Sick Of It All
Interview mit Lou Koller zum 25ten Jubiläum von SICK OF IT ALL

Interview

Sick Of It All

Seien wir mal sparsam mit Superlativen. SICK OF IT ALL mögen für die breite Metal-Welt keine Legenden sein. Szene-Urgesteine, Vorreiter vieler modernen Bands (Hardcore + Metal = Metalcore/Deathcore) und eine seit 25 Jahren unermüdlich um die Welt tourende Band sind sie jedoch allemal. Ihr kürzlich erschienes Album „Nonstop“ heimste bei metal.de satte 9/10 Punkten ein, eine Europatour liegt auch erst einen Monat zurück und für das nächste Jahr sind bereits Gigs auf dem W:O:A und dem Summerbreeze bestätigt. Genug Gründe also, um mit dem sympathischen Frontman Lou Koller die Bandkarriere Revue passieren zu lassen.

Lou, euer letztes Album bekam bei uns neun von zehn möglichen Punkten. Glückwunsch dazu.

Oh, das ist wirklich toll.

Ihr seit erst vor kurzem von euer Europa Tour zurück gekehrt. Wie ist es gelaufen?

Super! Es war unsere 25 Jahre-Jubiläumstour. Wir hatten viel Spaß und haben es am Ende der Toursaison noch mal richtig krachen lassen.

Habt ihr zu diesem Anlass ein besonderes Set gespielt?

Ja, wir haben viele alte Songs ausgepackt, die wir schon länger nicht mehr gespielt hatten. Wir haben versucht jedes Album mit mindestens einem Stück zu berücksichtigen ohne dabei Standards wie ‚Scratch the Surface’ und solches Zeug zu vernachlässigen.

Gab es dafür besonderes Feedback von den Fans?

Vor allen in den größeren Clubs konnten wir eine Videoprojektion mit Bandbildern abspielen, die uns von Anfang an bis heute dokumentierten. Das fanden die Leute ziemlich cool. Auch dass wir Songs wie ‚Full Of Hate’ oder ‚The Deal’ gespielt haben. Den letzteren haben wir schon seit über zwanzig Jahren nicht mehr live gemacht. Überhaupt ist unsere Songauswahl sehr gut angekommen.

Sie mochten also das alte Zeug am meisten?

Auch. Aber auch die neueren Sachen. Das war eigentlich der Hauptgrund für das „Nonstop“ Album. All die neuen Fans, die wir mit „Based On A True Story“ und „Death To Tyrants“ hinzugewonnen haben, fragten mich nach der Show über die alten Stücke, die wir gespielt hatten. Sie wollten wissen auf welchen LPs sie drauf sind, um diese zu kaufen. Und es war nicht ganz einfach es ihnen zu sagen, denn mit einigen alten Aufnahmen sind wir nicht mehr zufrieden. Die Idee war nun, dass wir alles noch mal so einspielen konnten, wie es wirklich zu klingen hat.

Den Sound auf „Nonstop“ habt ihr also verändert. Meint ihr, dass auch eure Live Performance sich über die Jahre gewandelt hat?

Ja, ich würde sagen es ist ein natürlicher Progress. Wir werden besser in dem, was wir tun. Ich kann jetzt viel besser schreien und nicht einfach beliebig aus Ärger herumzubrüllen.

Gab es noch andere Gründe für das Album, als der Sound?

Naja, wir wollten eine Art Retrospektive abliefern. Und wie gesagt – mit dem Sound der ersten beiden Alben und auch bei „Life On the Ropes“ waren wir einfach sehr unzufrieden. Als die Leute mitbekommen haben, dass wir vor haben alte Sachen neu aufzunehmen, waren sie skeptisch. Sie hatten Angst, dass wir die Songs verändern oder modernisieren. Aber wenn du mich fragst, hören sie sich in der neuen Fassung noch havier und aggressiver an, als im Original.

Du magst die neuen Versionen lieber?

Ja, definitiv. Eigentlich wollten wir sogar 29 Stücke aufnehmen. Aber in den vier Tagen, die wir uns dafür Zeit gegeben haben, wurden nur zwanzig fertig. Wir werden wohl alt. [lacht]

War es eine schwierige Entscheidung sich die Songs auszusuchen? Immerhin hattet ihr eine ziemlich große Wahl.

Jeder von uns hat eine Liste gemacht hat. Diese haben wir dann zusammen geworfen. Im Studio hatten wir dann noch Platz für zwei Songs. Diese ganz spontan auszusuchen war das Schwierigste.

Wie genau habt ihr aufgenommen?

Eigentlich ist fast alles live. Armand, Craig und Pete haben den ganzen Tag zusammen gespielt und vier bis fünf Songs pro Tag aufgenommen. Ich kam dann immer nachts und sang dann die Vocals ein.

Hattet ihr im Vorfeld schon Bedenken, dass es einigen Fans nicht gefallen könnte, wenn ihr die Originale verändert?

Viele sagten uns, dass die Lieder trotz der schlechten  Klangqualität etwas Besonderes für sie seien. Und so etwas ist auch toll. Aber nun klingen sie sich auch so, wie wir selbst sie gerne hören wollen. Und bisher sind wir ziemlich glücklich über das Feedback. Außerdem haben sich Lieder wie ‚Scratch The Surface’ oder ‚Injustice System’ durch die jahrelange Live-Erfahrung teilweise stark verändert. Wenn wir ein Album aufnehmen, sind wir am Ende zufrieden. Aber nach sechs Monaten Tour fangen die Songs an ein Eigenleben zu entwickeln. Dann fragt man sich: „Scheiße, wieso haben wir das nicht gleich so gespielt?“

25 Jahre sind eine ziemlich beeindruckende Zeitspanne für eine Band. Dabei habt ihr nur zwei Mal euer Line-Up verändert. Was macht SICK OF IT ALL so solide?

Wir sind zusammen in der gleichen Nachbarschaft aufgewachsen. Craig war zu den Anfangszeiten in zwei Bands involviert – REST IN PIECES und STRAIGHT AHEAD. Beide haben SICK OF IT ALL sehr geholfen. Craig hatte schon zu unserem ersten und zweiten Album Lyrics beigetragen. Deshalb hat es sich sehr natürlich angehört, als er dann bei uns eingestiegen ist. Wir kommen wirklich gut miteinander aus. Bei vielen anderen Bands wird es schwierig, wenn die Mitglieder Familien haben und sich die Interessen mit der Musik überschneiden. Solche Probleme haben wir gut im Griff.

Du bist schon so lange in der Szene unterwegs. Was hat sich deiner Meinung nach am meisten im Metal und Hardcore verändert?

Naja, da gibt es tausend Dinge. Die größte Umstellung für alle ist wohl die Verlagerung der Musik in das Internet. Es ist toll und beschissen gleichzeitig. Das Gute ist, dass junge Bands weltweit gehört werden können. Als wir angefangen haben, gab es nur das Tapetrading. Heute sind die Leute mehr über Sachen wie Facebook und Myspace verbunden. Das Schlechte ist, dass man immer wieder einen Weg finden die Musik umsonst downzuloaden.

Naja, das Tapetrading war ja so gesehen auch umsonst.

Hm, ich will nicht lügen – natürlich war es das. Aber heute hat es andere Ausmaße. Es gibt so viele Bands, der Überblick fällt schwer. Und auch die Konkurrenz ist viel größer. Die großen und die kleinen Labels nehmen heutzutage Bands unter Vertrag, denen sie nicht einmal eine Album Produktion bezahlen. Das macht für mich keinen Sinn. Wozu ein Label Vertrag, wenn man eh alles alleine machen muss? Und da geht der Trend auch hin, denke ich. Das „Do it yourself“ – Ding. Ich persönlich stehe auf guten Studio Sound. Aber wenn man begabt ist, oder es einfach gut lernt, kann man ein super klingendes Album auf seinem eigenen Laptop produzieren.

Denkst du, dass Metal und Hardcore heute mehr verschmolzen sind, als zu Beginn?

Als Thrash Metal und Hardcore aufkamen, waren sie eigentlich unzertrennbar. Erst später kamen die Puristen, die nur eine dieser Richtungen hören wollten. Viele meiner Metalfreunde lieben Gitarrensoli. Wir haben so etwas nicht, dafür schätzt man bei uns das Rockige. Viele unserer Fans stehen auch total auf MOTÖRHEAD.

Trotzdem sagt man SICK OF IT ALL nach, sehr wichtig für die Annäherung dieser zwei Szenen zu sein.

Hm. Wir waren von Anfang an dabei. Keine Ahnung ob wir einen großen Einfluss darauf genommen haben, aber ich denke wir trugen unseren Teil dazu bei. Es gibt eine unabhängige Dokumentation über Thrash Metal in den Staaten, ich habe den Namen leider vergessen. Dort nutzen sie viele Fotos von uns. Dabei sahen wir uns immer als die Botschafter des Hardcores. Unsere erste Tour, die nur acht Tage dauerte war mit EXODUS. Das war 1988 und wir waren die erste Band aus diesem Bereich, die so etwas gemacht hat. Das haben wir beibehalten bei Touren mit HELMET oder SLAYER. Wir wollten die Grenzen verwischen und Hardcore an ein ganz neues Publikum bringen. Wir lieben es so sehr, deswegen wollen wir diese Musik verbreiten.

Dazu werden ihr nächstes Jahr auf eurem Gig beim W:O:A eine gute Gelegenheit haben.

Oh ja. Wir haben dort noch nie gespielt. Aber letztes Jahr waren wir Co-Headliner auf dem „With Full Force“ Festival und es ist prima gelaufen. Obwohl das Wacken Publikum wohl eher auf klassischen Metal steht. Vielleicht sollten wir ja die SCORPIONS-Pyramide am Ende des Sets aufführen. [lacht] Wir sind alle ziemliche Metal Fans. Die ganz großen, wie JUDAS PRIEST oder Bands wie VENOM und CELTIC FROST – das war total unser Ding! Ich denke, dass dieses Konzert eine tolle Erfahrung für uns sein wird.

Erzähl uns von den Höhen und Tiefen euer Karriere.

Auch da gibt es so Vieles. Unvergesslich war unser erstes Konzert als Headliner. Wir hatten keine Ahnung, wie viele Fans kommen würden. Und als wir dort waren, sahen wir die Schlange ein Mal um den Block gehen. So etwas vergisst man nicht. Auch unsere erste Europa Tour, bei der wir Berlin ausverkauft hatten und am nächsten Tag im Osten Deutschlands vor dreißig Leuten gespielt haben. Die Deutschen Fans sind mitunter die leidenschaftlichsten, die wir haben. Es macht immer Spaß dort zu spielen. Ich denke Deutschland hat  SICK OF IT ALL 1992 einen zweiten Atem eingehaucht. Besondere Tiefs hatten wir eigentlich nie. Es ist einfach das Leben, das mit einem passiert. An einigen Tourneen konnte ich nicht zur Beerdigung meiner Verwandten kommen. So etwas ist hart. Aber als Band ist uns nichts wirklich Schlimmes passiert.

Über diese Zeit liest man ziemlich heftige Sachen. Gewalt bei den Konzerten und Auftrittsverbote.

Ja, in den frühen Neunzigern wurde New York ziemlich verrückt, was den Hardcore betrifft. Die ganze Gang-Mentalität kam plötzlich rein und damit auch die Gewalt. Viele dieser Probleme schreibe ich den Medien zu. Als sie diese Musik entdeckt hatten, fokussierten sie sich auf das Image der harten, tätowierten Typen wie bei den CRO-MAGS. Sie vermittelten eine taffe Straßenmentalität. Das zog Leute aus den falschen Gründen zu der Musik. Besonders schlimm war, als ein junger Amokschütze ein SICK OF IT ALL Shirt getragen hatte. Zu der Zeit war „Take A Look Around“ Album draußen, der unsere Reaktion auf die ganze Gewalt in New York war.

Was die Presse bestimmt ganz anders gesehen hat.

Ja, natürlich. Die haben sie wieder mal auf das Image und die Wut in der Musik gestürzt. Da hat sich keiner hingesetzt und mal einen Songtext gelesen.

Wie wichtig war New York für euren Erfolg?

Sehr wichtig, denke ich. Als wir angefangen haben, war die Stadt dabei zu explodieren. Bands wie AGNOSTIC FRONT, die CRO-MAGS oder MURPHY’S LAW tauchten auf. Dies sind die Bands, die den Hardcore etabliert haben. Vor allem AGNOSTIC FRONT waren die ersten, die NYC-Hardcore nach Europa und Südamerika gebracht hatten.

Wie sehen eure Zukunftspläne aus? Keine Gedanken an den Ruhestand?

Schön wärs! [lacht] Nein, wir dafür haben wir einfach zu viel Spaß. Wir schreiben alle an neuem Material, jeder hat ein Paar Songideen. Während der Feiertage wird bestimmt nicht viel passieren, da wir bei unseren Familien bleiben wollen. Die meiste Zeit im nächsten Jahr werden wir mit dem Schreiben verbringen.

Danke dir, Lou.

Ich danke dir. Und allen unseren Fans für diese unvergesslichen 25 Jahre.

26.11.2011
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