Myrkur
"Es wird immer jemanden geben, der ein Problem mit etwas hat."

Interview

Die dänische Künstlerin Amalie Bruun alias MYRKUR veröffentlicht ihr neues Album „Spine“, das stilistisch erneut einen völlig neuen Weg einschlägt als seine Vorgänger. Im Interview erklärt sie, was die leitenden Ideen und Gedanken im Schaffensprozess für das Album waren und wie wichtig ihr die Akzeptanz der Fans in der Metal-Szene ist.

„Spine“ fühlt sich an wie die natürliche Entwicklung von allem, was du bisher gemacht hast, und vereint all die verschiedenen Einflüsse. Wie waren der kreative Prozess und das Songwriting für dich?

Ich befand mich persönlich in einer schwierigen Phase und habe mich sehr festgefahren gefühlt. Ich habe nichts geschrieben und wollte zu dieser Zeit einfach keine Musik machen. Es wurde zu einer Art Therapie, dieses Album zu schreiben, und es war eine sehr persönliche, heilende Sache für mich. Daraus wurde dann das Album.

Was hat dich aus dem Tief herausgebracht? Was war die Inspiration, die dir geholfen hat, die Krise zu überwinden und wieder zu schreiben?

Ich habe das Album beziehungsweise die Songs benutzt, das war meine Selbsthilfe. Die Therapie war das Songwriting, wenn du weißt, was ich meine.

Was waren deine Hauptinspirationsquellen für „Spine“? Der Titelsong und „Menneskebarn“ scheinen von deinem Sohn inspiriert zu sein. Gab es noch etwas anderes?

Ja, da war der ganze Zustand der Welt, in dem wir uns zu der Zeit befanden, als ich das Album schrieb, und alles, was wir durchgemacht haben, von Lockdown und Entmenschlichung in der Gesellschaft bis hin zum Aufstieg von künstlicher Intelligenz und, du weißt schon, Computern und Bildschirmen im Allgemeinen, die den Menschen nach und nach ersetzen, besonders im Moment. Es ist definitiv ein Thema in der Öffentlichkeit, es ist kein Geheimnis. Künstliche Intelligenz übernimmt auf jeden Fall irgendwie die Macht, und ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht und die Welt beobachtet. Das habe ich in Musik umgesetzt.

Wenn man sich deine vergangenen Alben anschaut, dann folgt das Cover-Artwork keinem durchgängigen Thema, sondern du scheinst es immer für das jeweilige Album auszuwählen. Kannst du uns etwas über das Cover-Artwork für „Spine“ erzählen und wie du es ausgewählt hast?

Ich habe meine Freundin, eine lettische Künstlerin, gebeten, eine Wirbelsäule zu entwerfen, die nicht ganz menschlich ist. Sie hat mir verschiedene Entwürfe geschickt, und wir haben uns für diesen entschieden. Dann hat sie ihn in Eisen gegossen und aus Metall gemacht, es ist chromatisches Metall, und ich habe gesagt, ich möchte ein Foto davon auf dem Waldboden haben, so dass es eine fast außerirdisch aussehende Wirbelsäule wird – aber in Verbindung mit Mutter Erde.

Es ist mir sehr wichtig, dass die Hörer ihre eigene Vorstellung davon bekommen, was es für sie bedeutet. Ich will den Leuten nicht bestimmte Gedanken aufdrücken, die ich habe. Zumindest sind das sind die Alben, die ich selber mag, die offener für den Hörer sind.

Kommen wir speziell zum Titeltrack, in dem es um deinen Sohn geht – ich fand es interessant, dass die Wirbelsäule das verbindende Element zwischen Mutter und Kind für dich ist, im Gegensatz zu DNA oder Blut oder etwas Offensichtlicherem. Was ist die Idee dahinter?

Das ist etwas, das ich auf einem Ultraschallbild gesehen habe. Ich sah seine Wirbelsäule und es hat in meinem Kopf einfach geklickt. Es hat mich auf eine neue Ebene gebracht, als ich erkannte, dass ich eine Wirbelsäule für jemand anderen heranwachsen lasse, für einen anderen Menschen, den ich auf die Welt bringen werde. Und in einem größeren Rahmen hält die Wirbelsäule den menschlichen Körper und den Geist aufrecht, und auch das hat eine Menge Bedeutungen.

Das ist an sich schon eine sehr futuristische Science-Fiction-Idee.

Absolut!

In deinem letzten Interview mit metal.de im Jahr 2020 sagtest du, dass du noch nicht wüsstest, wie das Muttersein dein Songwriting beeinflussen würde – ich denke, jetzt weißt du es. Was hat das für dich verändert?

Mutter zu werden hat alles verändert. Es hat jeden Aspekt von allem für mich verändert. Ich kann also nicht sagen „Oh, das hat das Songwriting verändert“, weil es so massiv ist, es ist so substantiell, dass es alles verändert hat. Besser kann ich es nicht sagen.

Du hast auch gesagt, du wüsstest noch nicht, wie es wäre, auf der einen Seite MYRKUR und auf der anderen Seite Mutter zu sein. Sind das überhaupt noch zwei verschiedene Dinge? Wie bringst du das ins Gleichgewicht?

MYRKUR ist ein sehr persönliches Projekt für mich, es war immer ein Spiegelbild meines Geistes. Es ist also nicht leicht von meinem Leben als Mutter zu trennen. Glücklicherweise habe ich meinen Sohn mit vielen Dingen vertraut gemacht, die mir am Herzen liegen, und ihm liegen sie auch am Herzen, so dass wir in dieser Hinsicht viel gemeinsam haben, was sehr schön ist. Aber wenn man Mutter ist, steht das Kind an erster Stelle. Und daran muss man sich natürlich erst einmal gewöhnen. Es dauert eine Weile, bis die meisten Menschen das lernen.

Gibt es einen Song auf dem Album, der für dich der speziellste oder persönlichste ist?

Ich denke, dass das vielleicht der Song „Spine“ ist.

Apropos Gleichgewicht – du hast in der Vergangenheit zwei verschiedene Publikumsgruppen angesprochen. Wie würdest du sagen, dass sich das Black Metal- und das Folk-Publikum unterscheiden und magst du eins heimlich lieber als das andere?

Ich denke, dass es viele der gleichen Leute sind, ehrlich gesagt. Wenn ich Folk-Musik gespielt habe, zieht das insgesamt mehr Leute an, weil es einfach für ein breiteres Publikum ist, aber die meisten Leute, die meine amplifizierten Platten mögen, mögen auch den Folk, also ist es nicht wirklich ein großer Unterschied.

Hast du das Gefühl, dass du mittlerweile von beiden Seiten mehr Akzeptanz dafür bekommst, dass du deinem Kurs treu bleibst?

Ich weiß nicht, es interessiert mich irgendwie nicht, weil ich nur verschiedene Seiten von mir zum Ausdruck bringe. Ich kann mich nicht zu sehr darum kümmern, ob jemand ein Problem damit hat. Für den Schöpfer ist das nicht relevant. Es mag für die Szene relevant sein, aber nicht für die Person selbst. Dann fängt man an, sich anders zu verhalten und wird sich seiner selbst zu sehr bewusst, und dann wird es einfach schwieriger, sich frei auszudrücken.

Es ist also nichts, was dich in der Vergangenheit interessiert hat?

Nein, offensichtlich nicht (lacht). Wahrscheinlich hätte ich dann etwas anderes gemacht.

Welche Art von Musik würdest du machen, wenn du dich hättest beeinflussen lassen?

Ich weiß es nicht. Das ist schwer zu sagen. Es wird immer jemanden geben, der ein Problem mit etwas hat, also gibt es da nicht mal eine Grenze, es ist einfach alles.

Hast du eine Idee, wie deine perfekte nächste Setlist aussehen könnte?

Ich glaube nicht, dass ich in nächster Zeit Folk spielen werde. Ich denke, ich werde eine Pause davon einlegen und das neue Album und andere Sachen spielen, vielleicht.

Planst du eine Tour zur Veröffentlichung des Albums?

Nein, es werden in nächster Zeit einige Shows angekündigt, aber es ist keine richtige Tour geplant, die jetzt in Arbeit ist.

Quelle: Myrkur
22.10.2023

"Es ist gut, aber es gefällt mir nicht." - Johann Wolfgang von Goethe

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