ihr seid selbst mit dem Output zufrieden.

Oh ja, in jedem Fall. Hinsichtlich externer Reaktionen bin ich mir nicht so sicher, ob bis jetzt bereits Reviews zu lesen sind. Ich habe jedenfalls noch keine gelesen. Ich versuche auch persönlich nicht zu tief in diese Kritiken abzutauchen, denn das macht dich verrückt. Meine Freunde, denen ich das Album vorgespielt habe, scheinen das Teil zu mögen. Ich vertraue deren gutem Geschmack und bin ziemlich happy.

Direkt ans Eingemachte: Black Metal und „Heimdal“. Past und Present. Von dem schwarzmetallischen Grundtenor der frühen Werke seid ihr inzwischen ein gutes Stück entfernt. Wo siehst du weiterhin Parallelen?

Wenn es um meine persönliche Meinung geht, dann sehe ich weiterhin unheimlich viele Verbindungen zu den ganz frühen Zeiten der ENSLAVED-Geschichte. Musikalisch gibt es durchaus Parallelen, wie die Riffs oder das Drumming angelegt sind. Darüber hinaus darfst du nicht die elektronischen Elemente vergessen, welche die Band bereits sehr früh eingesetzt hat. Auch Heute setzen wir immer noch verzerrte Synthesizer, Gitarren und schnelle Drums ein, von daher. Dazu höre ich Ivars Trademarks im Sinne seines Gitarrenspiels heraus. Aber trotzdem muss man natürlich beachten, dass die ersten Alben im Prinzip von Teenagern geschrieben wurden, mittlerweile gehen die Bandmitglieder straight auf die 50 zu, weshalb eine völlig andere Dynamik herrscht. Mit Ivar und Grutle gibt es auch nur noch zwei Gründungsmitglieder, ansonsten hat sich auch an dieser Front vieles getan. Zusammenfassend gibt es also klare Verknüpfungen, zum Beispiel in der Tonalität oder der Ästhetik, aber gleichsam auch große Unterschiede. Es ist anders, aber immer noch das Gleiche.

Ich denke dennoch, dass ENSLAVED über all die Jahre eine bemerkenswert umfassende Entwicklung durchgemacht hat. Anders als viele ursprüngliche Black-Metal-Bands aus Norwegen dieser Zeit.

Nun ja, viele Bands entscheiden sich dazu, ihren Sound zu konservieren, wenn sie ihn einmal gefunden haben, was absolut in Ordnung ist. Ich mag meine AC/DC- oder MOTÖRHEAD-Platten genauso wie viele andere auch. Dabei ging es nie um großartige Entwicklung, sondern die Bands haben einfach das gemacht, was sie eben besonders gut konnten. Für ENSLAVED ging es aber immer darum, einen Schritt voranzugehen und zu schauen, was es an der nächsten Ecke Neues gibt. Es ist wichtig für uns, selbst Teil einer Reise zu sein und nicht stehen zu bleiben.

Von pink-floydschen Soundcollagen

Zum Thema Progression: Ihr habt angedeutet, dass „Utgard“ so etwas wie der Start für etwas war, was mit „Heimdal“ weitergeführt werden soll. Musikalisch kann man denke ich auch von einer logischen Fortführung reden.

Ja, ich würde dir hierbei zustimmen. Es gab schon eine klare Veränderung zwischen „E“ und „Utgard“, während „Heimdal“ dann schon so etwas wie eine Weiterentwicklung von Letzterem sein kann, nicht unbedingt eine vollständig neue Reise. Wir haben den Kurs ein wenig angepasst. „Utgard“ war relativ präzise und ein insgesamt kürzeres Album mit kürzeren Songs, diesmal nehmen wir uns wieder mehr Zeit und entdecken größere Strukturen für uns. Das war ohnehin schon immer eine Besonderheit von ENSLAVED.

Das neue Album beginnt mit dem durchdringenden Ton von „Heimdals Horn“, in Szene gesetzt von Eilif Gundersen (WARDRUNA). Auch wenn das Ganze nicht unbedingt nach einem „Battle Horn“ klingt, so habe ich beim ersten Durchlauf fast schon mehr „back to the roots“ erwartet.

Ich möchte das an dieser Stelle nicht zu weit ausführen, aber der Einsatz des Horns hat nicht den Anspruch, einen Ruf zum Kampf darzustellen. Ich interpretiere es eher als ein Ruf zur Zusammenkunft. Im rein technischen Sinn war die Aufnahme dieses Sounds besonders beeindruckend für uns, denn wir sind mit Eilif an einen abgelegenen See gefahren, wo er das Horn gespielt hat. Der imposante Widerhall von diesem eigentlich sehr ruhigen See nahe Grutles Wohnort hat uns die Möglichkeit gegeben, eine pink-floydsche Soundcollage zu kreieren. Der Sound an sich ist dann meiner Auffassung nach auch keineswegs aggressiv, sondern eher nachdenklich und bietet somit einen entsprechenden Einstieg in „Heimdal“. Die ersten Töne kommen aus einer Unterwasser-Landschaft, dann wird man durch die Oberfläche des Sees in die Welt des Albums hereingezogen, als eine Art Introduktion.

Einmal mehr tragt ihr auf „Heimdal“ alle etwas zu den Vocals bei. Das gipfelt irgendwo in dem Gesangsfeuerwerk „Forest Dweller“.

Weiterhin ist Grutle der Hauptsänger, sowohl was seine gutturalen Vocals als auch den Klargesang angeht. Ich als Produzent habe schon sehr lange dafür plädiert, dass wir mehr von seinen clean Vocals hören sollten, inzwischen ist er selbst auch sehr daran interessiert, diese Seite seiner Stimme weiterzuentwickeln, auch wenn diese schon immer ein Part von ENSLAVED gewesen ist. Als ich schließlich aktiver Teil der Band geworden bin, habe ich ebenfalls etwas mehr übernommen. Dazu haben wir noch Håkon, sodass wir drei Parts einsetzen können. Arve und Ivar steigen eigentlich nur dann hintergründig mit ein, wenn wir für den gemeinsamen Spirit das Gefühl haben, alle singen zu müssen.

Im Jahr 2021 habt ihr die EP „Caravans To The Outer Worlds“ herausgebracht. Diese sollte sowas wie eine Verbindung zum neuen Album darstellen. Warum ist ausgerechnet dieser Song der Übergang zu „Heimdal“?

Das war der Hauptsong einer EP, in der wir die Chance hatten, etwas mehr zu experimentieren. Insbesondere im kreativen Bereich konnten wir einige neue Dinge für uns entdecken. Ich denke man hört dort schon mehrere Aspekte, die auf „Heimdal“ als Album verweisen. Ja, es ist eine Brücke – vielleicht ist es Bifröst höchstselbst zwischen „Utgard“ und „Heimdal“.

Wieder einmal gibt es auf eurem neuen Album unheimlich viel zu entdecken. Dabei erneut die klaren Einflüsse aus Krautrock und Psychedelic Rock der Siebziger und Achtzigerjahre.

Definitiv Krautrock. Ich weiß, dass Ivar und Grutle ein besonderes Faible für die frühe deutsche Elektronikmusik haben. Ich glaube es war damals Euronymous, der die beiden in Musik von Klaus Schulze und anderen eingeführt hat. Sie wollten von ihm Tipps zu den neusten Black-Metal-Veröffentlichungen haben, doch dann hat er gesagt: „Vergesst es, hört euch diesen abgefahrenen deutschen Scheiß an!“. Das war also ein Part von deren musikalischen Einflussbereich generell. Als ich dann zu ENSLAVED gestoßen bin, war ich auch schon ein Fan von diesem roboterhaften Drumsound und mit „Utgard“ und „Heimdal“ sind wir dann richtig tief in diese Sphären vorgestoßen. Ich finde die Einflüsse von KRAFTWERK oder NEU! passen ziemlich gut mit unserer Vorstellung Songs zu schreiben zusammen. Beide Arten von Musik haben diesen mechanischen Charakter mit menschlichem Puls.

„Vergesst es und hört euch diesen abgefahrenen deutschen Scheiß an!“

Gerade weil ihr so viele Ideen verarbeitet – wie sorgt ihr im Songwritingprozess dafür, dass diese am Schluss alle zusammenpassen?

Im Kern schreibt Ivar die komplette Musik, auch wenn wir im weiteren Verlauf kleinere Änderungen hinsichtlich der Arrangements oder der Länge von bestimmten Parts vornehmen. Dennoch sind sämtliche Riffs und instrumentalen Passagen durch ihn geschrieben. Er gibt dann dieses Konzept weiter an Grutle und mich, um die Vocals einzupflegen, die ihrerseits von Ivar und Grutle gemeinsam als Lyrics geschrieben werden.

In „Heimdal“ geht es mehr oder weniger um den Gatekeeper der neun Welten in der nordischen Mythologie. Erzählt ihr direkte Geschichten oder handelt es sich hier mehr um den übertragenden Sinn?

Ich würde eindeutig sagen, dass die Lyrics im übertragenden Sinne zu betrachten sind. Über 30 Jahre hinweg war ENSLAVED nie die Band, welche cartoonähnliche Stories über die nordische Mythologie zu erzählen pflegte wie Marvel oder sowas. Es geht nicht um die Götter und deren Taten, sondern viel mehr darum, die Dinge in einem mentalen Zusammenhang zu interpretieren und im Rahmen dieses Erbes Übertragbarkeiten zu finden, wie wir heutzutage denken und leben. Es ist also metaphorisch und symbolisch zu sehen.

Was hält jemand, der sich genauso mit der nordischen Mythologie befasst, von Marvel und Konsorten?

Ich möchte hier überhaupt niemand kritisieren, das ist natürlich auch völlig in Ordnung. Nur eben Fantasy. Aber es ist eine andere fordernde Herangehensweise, die Dinge vielleicht etwas philosophischer zu betrachten und zu schauen, ob man etwas von Wert für sein eigenes Leben mitnehmen kann, anders als in den plakativen Stories oder Cartoons.

Ihr könnt inzwischen auf einen stattlichen Albenkatalog von sechzehn Studioplatten inklusive „Heimdal“ zurückblicken. Was ist dein persönlicher Favorit?

Da man immer am nächsten dran ist, liegt es nahe hier stets das aktuelle Album zu wählen. Da ich nicht schon ewig ein Teil von ENSLAVED bin, kann ich hier vielleicht etwas objektiver herangehen. In der Zeit als wir richtig dicke Freunde wurden, war ich der Meinung, dass es ein paar großartige Alben gab, aber auch ein paar, die nicht unbedingt unter meinen Favoriten zu finden sein werden. Als wir uns kennengelernt haben war das erste Album, welches ich wirklich unheimlich stark fand „Below The Lights“ aus dem Jahr 2003.

Mein derzeitiger Favorit ist „In Times“.

Ja, in dieses Album war ich als Produzent schon sehr stark eingebunden. Es hat sehr viel Spaß gemacht. Da habe ich einige schöne Erinnerungen an dieses Album.

Quelle: Videocall mit Iver Sandøy
04.03.2023
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