Imha Tarikat
"Wie hart ist es eigentlich, ein korrekter Kerl zu sein?"
Interview
Zweifelsohne haben IMHA TARIKAT mit “Confessing Darkness” eines der wichtigsten Black-Metal-Alben des Jahres veröffentlicht. Wir nutzten die längst überfällige Gelegenheit, um mit Mastermind Kerem Yilmaz zu plaudern, der sich wie gewohnt als offener und herzlicher Typ präsentiert. Um IMHA TARIKAT zu erklären, scheut er sich nicht, tiefe Einblicke in sein Inneres zu gewähren. Wieviel davon sich in “Confessing Darkness” verbirgt, lest ihr im folgenden Interview.
Kerem, wenn man ein Album macht, baut man zu jeder neuen Platte eine bestimmte Beziehung oder ein bestimmtes Gefühl auf. Was verbindest du mit “Confessing Darkness”?
Boah … Ich habe immer das Gefühl, ich könnte Stunden lang über solche Fragen nachdenken und immer noch nicht auf eine Antwort kommen. Das Einzige, was immer hängen bleibt, ist Chaos. Es war so eine intensive und schnelle Zeit. Ich habe das Gefühl, ich weiß gar nicht, was so richtig passiert ist [lacht].
Nach “Hearts Unchained” hatte ich das Gefühl, zu mir selbst gefunden zu haben. Danach erst konnte bei mir der Prozess starten, mit mir selbst ins Reine zu kommen und negative Gefühle zu etwas Reinerem zu transformieren, zu einer positiven Energie – statt nur einer Form von Bitterkeit. “Confessing Darkness” ist für mich eine Art Manifest von verschiedenen Gefühlen. Zwar hatte ich über manche Dinge schon im Privaten gesprochen, aber ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, sie auch öffentlich machen, sie ausdrücken zu müssen, um sie akzeptieren zu können.
Jetzt erst, während ich anfange, darüber zu reden, fange ich an, dazu eine Verbindung aufzubauen. Ich glaube, der Grundsatz war ‘Fühlen’ und sich zu erlauben, gewisse Dinge zu fühlen. Aber es war auch schön. In der Band [er meint die Live-Besetzung – Anm. d. Verf.] haben wir neue Freunde aufgenommen, die wir schon sehr lange kennen. Dadurch hat sich eine neue Dynamik entwickelt. Man hat das Gefühl, man baut eine Familie mit auf. Das fühlt sich verdammt gut an. Wir haben mehr Konzerte gespielt, sind mit mehr Leuten in Kontakt gekommen. Die introvertierte Person, die ich eigentlich bin und sich auf der Bühne eigentlich in die Hosen scheißt, hat einen neuen Umgang gefunden. Statt mich zu fragen, ‘Wie kommt dies und das an?’, ‘Was passiert, wenn ich einen falschen Ton spiele?’, konzentriere ich mich darauf, mich zu fragen: ‘Wie kann ich das, was ich den Leuten vermitteln will, auch am besten rüberbringen?’ Dadurch habe ich mehr Selbstvertrauen und Offenheit aufgebaut. Sorry, jetzt habe ich viel geredet [Gelächter]
Kein Problem. Deine Ausführungen passen insofern, als dass “Confessing Darkness” sowohl vielseitiger, als auch roher und streckenweise wütender klingt.
Für mich war es auf jeden Fall eine viel purere Form des Ausdrucks. Das Ziel war, über negative Gefühle in vollster Intensität zu reden. In einem Song wie “Excellent Grief” geht es um einen souveränen und leidenschaftlichen Schmerz, darin aufzugehen und zu verbrennen. Unter dem Anspruch von extremer Intensität kristallisiert sich aber auch etwas heraus. Dadurch ist alles direkter geworden. Ich habe nicht viel darüber nachgedacht, wie eine Songstruktur aussehen sollte, sondern einfach gefühlt, wie ich es haben wollte.
Eine reinere Form des Ausdrucks
Also hast du dir zumindest insoweit Gedanken im Vorfeld gemacht, wie das Album klingen sollte?
Nicht wirklich. Ich habe immer gewisse Gefühle angedeutet und “Confessing Darkness” bzw. Album Nummer vier, bevor es überhaupt so hieß – es hieß vorher “Glorious Darkness” oder “Facets Of Manifold Glorious Darkness” – hat damit angefangen, dass ich Aspekte von dunklen oder sogar bösen Emotionen in einen Kontext bringen wollte, damit deutlich wird: sie sind Bestandteile vom Leben und es gibt Gründe dafür, dass sie da sind.
Das hilft beim Reflektieren der Gefühle. Bestes Beispiel ist meiner Meinung nach Wut. Warum bin ich überhaupt wütend gewesen? Die Antwort ist ja meistens ‘Ich bin traurig, weil …’ oder ‘Ich bin enttäuscht von …’. Man sieht also, dass etwas viel reineres darunter liegt. Manchmal sehe ich Dunkelheit auch wie ein kleines Kind, das beschützt, an die Hand genommen und erzogen werden muss. So musste ich auch eigene Dunkelheiten aussprechen und dadurch ist “Confessing Darkness” persönlicher geworden. Äh, ich habe den Faden verloren, oder? [Gelächter]
Wir waren bei der Frage, ob du dir Gedanken um den Rahmen des Albums gemacht hast.
Genau, vor all diesen Arbeitstiteln hatte ich schon ein ganzes Album aufgenommen, das war so eine Mischung aus Heavy Metal und Black Metal. Es war einfach ‘fist swinging music’ und hat tierisch Spaß gemacht. Aber es war irgendwie nicht richtig. Es macht Spaß, aber ist das überhaupt IMHA TARIKAT? IMHA TARIKAT begleitet mich im August das elfte Lebensjahr und ist fast etwas Sakrales für mich. Der innere, zehn Jahre jüngere Kerem hat zu mir gesagt: ‘Junge, du gehst den falschen Weg’. Als ich dann von Neuem angefangen hatte, ging es super schnell. Dadurch denke ich rückblickend, dass es wichtig ist, sich zu nichts zu zwingen. Das ist ein magischer Prozess, während dem ich versuche, nicht zu viel darüber nachzudenken.
Du wirkst sehr vereint mit deiner Musik, bzw. mit IMHA TARIKAT. Gibt es Momente, in denen du dich bewusst davon abkoppeln musst, bevor es zu vereinnahmend wird?
Also zu “Sternenberster”-Zeiten war ich an einem Punkt, an dem ich das eigentlich gar nicht mehr machen wollte. Das Ding ist, IMHA TARIKAT existieren so lange, wie ich Sehnsucht und Energie dafür habe, etwas auszudrücken. Dadurch hatte ich auch zu dieser Zeit gemerkt, dass das Schwachsinn ist [grinst]. Aber ich habe immer mal wieder Diskussionen mit mir. Der Auslöser war häufig, dass das alles in seiner Intensität auch einen gewissen Lifestyle mit sich bringt.
Für mich ist das ein All-in. Mehr Shows, mit jeder powerst du dich mehr aus. Ich mache den Webshop und verschicke Merch, arbeite mit anderen Leuten die Designs aus und so weiter … das ist ein Vollzeitjob. IMHA TARIKAT ist ja auch die Projektion eines Teils von mir. Aber immer, wenn ich mich frage ‘Kann ich das heute überhaupt leisten’, stelle ich am Ende des Tages fest ‘Geil, ich kann das’. Es ist schön und ich will das.
Wenn ich am Ende weiß, ich mache Leute glücklich, ich mache meine Freunde glücklich und habe mit denen ’ne geile Zeit, dann hat sich das gelohnt. Dann ist es auch egal, wenn ich nach Hause komme und in vier Tagen eigentlich ’ne Hausarbeit abgeben muss.
Gesünderes Aufnehmen bei IMHA TARIKAT
Du hast wie beim letzten Mal mit Michael Zech und Victor Santura zusammengearbeitet. Daher können wir davon ausgehen, dass du mit der Arbeit der beiden sehr zufrieden bist. War es denn ein ähnlich herausfordernder Prozess wie beim letzten Mal?
Ja und nein. Die Herausforderung war anderer Art. Bei “Hearts Unchained” habe ich mit Michael hauptsächlich während des Mixes zusammengearbeitet, Gitarren und Gesang aber zu Hause und im Proberaum aufgenommen. Victor gibt dem Ganzen dann einfach den letzten Schliff. Mit dem habe ich eine super effiziente Kommunikation und er weiß genau, was er tun muss.
Michael hat gesagt: ‘Kerem, komm das nächste Mal zu mir ins Studio und lass uns alles zusammen machen.’ Bei “Hearts Unchained” war das Aufnehmen der Vocals vor allem so herausfordernd, dass mir klar war, dass ich das nächste Mal mit jemandem zusammenarbeiten musste. Am Ende der Session waren sämtliche Möbel im Proberaum zerstört [grinst], das konnte ich mir bei Michael natürlich nicht leisten.
Michael als erfahrener Musiker versteht, wie er mit anderen Musikern umgehen muss. Er hat den perfekten Grad gefunden, den Wahnsinn auszuleben und gleichzeitig die Gesundheit zu berücksichtigen. Satt mich komplett kaputt zu machen, war ich zwar trotzdem noch an der Grenze, habe aber am nächsten Morgen noch funktioniert. Deswegen… waren die Aufnahmen eigentlich in Ordnung [lacht].
Hört sich auf alle Fälle gesünder an.
Auf jeden Fall, ich kann das jedem empfehlen. Leider muss man auch erst mal dahin kommen, so ein Budget zur Verfügung zu haben. So ein Studio kostet viel Geld, das es aber auch wert ist. Zudem habe ich für mein eigenes Produzieren viel mitgenommen. Michael ist ein guter Kerl, der macht keine Betriebsgeheimnisse aus seiner Arbeit. Shout out to my boy!
Er hat auch das Schlagzeugspiel eures neuen Drummers Jerome Reil toll eingefangen. Melvin war schon eine Klasse für sich, doch Jerome spielt auch völlig insane.
Wir haben das Album natürlich ein Stück weit vorbereitet, aber er hatte im Studio auch seine Freiheiten. Michael und ich haben dann dauernd im Mixing-Raum gesessen, während er aufgenommen hat und uns einfach nur angegrinst.
Jerome versteht einfach, was ein Song braucht. Er hat sich sofort in das Konzept eingefunden. Das war einfach eine Synergie… manchmal frage ich mich, was eigentlich mit den Musikern im Ruhrpott los ist, dass die alle so drüber sind. [lacht] Er spielt einfach verdammt gut. Tight, kraftvoll, dynamisch und kreativ. Es macht einfach verdammt Spaß.
Lass uns mal über die Highlights des Albums sprechen. Fangen wir mit “Memoria Dei” an. Der Song stellt fast eine Art Ruhepol im Kontext des Albums dar und reißt emotional sofort mit.
Boah, ich kann mich auch noch gut daran erinnern, wie es war, die Pre-Recordings der Vocals für den Song zu machen. Genau so emotional wie später im Studio. Die letzten Schreie waren schon herzzerrissen, das kam aus der tiefsten Tiefe. Der ganze Song ist eine Zerrissenheit zwischen Hingabe und Intensität; das, was IMHA TARIKAT ausmacht. Die ‘Sekte der Vernichtung’ steht auch für Leidenschaft, die so intensiv ist, dass sie Zerstörung verbreitet.
Die Zeilen “And a revelation does follow a sacrifice called / So into the fires my body I throw / Engulfing the world in hate-bearing smoke / Some call it madness – Mine call it love” bedeuten, sich dafür zu entscheiden, einen Weg zu gehen und der Überzeugung zu sein, rechtschaffen zu handeln, während man Dinge tut, die das Gegenteil von aufrichtigem Verhalten sind. Quasi alles aufzugeben, um einen Weg zu gehen, bis man zurückschaut und sieht, dass man alles niedergebrannt hat. Der vorletzte Teil ist eine Proklamation, mit seiner Überzeugung alles niederzuschlagen. Am Ende bleibt nur noch, dass das man teuflische Taten begeht in der Überzeugung, göttlich zu handeln – nicht im theistischen Sinne, sondern als Konzepte für gut und schlecht. Auch musikalisch ist das vom triumphalen Stampfen am Anfang zur Explosion am Ende auch festgehalten.
In dem Zusammenhang kam die Frage auf, wie wichtig dir der blasphemische Aspekt im Black Metal ist?
Das war irgendwo mal die Inspiration, kritische Diskurse zu gesellschaftlichen Themen, oder solchen, die mich selbst betreffen, anzuregen. Ich bin selbst auch religiös groß geworden und bis heute ist es sehr komplex für mich, darüber zu reden. Aber durch die Musik habe ich viel davon verarbeitet bzw. bin noch dabei. Am Ende der Reise bin ich noch nicht.
Ein weiteres Highlight des Albums ist der letzte Song “The Day I Died”. Warum musst du einen eigentlich immer in so einem großen emotionalen Loch zurücklassen? [Gelächter]
Eigentlich ist dieser Song so etwas wie eine Akzeptanz. Ich behandele Depression und Suizidgedanken. Der Song ist in zwei Teile geteilt, der erste ist eine Aufarbeitung. Ich erzähle, wie ich mich gefühlt habe. Ich benutze sehr wenige Worte, weil ich zu der Zeit, von der ich schreibe auch kaum Worte oder Gedanken finden konnte. Im zweiten Teil nach “Follow me to find new hope …” beschreibe ich eine Stimme, der ich eigentlich gar nicht bereit war zu folgen.
Ich lag so oft nachts im Bett und dachte ‘Morgen musst du was ändern.’ Ich habe irgendwann meinen Schulabschluss nachgeholt und eine Ausbildung gemacht, ein Studium begonnen, Musik gemacht und privat ist es auch wieder stabiler geworden. Aber diese Energie zu sammeln, da raus zukommen, war eine enorme Herausforderung. Das zu packen ist der zweite Teil des Songs. Ich bin dankbar, weil nicht jeder Mensch das schafft und nicht jeder Mensch diese Energie finden kann. Der letzte Part soll einen an die Hand nehmen und in die Luft reißen – “Reborn Into Flames”.
Wie ein Phönix?
Da habe ich gar nicht drüber nachgedacht, aber das würde durchaus passen. Ich brenne, aber ich bin nicht mehr getrieben von Schmerzen, sondern motiviert. Ich würde nicht sagen, dass ich vollkommen glücklich bin, aber das muss ich vielleicht gar nicht. Ich möchte nicht das Gefühl haben, irgendwann anzukommen, sondern immer lernen und entdecken. Das ist das, was mir am Leben Spaß macht. Ich habe keine Angst mehr davor, was morgen kommt. Okay, auf der ganzen Welt passiert immer noch absoluter Wahnsinn und … Frieden kann man viel wünschen, aber solange Menschen sich als andersartig betrachten, wird es so weitergehen. Egal, ich bin kein Geo-Politiker, ich bin einfach nur ein… Rocker. [Gelächter]
Wir wären ja schon viel weiter, wenn diese Einstellung mehr Leute teilen würden …
… oder jeder Mensch könnte sich einfach eingestehen, dass jeder Mensch okay ist, wie er ist und man auf einander Rücksicht nimmt. Wobei ich mich jetzt nicht als Heiligen darstellen möchte, aber ich habe immerhin die Absicht, Gutes für die Gemeinschaft zu schaffen.
Im Black Metal herrscht viel Elitarismus und das blanke Bedürfnis, Menschen herabzuwürdigen und auszuschließen, ist anscheinend Norm geworden. Eckst du mit deiner Einstellung manchmal an?
Gute Frage. Ich glaube, wir machen genau das, worauf wir Bock haben. Ich sehe mich gerade mit meinen Mitmusikern vor Augen und wie wir uns verhalten, wenn wir irgendwo sind. Wir fühlen uns so, als würde uns die Welt gehören und jeder sitzt mit uns an der Spitze. Wenn da irgendein Heini in der Ecke sitzt und böse guckt, sag’ ich trotzdem guten Tag und biete ihm ein Getränk an. Intensität ist nicht exklusiv.
„Die Szene sagt mir nicht, wie ich mich zu verhalten habe.“
Wir wollen nicht Revier markieren, sondern lieber in Erinnerung bleiben als die Leute, mit denen man ’ne gute Zeit hatte. Auch wenn wir auf die Bühne gehen und komplett ausrasten, kann mir keiner irgendwas davon nehmen oder sagen, wie ich etwas zu tun habe. Ich versuche die Szene nicht zu verändern, aber die Szene hat mir nicht zu sagen, wie ich mich zu verhalten habe. Und Teil einer gleichförmigen Masse zu sein, ist genau NICHT der Grund, warum ich Black Metal praktiziere. Für mich ist es eine Antikultur geworden, im Black Metal ’ne gute Zeit zu haben. Diese ganzen harten, unnahbaren Typen… Alter, wie hart ist es denn eigentlich, ein korrekter Kerl zu sein?
Lass uns noch mal über den Titelsong sprechen. Die Spannung lässt sich streckenweise kaum aushalten. Außerdem fängt er in der Mitte des Albums die Essenz gut ein.
Mir war wichtig, dass er die gesamte Reise von IMHA TARIKAT zusammenfasst, was wiederum ein Ergebnis aus meinem persönlich Leben darstellt. Auch im Text geht es um die Suche nach Antworten im Leben – auch in spiritueller Hinsicht. “I am the devil and the son of the lord / The splendor of god back to the roots of all”. Ich bin gleichzeitig die Suche nach dem Guten und der, der das Schlechte praktiziert.
Abschließend noch: Du hast in den letzten Jahren eine beachtliche Menge von Musik geschrieben und aufgenommen. Hattest du jemals so etwas wie eine Blockade?
Das kommt phasenweise. Bei einem Inspirationsschub kann ich durchballern und schreibe einen Song direkt über mehrere Tage hinweg. Es kommt darauf an, ob ich dabei etwas fühle oder es etwas in mir bewirkt – ansonsten überarbeite ich es einfach, bis sich das entsprechende Gefühl einstellt.
Lieber Kerem, danke für das schöne Gespräch. Wir sehen uns spätestens bei der Walpurgisnacht.
