Goat Explosion
"Von Dire Straits bis Death ist alles dabei."

Interview

Mit “Threatening Skies” geht die für den Leipziger Underground sehr wichtige Doom-Kapelle GOAT EXPLOSION in die zweite Runde. Das hoch kreative und stiloffene Album hat das Potenzial, Hörer:innen aus unterschiedlichsten Sub-Genres zu vereinen und dürfte der Band hoffentlich ein paar weitere Türen öffnen. Gemeinsam mit Bassist Alex, Sänger/Gitarrist Basti und ein paar Getränken trafen wir uns im Wohnzimmer des Letztgenannten, um die Facetten des Albums und seine Entstehung näher zu beleuchten. Dort ist die Stimmung zurecht sehr euphorisch.

“Wir sind sehr gespannt auf die Reaktionen, denn wir sind absolut zufrieden mit der Platte. Ich denke, sie ist das beste, was wir zu diesem Zeitpunkt aus uns rausholen konnten. Ich habe das Album einige Male auch einfach zum Vergnügen angehört, was ja eher ungewöhnlich ist, wenn man selbst an der Entstehung beteiligt war”, lautet Bastis Understatement. Alex ergänzt: “Egal, wie sich das Album verkauft oder die Reaktionen ausfallen: Wir sind zufrieden damit. Von Mix über Mastering bis zum Artwork haben sich alle spontanen Entscheidungen perfekt als Ganzes zusammengefügt.”

“Threatening Skies” – Ein großer Schritt nach vorn

Bei “Threatening Skies” fällt zuerst auf, dass es im Vergleich zum ohnehin ziemlich reifen Debüt “Rumors Of Man” (2018) eine deutliche Weiterentwicklung darstellt, mitunter in Bereiche, die man gar nicht erwartet hätte. “Der große Unterschied zu ‘Rumors …’ ist, dass das Songwriting zu dem Album schon fast fertig war, als unser zweiter Gitarrist Franz einstieg. Er hat natürlich seine Parts eingebracht, aber die ganzen Main-Riffs waren hauptsächlich noch von Basti”, erklärt Alex den Unterschied. “Beim aktuellen Album haben Franz und Basti ungefähr zur Hälfte Grundstrukturen der Songs beigesteuert. Das hört man deutlich. Außerdem haben wir uns im Vorfeld mehr über die Stimmung der Songs Gedanken gemacht.” Basti ergänzt: “Bei der ‘Rumors …’ war es größtenteils so, dass ich zwei oder drei Riffs hatte, die wir dann [er nickt Richtung Alex – Anm.] im Proberaum zusammengeführt haben. Bei ‘Threatening Skies’ haben wir in ganz verschiedenen Konstellationen an verschiedenen Parts zusammengearbeitet und so die Songs zusammengefügt. Dadurch entstehen Zufälle, die man einfach nicht planen kann. Außerdem hatten wir durch Corona viel Zeit und uns ohnehin sehr viel Zeit gelassen.”

L – R: Seitz (Drums), Franz (Gitarre), Alex (Bass), Bastian (Gitarre & Gesang). Pic: Salowe Vision

Ihren Erstling “Rumors Of Man” wollen GOAT EXPLOSION dabei auch keinesfalls despektierlich behandeln. “Je mehr Zeit vergeht, desto mehr schließe ich meinen Frieden mit dem Album”, seufzt Bastian. “Der Sound war nicht ganz, was wir wollten. Wir haben vieles separat von einander aufgenommen, Drums und Gesang im Time And Dust Studio, die Gitarren hingegen im Proberaum, während wir für diese Platte alle gemeinsam im Studio waren. War zwar alles cool, aber wir wollten dieses Mal vor allem beim Sound und beim Zusammenspiel eine Schippe drauf legen. Inzwischen, so ein Mal im Jahr, kann ich mir das Album auch freiwillig anhören”, lacht er.

„Wir hörten auf, in bestimmten Genres zu denken.“ – GOAT EXPLOSION

Obwohl das Album sehr episch und konzeptionell wirkt, steckt verhältnismäßig wenig Masterplan, zumindest im Sinne von Reißbrettarbeit, dahinter. Trotz ihrer vielen langen und komplexen Songs wirkt die Platte recht gut zugänglich. “Mit ‘Soil’ und ‘Utopian Rifts’ haben wir zwei Interludes auf dem Album, die wichtig für den Gesamteindruck des Albums sind, denke ich. Es gab überhaupt kein Konzept für das Album. Was uns gefällt, geht immer, aber es gab im Vorfeld keinerlei Vorgaben. Aber durch solche ebenfalls spontan entstandenen Stücke verbinden sich die teilweise unterschiedlichen Songs miteinander”, erklärt der Bassist. “Dadurch soll die Verschiedenheit der Stücke nicht willkürlich wirken”, bestätigt Basti. “Es gab bestimmte Songs, da wussten wir gar nicht, ob die auf dem Album landen sollen. Die haben zum Ende noch mal einen Drall bekommen. Die ganzen langen Songs, ‘Slumbering Judgement’, ‘Sinking Shift’ und ‘Storm Of Sorrows’ haben sich wirklich bis zum Ende entwickelt. Dadurch haben sich verschiedene Ideen zusammengefügt und es war allen relativ schnell klar, wir hören auf, in bestimmten Genres zu denken. Haben wir eben auch ein Death-Metal-Riff auf dem Album, was soll’s.”

Das Cover Artwork wurde von Sascha Knorr gemalt.

Zu diesen gewissermaßen magischen Zufallssituationen zählte auch die Wahl des Albumtitels. Einerseits ist “Threatening Skies” eine Hommage an die US-Deather OBITUARY, die alle bei GOAT EXPLOSION sehr schätzen – wir sollen hier ausdrücklich die Version des Songs auf dem Live-Album “Dead” erwähnen, andererseits auch ein Ergebnis des Cover Artworks, das bereits vorher feststand. Es war allerdings keine Absicht, dass das Artwork auf beinahe jeden Songtitel des Albums eine Anspielung enthält. “Ich glaube, das ist eher die Folge davon, wie Sascha [Knorr, Artwork-Künstler – Anm.] das Album für sich interpretiert hat”, mutmaßt Alex. „Die ganze Zusammenarbeit und Kommunikation mit ihm war übrigens absolut empfehlenswert.“

Über “Threatening Skies”, seine Entstehung und seine Songs

Man kann “Threatening Skies” gedanklich in zwei Hälften teilen. Das Album besteht einerseits aus kompakten Heavy-Doomern ähnlich des Vorgängers “Rumors Of Man” und andererseits aus einigen epischen und abwechslungsreichen Longtracks. Der Opener “Thunder Tower” zählt zu ersterer Kategorie. Der Song befindet sich bereits seit einigen Jahren im Live-Set von GOAT EXPLOSION. “Seitdem hat dieser Song natürlich ein paar Veränderungen erfahren. Dass einige Leute ihn häufig mit MANOWAR vergleichen, wird wahrscheinlich unseren Drummer Seitz sehr freuen.” Das ähnlich “klassische” “Dawn Of The Red” sollte man (auch in Verbindung mit dem Cover Artwork) nicht zu leichtfertig in eine politische Richtung überinterpretieren. „Die Texte sind nur politisch insofern, als dass wir als private Menschen natürlich auch politische Menschen mit politischen Ansichten sind; die Songs selbst sind nicht politisch“, möchte Basti festhalten. „Selbst bei ‘Dawn Of The Red’, aber auch bei ‘Slumbering Judgement’ und ‘Storm Of Sorrows’ ist es eher eine persönliche, philosophische Betrachtung, nicht zuletzt, weil wir unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Ansichten sind.“

Die beiden erwähnten Longtracks werden auf alle Fälle zu den Favoriten einiger Leute gehören. “Wir haben bewusst ‘Slumbering Judgement’ als erste und einzige Veröffentlichung vor dem Release ausgewählt, weil er uns auch sehr am Herzen liegt.” Eine gute Wahl, weil in dem Song auch eine Menge Dinge passieren, die man nicht erwartet hätte, wenn man das Demo und das Debüt kennt. „So ein Song wächst natürlich über einen längeren Zeitraum“, erzählen die beiden. „Wir hatten zu Beginn ein Riff, welches nun insgesamt zwei Mal zu hören ist. Das war der Ausgangspunkt. Dann mussten irgendwie Strophen und Bridges her und auch der Refrain stand schnell. Problematischer war hingegen das Intro oder besser die drei Intros und wir hatten unendlich viele Versionen. Ursprünglich sollte ‘Slumbering Judgement’ sogar der erste Song der Platte werden. Das wunderschöne Solo von Franz am Ende hingegen war eine spontane Sache, die so erst im Studio entstand“, schwärmt Alex und Basti fügt hinzu: „Es war einer der ersten Songs, die wir angegangen sind und einer der letzten, die fertig wurden.“

Menschen aus Leipzig kennen diesen Tresen im Süden der Stadt. Pic: Salowe Vision

Spannend sind solche Songs nicht zuletzt deswegen, weil bei GOAT EXPLOSION intern immer mehrere Einflüsse aus verschiedenen Richtungen aufeinander prallen. So spricht Basti von einem bestimmten Riff in “Sinking Shift” als FATES-WARNING-Riff und meint das gleiche, welches Alex als CROWBAR-Riff bezeichnet. „Von DIRE STRAITS bis hin zu DEATHs ‘Symbolic’ ist aber auch alles in dem Song“, kommentiert der Frontmann. „Der Text benötigte beinahe genauso viel Zeit wie die Musik. Die ersten Zeilen schrieb ich zu Beginn der Covid-Pandemie, die letzten Zeilen, als Putin in die Ukraine marschiert ist. Er ist eine Art Dokument dieser ganzen Zeit und wie ich das verarbeitet habe.“ Ob dann “Storm Of Sorrows” das Resultat ist, wenn GOAT EXPLOSION Bock auf einen Death-Metal-Song mit Doom-Gesang haben? „Ich habe zu der Zeit häufig die zweite GRAVE UPHEAVAL gehört und der Song wäre fast rausgeflogen, weil alle der Meinung waren, dass er vor allem zum Ende hin scheiße war.“, lacht der Sänger. „Im Proberaum haben wir, glaube ich, viel INCANTATION zu der Zeit gehört und es kam die Idee auf, ein Death-Metal-Riff ans Ende zu setzen. Seitz wollte das Ganze dann noch mit BLASPHEMY-mäßigen Höhlenmenschen-Drums garnieren. Wie immer sind auch hier Sachen erst während der Aufnahmen entstanden, was dem Song teilweise im vorletzten Take noch eine neue Gestalt gegeben hat.“ Beiden Musikern fällt es schwer, sich individuelle Favoriten aus “Threatening Skies” herauszupicken; dafür sind beide hörbar zu stolz auf die Wirkung des Albums als Ganzes. Gerade aber mit den drei langen Stücken sind sie besonders zufrieden.

Wie es bei GOAT EXPLOSION weitergeht …

Ob diese epische Ausrichtung die Richtung für künftige Alben vorgeben könnte, vermögen die beiden zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zu sagen. „Ich glaube, ‘Threatening Skies’ lebt davon, dass wir nach ‘Rumors Of Man’ alle unterschiedliche Visionen davon hatten, in welche Richtung es künftig gehen könnte“, mutmaßt Basti. Ähnlich intuitiv wird wohl auch in Zukunft an neuen Songs gearbeitet werden, sodass die weitere Entwicklung spannend bleibt.

„Wir haben definitiv immer Bock, noch mehr und noch coolere Konzerte und auch mal größere Festivals zu spielen“, sinniert er auf meine Frage, ob das Album vielleicht einige weitere Türen für GOAT EXPLOSION öffnen könnte. „Wir haben auch größere Labels angeschrieben, mit Enrico von Cruz Del Sur hatte ich zum Beispiel Kontakt. Aber da war eine Zusammenarbeit zunächst nicht möglich, daher sind wir froh, dass wir seit dem ersten Demo mit Praasti [Sänger der Black Metaller VIDARGÄNGR, Organisator des A Sinister Purpose Festivals und Betreiber von Into Endless Chaos Records – Anm. d. Red.] zusammenarbeiten zu können. Praasti hat immer wieder Bock, unsere Platten zu veröffentlichen und ist begeistert von dem, was wir machen. Als verschrobene Heavy-Doom-Band in diesem Portfolio mit befreundeten Bands wie YOUNA, DEATHRITE oder EVIL WARRIORS zu sein, ist auch geil.“ „Zudem wäre er der letzte, der sich in den Weg stellen würde, wenn ein größeres Label wie sagen wir mal Southern Lord Interesse hätte“, fügt Alex hinzu.

GOAT EXPLOSION und der Metal in Leipzig

Stichwort Leipzig und Into Endless Chaos. Einst war bei den Kolleg:innen vom Deaf Forever ein Leserbrief zu finden, der sinngemäß bemängelte, dass sich die Leipziger Szene in das Umfeld von Into Endless Chaos und den Rest aufteile, wobei alle außerhalb dieses Umfeldes oft übersehen würden. Die beiden schmunzeln. „Das ‘Into-Endless-Chaos-Umfeld’ sind im Endeffekt ‘nur’ eine handvoll Kumpels, die sich seit Jahren kennen, fast täglich miteinander abhängen und in unterschiedlichen Konstellationen und Projekten miteinander Musik machen, Konzerte organisieren und so weiter. Das sind vielleicht zehn Leute, die zusammen zwanzig Bands betreiben. Ist ja fast klar, dass die irgendwie zusammen bleiben.“, meint der Bassist. „Zudem gibt es noch Bands wie DISILLUSION und DARK SUNS, die schon viel länger außerhalb dieses Kreises existieren und eine riesige Szene an Punk- und Crust-Bands, die ihr eigenes Ding machen. Wir haben Kontakte in alle möglichen Richtungen und ich sehe diese Teilung nicht unbedingt. Viele andere Leipziger Bands, die es teilweise schon viel länger gibt, sind bei Labels wie High Roller, Dying Victims und so weiter“, schildert Basti seine Sicht der Dinge.

Als weitere wichtige Bands der an harter Musik reichhaltigen Stadt empfehlen die beiden RUMOURS (die zum Teil aus Dresden sind), EVIL WARRIORS, YOUNA, BLOODY VENGEANCE, DEAD SLOW, CHURCH OF MENTAL ENLIGHTMENT, FIRMAMENT und GEWALTBEREIT.

Quelle: Goat Explosion | Fotos: Salowe Vision
25.03.2023

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

Exit mobile version